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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Esswein, Hermann: Münchens kulturelle Zukunft, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0170

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WOCHENENDIIÄUSCJLEN VON J. KADER (ZIMMERMEISTER HATZ)

Um näher auf das Beispiel der Schaubühne einzu-
gehen, das ja auch im Hinblick auf die Veranstaltungen
der Münchner Theater zu der Handwerksausstellung des
kommenden Jahres von Interesse ist: Ich bin überzeugt,
daß irgendein kleiner Mann aus der Provinz von großem,
festlichem Theater mit fremdartig-reichen Szenen-
bildern viel nachhaltiger gepackt werden wird, auch wenn
es ihn vor schwierige Verständnisprobleme stellt, als von
leichtfaßlichen Stücken aus seinem eigenen Milieu oder
von irgendwelcher Unterhaltungsware. Gerade der müh-
selige Mensch des Alltags sucht den Kontrast, das Be-
sondere, Fremdartige, Erregende. Es handelt sich ihm
gar nicht darum, daß er das, was ihm geboten wird, gleich
auf den ersten Anhieb intellektuell versteht. — Er sucht
in erster Linie nicht Bildung, sondern Erlebnis, Steige-
rung seines Selbstgefühls. Er will gesellschaftlich und
dem Milieu nach auf eine höhere Stufe erhoben, feier-
licher behandelt, zu einem Genießen zugelassen werden,
das oberhalb seiner gewohnten Erlebnismöglichkeiten
liegt. Bietet man ihm diese Sensation nicht auf eine kul-
turelle Art, so befriedigt er das Bedürfnis nach ihr un-
kulturell und unfruchtbar im Kino und an ähnlichen Ver-
gnügungsstätten.

Daß meine Auffassung zutrifft, lehrt der bei den volks-
tümlichen Theaterorganisationen zu beobachtende Zu-
drang zu den bunten Wundern der großen Oper bei
gleichzeitiger Unlust an dem grau, banal, alltaghaft ge-
wordenen, kurzum popularisierten Schauspiel. Würde
man in München wie in anderen Theaterstädten die Mög-
lichkeit des großen Schauspiels, vor allem des Shakespeare-
Dramas, auch hinsichtlich der Ausstattung richtig würdi-
gen, würde man das Ungemeine, Übermenschliche, Dämo-
nische dieser Werke packend herausgestalten, anstatt sie
zu einer Art Stallfütterung vorgeblich Bildungsuchender,
in Wirklichkeit aber Erlebnis Erschütterungsbedürftiger
zu mißbrauchen, so würde auch der kleinbürgerliche Gast,
der sich jetzt an Schwänke und Filmsensationen verliert,
bald ein echter, wertvoller und anhänglicher Theater-
besucher werden.

Daß München, was alle repräsentativen Kunstdarbie-
tungen anlangt, endlich mit der Zeit gehen muß, hinter
der es heute um dreißig Jahre zurücksteht, ist eine ebenso
elementare Vorbedingung unseres Wiederaufstiegs wie
andererseits die für München dringend gebotene Ent-
haltsamkeit von falsch verstandener, rummelmäßiger
Modernität. Gewisse pseudoästhetische Exzesse unserer

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