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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 79.1929

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Rose, Hans: Das neue Frankfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.7096#0037
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DAS NEUE FRANKFURT

Es macht Eindruck, wenn irgendwo ein Ende prophezeit wird: das Ende der Malerei, das
Ende des Kunstgewerbes, das Ende der abendländischen Kultur überhaupt. Das hindert aber
nicht, daß anderwärts ebenso emphatisdi Anfänge verkündet werden und das Wörtchen »neu«
seine suggestive Wirkung übt: der neue Stil, die neue Bauweise, das neue Frankfurt. Vielleicht
war das immer so, daß von Einigen der Niedergang, von Anderen der Ausstieg deutlicher emp-
funden wird. Sicher aber ist es ein Merkmal der heutigen Zeit, daß man sich Fortsehritte nur
noch explosiv vorstellen kann. Abbruch und völliger Neubau. Wir denken selbst das, was später
Geschichte werden soll, nach dem Prinzip des Motors: Knall und Stoß. Vor hundert Jahren
verglich man mit einem leise gleitenden Strom. In Frankfurt speziell ist die bürgerliche Befan-
genheit gründlich umgeschlagen in rasche, radikale, französisierende Neuerungssucht. Es wird
Gewaltiges ins Werk gesetzt und eine ganze Welt von Kunstformen rücksichtslos negiert, die
schön zu finden man sich gedankenlos angewöhnt hatte. Wenn man an die Kunstkrise von iqoi
zurückdenkt, so staunt man in der Tat, daß heute, nach rund 25 Jahren nochmals eine ähnlich
durchgreifende Revision unserer künstlerischen Vorstellungen und Wünsche notwendig war. Sie
war notwendig. Von mir als Historiker wird man vielleicht erwarten, daß ich das Wort »Tra-
dition« gegen das neue Wollen ausspielen würde. Das wird nicht geschehen. Es wäre fehl am
Platz. Es soll weder ein lauer Standpunkt eingenommen, noch die junge Blüte dem Staub der
Theorie ausgesetzt werden. Wir haben uns lediglich mit dem auseinanderzusetzen, was die
neue Bewegung an künstlerischen und sozial-ethischen Werten zutage fördert. Allenfalls auch
mit der Propaganda, die sich amtlich und außeramtlich diesem Neuen zur Verfügung stellt. Ich
schicke voraus, daß meine Bedenken gegen den neuen Stil nicht aus der Vergangenheit, sondern
aus der Zukunft hergeleitet sind. Es fragt sich, ob der Begriff »Kunst« in längeren Zeiträumen
sich bereit finden wird, diese an seiner Grenze liegenden Bemühungen zu decken.
Vom Standpunkt des Siedelungswesens hat Frankfurt Unnachahmliches geleistet. Von
öffentlichen Gebäuden spricht man wenig. Man baut keine Prunkpaläste für Verwaltung,
Schuldentilgung, Versicherungen. Keine Kirchen, wo das Volk seine Verzweiflung über das
Wohnungselend vor romanischen oder barocken Altären niederlegt. Sondern die Stadt umgibt
sich in weitem Umkreis mit einem Kranz von Siedelungen, in denen Zehntausende von Familien
eine Zelle für Ordnung und häusliches Wohlbehagen finden sollen. Sie sind für Kleinrentner
und Handwerker, Beamte und Arbeiter bestimmt, darüber hinaus aber für die Ärmeren aller
Stände. Selbst Angehörige der Aristokratie, höhere Beamte und geistige Potenzen, denen irgend
ein Schicksal den äußeren Wohlstand vorenthält, finden in den Siedelungen Unterkunft und
vielerlei Wohnschönheit. Es steht nicht zur Diskussion, sondern es ist Tatsache, daß die Stände
sich auf dieser Basis zusammenfinden, das Wort »Proletariat« seine Bitterkeit verliert und das
Mißtrauen von Stand zu Stand sich in demselben Grad verringert, wie der technische Komfort
der Siedelungshäuser tatsächlich gleich geworden ist. Wenn man erwägt, wieviel Prozent der
Kriminalfälle in den Nachkriegsjahren durch die mensehenunwürdigen Wohnverhältnisse ver-
schuldet worden sind, so wird man das energische Vorgehen der Frankfurter Behörden als vor-
bildlich und in sozialem Sinne als wahrhaft edel bezeichnen.

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