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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Esswein, Hermann: Münchens kulturelle Zukunft, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0163

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ristische Verkehrsformen zwischen Künstler und Kunst-
abnehmer förmlich karikiert und in Mißkredit gebracht
werden. Allenthalben, bis hinunter zu den kunstver-
schleißenden Portierlogen, Zigarrenläden und Friseurge-
schäften, sehen wir, wie die Qualitätsarbeit durch auf-
dringliche Schund- und Massenware verdunkelt, der
Qualitätsproduzent und der Qualitätshändler geschädigt
werden.

Wahrhaftig, das war wohl die schlimmste Nachwirkung,
die uns die frühere Blütezeit, der frühere Ruf Münchens
als Kunststadt eingebracht hat, daß auf diese wirtschaft-
liche Möglichkeit hin alsbald auch die Allerunberufensten
vielgeschäftig zu sündigen begannen und daß gegen dies
hemmungslose Treiben die Gegenwirkung der soliden,
ernsthaften Produzenten und ihrer Verbände, daß vor
allem fast jede Gegenwirkung der öffentlichen Meinung
ausblieb.

Der Schundmarkt, an dem München zugrunde geht,
ist vielmehr in kurzsichtigster Weise ermutigt und ge-
fördert worden durch jenes generalanzeigerhafte Noto-
rischmachen, Ernstnehmen, tagtägliche und ausführliche
Würdigen so ziemlich aller Bestrebungen und Unter-
nehmungen, die sich eines noch so fragwürdigen ästheti-
schen Aushängeschildes zu bedienen beliebten.

Dies Versagen des öffentlichen Urteils infolge gesell-
schaftlicher und geschäftlicher Rücksichten, vor allem
aber infolge des gutgemeinten, jedoch irrigen Gedanken-
ganges, die einheimische Produktion und ihr Umsatz könn-
ten nur durch Anerkennung ihres gesamten Umfangs um
jeden Preis, auch um den der besseren fachlichen Ein-

sicht, gefördert werden, dieses Versagen der öffentlichen
Meinung hat mit zu dem Urteils- und Geschmackszu-
sammenbruch des Publikums geführt, das heute keine ge-
schmackliche Autorität mehr anerkennt und dem jedes
Gefühl dafür fehlt, ob es stofflich und formal gediegene
Arbeit erwirbt oder ihr schlimmstes Gegenteil.

Die Aufklärung des Publikums, die zum Guten, zur
Wertware hinleitet, ist heute längst erstickt unter tau-
sendstimmiger Reklame, die täglich, an jeder Straßenecke
dem Schund einen trügerischen Anschein von Bedeutung
verleiht. Die geschmackserzieherische Bewegung, die vor
dem Krieg wenigstens die Gebildeten erfaßt hatte und
ohne den Rückschlag, den unser nationales Unglück mit
sich brachte, bald auch weitere Volkskreise erfaßt hätte,
sie ist nach diesem verheißungsvollen Anfangserfolg
heute so gut wie völlig ausgelöscht. Sie läßt sich bei der
tiefen Gleichgültigkeit gegen alles Geistige auch kaum
sobald wieder beleben, zumal es schwer ist, Menschen
von Heimkultur zu predigen, denen die fundamentale
Vorbedingung fehlt, das menschenwürdige Obdach, die
Wohnräume, welche die Entfaltung bescheidenen oder
gar gesteigerten Komforts zulassen.

Was ist da zu tun?

Wir können gegen den Übelstand, wie schon gesagt,
nicht die Methoden der gewerbeunfreien Zeit, der zunft-
behördlichen Aufsicht, des Polizeistaates zu Hilfe rufen.
Wir müssen dem freien Spiel der Kräfte vertrauen, ob-
wohl es uns zunächst in ein peinliches Chaos geführt hat.
Jenes Gesetz des Wirtschaftslebens, das unnotwendige
Produktion beseitigt, sobald kein kapitalistisches Interesse

A. VON MAYERHOFER - EMAIL SCHALE

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