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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Esswein, Hermann: Münchens kulturelle Zukunft, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0172

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J A G D Z I M M E R IN EINEM STAHL EI AUS DER MEID-
RICHWERKE DUISBURG ENTWURF G S Ä N G E R

mehr sein als die einer bescheidenen Helferin, mehr als
Appretur, um die es vieler Worte gar nicht mehr ver-
lohnt, da sie nach einigen Generalentwürfen im Weg ge-
schickter Arbeitsteilung zwangsläufig miterledigt werden
kann. Wie ist ein Werk im Sinne dessen, was wir histo-
risch als Kunstwerk begreifen, heute überhaupt noch mög-
lich — bei der Enge unserer ökonomischen Bedingtheit,
bei der bewußten Abkehr unserer Zeit von allem Histo-
rischen, bei der ausgesprochenen, fast feindseligen Gleich-
gültigkeit, die wir seitens der Massen von heute allem
Geistigen entgegengebracht sehen? Zeugt die Unfrucht-
barkeit der künstlerischen Entwicklung auf allen Gebieten
denn nicht laut dafür, daß sich die ästhetische Funktion
an den hergebrachten Formen erschöpft hat und im Be-
griffe steht, sich als kleine, ziemlich belanglose Nuance
dem allgemeinen unpersönlichen Lebensstil einzuordnen ?

Der Kulturpessimismus, der so spricht, denkt und emp-
findet aus der seelischen Lage absterbender Schichten,
aus einer tiefen, aber ungerechtfertigten Verzweiflung

an den schöpferischen Kräften sowohl individueller wie
kollektiver Artung. Gewiß, vielen ist alles Historische
heute langweilig, überlebt, ein hundertemal durchmesse-
ner auswegloser Irrgarten, — aber hart daneben wissen
Millionen Menschen noch gar nicht, was Historie ist. Eine
Klasse, übersättigt von allem Bildungsstoff der Jahrhun-
derte, verführt durch die materiellen Gewinnmöglich-
keiten günstiger Jahrzehnte, gab ihre kulturellen Tradi-
tionen auf und sucht nun in automobilistischem Noma-
dentum Ersatz für ihre ehedem von einer starken Inner-
lichkeit durchwaltete Heimwelt. Unmittelbar neben ihr
aber ringen andere Klassen, denen die Mittel zur Stimu-
lation im großen fehlen, um ein menschenwürdiges Heim,
und diese werden mit Freude, mit Bewunderung, mit
Dank ihr erstes Kunsterlebnis pflegen und darauf weiter-
bauen mit immer mehr gesteigertem Verlangen nach dem
von den anderen aufgegebenen Erbgut.

Dieser Nachwuchs, diese bildungs willigen, kulturwilli-
gen Schichten, dies neue Publikum, dessen Anmarsch um

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