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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 79.1929

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Christoffel, Ulrich: Pariser Brief
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Christoffel, Ulrich: Neue Architektur als Spielerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.7096#0053
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Barockes, Instinkt und Vernunft gleichen (ich in dem Stadtbild Paris wie in der gesamten fran-
zösischen Kultur aus und fügen sich der Einheit des Lebens. Für ein strenges architektonisches
Gewissen mag es unerträglich sein, wie an den Straßenkreuzungen die Häuser sich zuspitzen
und wie die Fassaden sich zusammendrängen: aber in Paris machen Leben und Verkehr die
Stadt und die Häuser schwimmen im großen Strom mit, denn Tie haben keine Berechtigung,
wenn Tie nicht dem Leben dienen. Paris ist die Stadt der Welt geworden, weil es in der Ar-
chitektur und allen anderen Künsten immer nur der Welt gedient hat und weil es wie alles
organische Leben lieh verjüngte, indem es sich zerstörte. Aller Städtebau beginnt bei der klugen
Zerstörung. Ulrich Chiistosscl.

NEUE ARCHITEKTUR ALS SPIELEREI

In Holland wurde in den letzten Jahren ungewöhnlich viel gebaut. Auf einer kleinen Winter-
reise beobachtete ich unlängst, daß um Amsterdam, Haag, Rotterdam ganz neue Quartiere
entstanden sind, von wundervoller Einheitlichkeit der Anlage, schönem, sauberm Schnitt der
Straßen und einer geschlossenen Fläche der Dächer und Mauern. Auch zwischen die vom 19. Jahr-
hundert nur wenig beeinträchtigten, vornehmen Häuserzeilen der alten Amsterdamer Grachten
haben sich überall Neubauten von jener konstruktiven Sachlichkeit eingeschoben, die von Hol-
land aus ihren Siegeszug über Europa angetreten hat. Im Haag nimmt ein neues Warenhaus
mit scheinbar fensterlosen, glatten Backsteinmauern einen ganzen Straßenblock ein und gibt
einer form- und charakterlosen Umgebung eindrucksvolle Gestalt. Das Zusammenfassen kleiner,
vielteiliger Formen zu großen Einheiten und durchlaufenden Linien, diese dringendste Aufgabe
des modernen Städtebaus, hat die neue holländische Baukunst bewundernswürdig gelöst und
damit die Misere des individualistischen Einzelbaus des vergangenen Jahrhunderts endlich über-
wunden.
Aber nur aus der Distanz machen die holländischen Wohnkolonien und Geschäftshäuser den
wohltuenden, beruhigenden Eindruck. In der Nähe milchen sich wieder Elemente einer klein-
lichen ornamentalen Spielerei in die schön gedachte Einheit der Häuser. Die Holzverkleidungen,
die nach englisch-holländischer Sitte das Erdgeschoß einrahmen, sind oft von kläglichster Ausfüh-
rung, kleinlichster Erfindung. Auch verliehe ich nicht, wie es sich mit dem Grundsatz der kon-
struktiven Sachlichkeit reimt, daß die Backsteinmauern sich wie Draperien in Falten werfen und
die Fläche wieder unterbrochen wird. Im vergangenen Jahrhundert waren einmal holländische
Gärten in Mode, Miniaturparks mit Rosenstöcken, Goldfischen und bunten Kugeln. Es scheint,
daß auch die neue holländische Architektur von diesem Geschmack der Niedlichkeiten ange-
kränkelt ist und dieses Gift der Kleinlichkeit kann denen zur Gefahr werden, die es mit den
gesunden Ideen der holländischen Städtebaukunst einsehlürfen. Ahnelt nicht überhaupt alle
holländische Architektur der holländischen Genremalerei mit ihrer heute unerträglichen Glätte
und Propertät! Wehe den Nachahmern. Einzig groß in Holland war nur Rembrandt. Daß die
Holländer auch heute noch kein Verständnis für ihn haben, zeigt die Neuordnung des Reichs-
■nuseums, die in den letzten Jahren durchgeführt wurde und die in ihrer Dürftigkeit nur Haß

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