FRIEDA VON T II I E R S C H • 15 U C H EINBAND
neues reiches Aufgabenfeld erschließen. Blüht uns über-
haupt ein Wiederaufstieg — und es verlohnte ja nicht
mehr zu leben und zu reden, wenn wir das nicht glauben
wollten, — so werden wir ganz gewiß nicht dort wieder
anfangen können, wo unser Möbelstil, unser Metallge-
rät, Glas, Keramik, Textilien um 1914 aufgehört haben.
Zum Erfolg durchdringen werden diejenigen, die aus der
neuen Seele der Zeit heraus eine neue Raum- und Ge-
rätegestaltung finden werden, eine Zeitform, die ein Mög-
lichstes an Schönheit, Zweckmäßigkeit, Materialqualität
bei erschwinglichen Preisen zu bieten vermag. Will man
ein Schlagwort zur Verdeutlichung dieser neuen Ent-
wicklung, so möchte ich neben die neue Sachlichkeit, die
nicht nur eine Angelegenheit der Maler, sondern auch
des Werkkünstlers ist, die neue Behaglichkeit stellen.
Sie wird nach aller psychologischen Voraussicht das Be-
dürfnis, der Sehnsuchtsschrei der vielen Menschen sein,
die sich jetzt langsam wieder zu bescheidenem Wohl-
stand emporarbeiten, die eines Tages aus den Versamm-
lungshallen, den Massenkaffeehäusern, den Sport- und
anderen Rummelplätzen in ihre neugefügten vier Wände
und zu einer neuen Heimkultur zurückstreben werden.
Man wird, um in dieser neuen Entwicklungsphase be-
stehen zu können, künstlerisch, technisch und ökonomisch
weit genauer kalkulieren müssen als früher, wo es ver-
hältnismäßig leicht war, mit bunten, gefälligen Neuheiten
Modeerfolge zu erzielen. Heute trägt den Werkkünstler
nicht mehr die bequeme allgemeine Zeitströmung. Er
muß, wie weiland vor vierzig Jahren, der Zeit erst wieder
eine Richtung geben, oder besser, richtiger, er muß die
notwendige, die sozialpsychologisch und ökonomisch mög-
liche, gangbare Richtung der Zeit zu erfassen und zu
gestalten versuchen, denn nur darauf wird es in Zukunft
ankommen; nicht mehr auf die Befriedigung eigenbrötle-
rischer ästhetischer Liebhabereien, sondern auf die Er-
füllung dessen, was uns unsere Lebensformen vorschrei-
ben; nicht mehr auf formale oder gar theoretische Äußer-
lichkeiten, auf das Ausspielen von Prinzipien und Kunst-
richtungen, etwa struktiver Tendenzen gegen dekorative,
auch nicht mehr auf den Gegensatz zwischen traditionali-
stischet und moderner Formenauffassung. Noch im Rah-
men einer exzessiv neuzeitlich umgeformten Welt wird
es eine große Menge von Bedürfnissen geben, die sich
gar nicht anders bedienen lassen, als auf traditionelle Art,
und wir können also in Zukunft sehr notwendig beides
brauchen, sowohl das zugespitzteste Gegenwartsgefühl,
das uns allein vor Kräftevergeudung an längst überlebte
Ideale zu bewahren vermag, wie auch den gründlichste ge-
schulten Sinn für historisch erprobte Gestaltungs- und Wir-
kungsgesetze, ohne deren Belehrung uns umgekehrt eine
Kräfte Vergeudung an unrealisierbare, an utopistische Ideale
bedrohen wird. Wir werdenuns derZeit, die gebieterisch ein
neues Gesicht verlangt, nicht entgegenstemmen können,
aber wir dürfen auch nicht hoffen, dies Gesicht gestalten zu
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neues reiches Aufgabenfeld erschließen. Blüht uns über-
haupt ein Wiederaufstieg — und es verlohnte ja nicht
mehr zu leben und zu reden, wenn wir das nicht glauben
wollten, — so werden wir ganz gewiß nicht dort wieder
anfangen können, wo unser Möbelstil, unser Metallge-
rät, Glas, Keramik, Textilien um 1914 aufgehört haben.
Zum Erfolg durchdringen werden diejenigen, die aus der
neuen Seele der Zeit heraus eine neue Raum- und Ge-
rätegestaltung finden werden, eine Zeitform, die ein Mög-
lichstes an Schönheit, Zweckmäßigkeit, Materialqualität
bei erschwinglichen Preisen zu bieten vermag. Will man
ein Schlagwort zur Verdeutlichung dieser neuen Ent-
wicklung, so möchte ich neben die neue Sachlichkeit, die
nicht nur eine Angelegenheit der Maler, sondern auch
des Werkkünstlers ist, die neue Behaglichkeit stellen.
Sie wird nach aller psychologischen Voraussicht das Be-
dürfnis, der Sehnsuchtsschrei der vielen Menschen sein,
die sich jetzt langsam wieder zu bescheidenem Wohl-
stand emporarbeiten, die eines Tages aus den Versamm-
lungshallen, den Massenkaffeehäusern, den Sport- und
anderen Rummelplätzen in ihre neugefügten vier Wände
und zu einer neuen Heimkultur zurückstreben werden.
Man wird, um in dieser neuen Entwicklungsphase be-
stehen zu können, künstlerisch, technisch und ökonomisch
weit genauer kalkulieren müssen als früher, wo es ver-
hältnismäßig leicht war, mit bunten, gefälligen Neuheiten
Modeerfolge zu erzielen. Heute trägt den Werkkünstler
nicht mehr die bequeme allgemeine Zeitströmung. Er
muß, wie weiland vor vierzig Jahren, der Zeit erst wieder
eine Richtung geben, oder besser, richtiger, er muß die
notwendige, die sozialpsychologisch und ökonomisch mög-
liche, gangbare Richtung der Zeit zu erfassen und zu
gestalten versuchen, denn nur darauf wird es in Zukunft
ankommen; nicht mehr auf die Befriedigung eigenbrötle-
rischer ästhetischer Liebhabereien, sondern auf die Er-
füllung dessen, was uns unsere Lebensformen vorschrei-
ben; nicht mehr auf formale oder gar theoretische Äußer-
lichkeiten, auf das Ausspielen von Prinzipien und Kunst-
richtungen, etwa struktiver Tendenzen gegen dekorative,
auch nicht mehr auf den Gegensatz zwischen traditionali-
stischet und moderner Formenauffassung. Noch im Rah-
men einer exzessiv neuzeitlich umgeformten Welt wird
es eine große Menge von Bedürfnissen geben, die sich
gar nicht anders bedienen lassen, als auf traditionelle Art,
und wir können also in Zukunft sehr notwendig beides
brauchen, sowohl das zugespitzteste Gegenwartsgefühl,
das uns allein vor Kräftevergeudung an längst überlebte
Ideale zu bewahren vermag, wie auch den gründlichste ge-
schulten Sinn für historisch erprobte Gestaltungs- und Wir-
kungsgesetze, ohne deren Belehrung uns umgekehrt eine
Kräfte Vergeudung an unrealisierbare, an utopistische Ideale
bedrohen wird. Wir werdenuns derZeit, die gebieterisch ein
neues Gesicht verlangt, nicht entgegenstemmen können,
aber wir dürfen auch nicht hoffen, dies Gesicht gestalten zu
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