Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

DOI Artikel:
Esswein, Hermann: Münchens kulturelle Zukunft, [2]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0169

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUNFTZEICHEN, KUPFER VERGOLDET, GEZEICHNET
VON H. EGE - AUSGEFÜHRT VON B A I E R , M Ü N C FT E N

anlocken, denen man schon deshalb vergeblich Konzes-
sionen macht, weil sie nicht auf Reisen gehen, sondern
wir werden uns nur das zahlungsfähige Publikum aller
Grade völlig entfremden.

Ohne Zweifel wird die soziale Zusammensetzung des
München besuchenden Publikums in Zukunft eine andere
sein als in früheren Jahrzehnten. Die Basis unserer Wir-
kungen wird wohltätig verbreitert werden durch einen be-
scheidenen Mittelstand, dessen Bedürfnissen Kunsthand-
werk und Kunstindustrie, wie schon früher bemerkt, ge-
schickt Rechnung tragen müssen. Wir haben künftig viel
mehr als früher mit einem etwa als kleinbürgerlich an-
zusprechenden Publikum zu rechnen, aber eben diesem
Publikum und uns selbst tut man durchaus keinen Ge-
fallen damit, wenn man die repräsentativen Darbietungen
nach dem kleinbürgerlichen Horizont einstellt, den dieses
Publikum von zu Hause mitbringt.

Man arbeitet nicht volkstümlich, man handelt nicht
volksfreundlich, wenn man den Bildungs- und Kultur-
suchenden, die zu besseren Einsichten und zu neuen Ge-
nüssen emporgehoben werden wollen, verkehrte Konzes-
sionen macht, wenn man die Bildungs- und Anpassungs-
fähigkeit dieser Kreise unterschätzt und deshalb die Oper,
das Schauspiel, die künstlerischen und geistigen Darbie-
tungen aller Art auf einen minderen, kleinstädtischen,
philisterhaften Geschmack hinunterdrückt, wenn man,
um nur ja verstanden und frequentiert zu werden, das
Qualitätsniveau senkt, dafür aber alle Türen recht weit

autreißt und vor jede womöglich noch einen bunten Aus-
rufer mit Trommel und Trompete stellt. Diese psycho-
logisch kurzsichtigen Popularisierungsversuche machen
nicht die kulturellen Werte volkstümlich, sondern sie
entwerten sie, ohne dem Volk zu nützen.

Jede aufstrebende Klasse, und diese Aufstrebenden
werden eines Tages den Großteil unseres Publikums
bilden, will zu dem empor, was sie als kulturell über ihr
stehend mit untrüglich richtigem Instinkt empfindet. Also
darf man ihnen die Werte, um die sie ringen, nicht in
billigsten Nachahmungen und Ersatzstücken auf Schritt
und Tritt nachwerfen, sondern man muß sie an der histo-
risch gewordenen und auch nur wieder in langsamer
historischer Entwicklung zu überwindenden sozialkultu-
rellen Schranke die eigenen Kräfte erproben lassen. Mit
anderen Worten: Es soll nur das auserlesen Beste, das,
was die intellektuell und geschmacklich führenden
Schichten suchen und würdigen, dem Volke geboten
werden, ohne jede Konzession.

Wir können und sollen den Diwan, den Stuhl, die
Tischdecke, den Aschenbecher und ähnliche Dinge den
bescheidenen Bedürfnissen und Mitteln des neuen Publi-
kums anpassen, nicht aber eine Kunstausstellung, ein
Konzert, einen Opernabend oder eine Shakespeare-Auf-
führung. Diese größten Kunsterlebnisse lassen sich
nicht normalisieren und typisieren, nicht in verschiedener
Ausführung hersteilen für Wohlhabende und für Minder-
bemittelte.

147

21
 
Annotationen