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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 79.1929

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Nitsche, Julius: Gebrauchsgraphik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7096#0288
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GEBRAUCHSGRAPHIK VON JULIUS NITSCHE

Ein neues Wort für eine alte Sache. Illustrationen und Exlibris, Plakate und Inserate, Buch-
einbände und Notentitel nach Zeichnungen von Künstlerhand, Zeitschriften- und Katalog-
umschläge, Etiketten und Warenpackungen, Briefköpfe und Geschäftskarten und was sonst
noch alles in das Arbeitsgebiet des Gebrauchsgraphikers gehört, alles das hat es Ichon gegeben
bevor der Name „Gebrauchsgraphik" dafür geprägt wurde, der in den „Amtlichen Mittei-
lungen der Bayrischen Gewerbeschau 1912 in München" zum erstenmale auftauchte. Seitdem
bezeichnen wir mit „Gebrauchsgraphik" nicht nur die Werke der angewandten Graphik seit
Beginn der neuen Bewegung in der angewandten Kunst, die etwa um die Jahrhundertwende
einsetzte, sondern das Gesamtgebiet der Illustration, Schreib- und Reklamekunst überhaupt.
Die mittelalterlichen Mönche, die Psalterien, Evangeliare und Missales schrieben und illustrierten,
die Holzlchnittmeister der Renaissance- und Barockzeit, die Kalligraphen an Fürstenhöfen und
in Stadtkanzleien, William Hogarth sowohl als auch der junge Franz Stuck, der im Auftrage
des Wiener Verlegers Gerlach „Allegorien und Embleme", „Karten und Vignetten" zeichnete,
sie alle waren Gebrauchsgraphiher, d. i. Graphiker, die in festem Auftrage für einen bestimmten
vom Auftraggeber vorgeschriebenen Zweck arbeiteten. In den folgenden Abbildungen sollen
natürlich nur Werke heute lebender KünsHer gezeigt werden und auch von diesen nur wenige
Proben. Es ist auch keineswegs beabsichtigt, einen Überblick über das gesamte Schaffensgebiet
der heutigen Gebrauchsgraphik zu geben. Die überwiegende Mehrzahl der Abbildungen sind
Plakate und unter diesen wieder in der Hauptsache solche, die in den letzten fünf Jahren ent-
standen, noch wenig bekannt lind und die besonders dadurch interessieren, daß Tie ihren Zweck
mit rein künstlerischen Mitteln in denkbar vollendeter Weise erfüllen. Die Plakate sind zum
größten Teil der Internationalen Plakatausstellung entnommen, die in den Monaten August
und September d. J. in München zu sehen war, und es wurde dabei auf solche Blätter verzichtet,
die während der Dauer der Ausstellung in zahllosen Wochenendblättern und Tageszeitungen
zur Abbildung gelangten, wie z. B. des Franzosen Cassandre einzigartiges Plakat für die Pariser
Abendzeitung „L' Intransigeant" und des Polen Gronowski humorvolles Plakat für Überschuhe.
Die Frage, ob die Kunst zu kurz kommen müsse, wenn sich der KünsHer einem bestimmten
Zwecke anzupassen hat, konnte vielleicht vor zehn bis zwanzig Jahren noch ernsthaft diskutiert
werden. Heute ist die Reklamekunst, neben dem Plakat das Inserat und der Zeitschriftentitel,
zur biblia pauperum Vieler geworden, für breite Schichten der Bevölkerung, die an freien
Tagen auf Sportplätze, auf die Berge und Gewässer hinausziehen, die mühelose oder vielleicht
sogar einzige Möglichkeit, mit Werken der Malerei und Zeichenkunst in Berührung zu kommen.
Daraus ergeben lieh ernste Verpflichtungen für die Auftraggeber. Die Auftraggeber sollten sidi
nicht davon abhängig machen, was ihnen Reisende von Druckereien und Reklamebureaux zu-
fällig ins Haus bringen; sondern jede Firma, die Reklame zu treiben genötigt ist, sollte in
enger Verbindung mit einem Gebrauchsgraphiker stehen, so wie man sich einen juristischen Be-
rater oder einen Hausarzt hält. Große Firmen, besonders der Zigaretten-, Spirituosen- und der
Schokoladenindustrie, der Konfektion, der Automobilindustrie und der Parfümeriebranche
wissen, was sie der Gebrauchsgraphik zu danken haben. Der Gebrauchsgraphiker hat hier

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