1. November 1 §33, Nr. 1
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Der Kulturlviüe
der jungen Generation
- Bon
(H. H. Theunissen
Wenn in den Jahren der liberalistischen Frei-
heit die Rede vom Kulturwillcn der jungen Gene-
ration war, dann handelte es sich immer nur um
die Proklamation einzelner Gruppen und Schich-
ten, die die Jugend zum Borwand einer intellek-
tualistischen Freiheit nahmen; denn solcher Art
mußte die Freiheit, die sic verkündeten, sein, weil
sie ohne Bezug auf die Natur des Volkes war.
Man wußte zwar genau, daß wahre Kultur nur
auf dem Boden eines freiheitlichen Geistes er-
stehen kann, aber die Gesetze dieser aufbauenden
Freiheit waren von den vielfältigsten Interessen
eines entfesselten Individualismus überschüttet.
Es war ein Leben in unfruchtbaren und spekula-
tiven Gegensätzen, und nichts war selbstverständ-
licher, als daß auch das biologisch Junge gegen das
Alte ausgespielt wurde. Einzig der Umstand, daß
das Junge naturgemäß noch nicht in dem Grade
wie das Alte zersetzt sein konnte, mußte hcrhalten,
ausgeleierten Bemühungen um die Kultur den
Anschein des Unverdorbenen zu verleihen. Es
war der Begriff einer sogenannten jungen Gene-
ration an die geknüpft, die noch zu den Reifenden
ohne Ziel oder, eindringlicher gesagt: zu den-
jenigen gehörten, die alle Vorgänge vorerst noch
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mögen. Das war nicht die Schuld der Unfertigen,
jonoeru das Verhängnis einer binduugstosen
ätuttur- und Staatsauszassung.
Spricht man heute von junger Generation, so
sollen die gemeint sein, die das Jungsein von sich
aus auf das Erlebnis des Staates beziehen können,
die also, welche jung mit und in dem Anfang des
neuen Deutschland sind, jung in der reifen
Kraft des messenden Überblickes, der
allein Verantwortung für die Ver-
hältnisse des Volkes garantiert,
jung in dem Neuen, das sich anschickt, etwas aus
sich herauszustellen, was die höchste Aufgabe bleibt,
die der Nationalsozialismus einem jeden als ein-
ziges, alles umfassendes Ziel setzt: die For-
mung des Volkes in der Nation. Die
ncnen Inhalte hat der Nationalsozialismus aus
der inneren und äußeren Landschaft, in die wir
schicksalhaft hineingeboren sind, einem ganzen
Volke erschlossen und ihm die Gesetze des Ur-
sprunges bis in die Tiefe der religiösen Be-
jahung der Erde aufgezeigt. Die Generation,
die wieder solchen Ursprung in sich fühlt und nur
aus ihm das Recht zur Freiheit ableitet, die ist
jung.
Der Kulturwille des heutigen Deutschland
unterscheidet sich von den kulturellen Bestrebungen
der unlängst abgelaufenen Epoche dadurch, daß ihre
Mittler und Verkünder Politische Menschen
sind, von denen Moeller van den Bruck einmal
gesagt hat, sie müßten „einen Sinn für Unwäg-
barkeiten" und „den Abstand zu den Dingen"
haben. Eine derartige Forderung zielt auf die
Totalität hin und sucht die Zusammenhänge aller
Geschehnisse im Hinblick auf die wesentliche Ein-
heit, die das Volk und seine Führer in der Form
der Nation zu finden trachten, als Ausdruck eines
von ihrer Erde bestimmten Gesetzes zu erfassen,
das zugleich das Gesetz der Kultur ist. Der Gegen-
spieler zu diesem in einem gestaltenden
Sinne Politischen Menschen ist der schlechthin ge-
schichts- und deshalb auch gesichtslose Mensch des
in der Sackgasse des Individualismus stecken-
geblicbcneu Bürgertums, der alle Zielstrebigkeit
der Volkhaften Erneuerung in eine Private Be-
dingtheit umzubiegen versucht, indem er den Maß-
stab der Persönlichen Nutznießung zur Verteidi-
gung seiner Burgherrlichkeit an die irrationalen
Kräfte der totalen Umschichtung legt, um den so-
zialen Konsequenzen der völkischen Wertung zu
entgehen.
Die junge Generation sieht heute in Deutsch-
land eine noch nie vorher gegebene Möglichkeit, zu
verwirklichen: die Bildung einer deut-
schen Gesellschaft, die die Mitteilbarkeit
des deutschen Charakters, die Übereinkunft aller
Gegensätze in einem einzigen, nur dem Deutschen
eigenen Prinzip der Gestalt und des Maßes, in sich
birgt. Der Sozialismus, der diesen Gesellschafts-
bau trägt, begreift in der ständischen Stufung und
naturbedingten Gliederung den Sinn für Größe
nnd Unterscheidung ein. Die Gültigkeit einer
radikalen Wertung, also eines Entschlusses von der
Wurzel her, entscheidet sich in der Fähigkeit, die
Eigengesetzlichkeit der Gestalt als Geschenk und
Verpflichtung der Erde zu sehen, denn alle
Gestalt ist die Spiegelung eines
Maßes, das uns zuwächst. Kultur ist
danu ja auch nichts anderes, denn
das Maß des Geistes an der Land-
schaft. Wo aber der Geist sich vom
Blute trennt, dort erst wird er zum
Widersacher, dort er st treibt er
einen Intellektualismus aus sich
hervor. Aller Kulturwille ist be-
grenzt von der Landschaft, sein Recht
aber leitet er aus dem Maß solcher
Begrenzung und aus der vollkom-
menen Durchdringung von Geist nnd
Stoff her.
Der Prozeß, in den sich die junge Generation
einschaltct, bedeutet eine Evolution zur Form hin.
Die Nation ist die Form eines Volkes. Deutsch-
land ist das einzige Land in Europa, das eine
solche Verwirklichung noch vor sich hat. Jede
Auseinandersetzung über den Untergang des
abendländischen Geistes zerschellt an dieser Tat-
sache, und somit weitet sich die Bedeutung und die
Art eines Kulturwillens der heutigen deutschen
Generation über Deutschland hinaus zu einem
abendländischen Problem, nämlich was Vorbild
anbelangt, denn dieses letztere ist Deutschlands ur-
eigene Aufgabe, alles andere ist Ausstrahlung.
Es ist einmal gesagt worden, man könne zwar
einen Freund, eine Frau, das Vaterland oder die
Heimat lieben, doch einen Staat könne man nicht
lieben. Das ist durchaus richtig, wenn man unter
dem Staat ein mechanistisch organisiertes Kollektiv
versteht, das die Fähigkeiten und Begabungen
eines Volkes nur als nackte, blinde Trieb- und
Treibkräfte aufnimmt; aber in dem Staat, der
diese Kräfte ihrem Ursprünge nach verwendet und
ihnen das natürliche Wirkungsfeld zuteilt, kann
und muß man den Statthalter einer
N a t u r g c m e i n s ch a f t erblicken, dem die
höchste Aufgabe des Geistes zufällt: Ordnung und
Herrschaft, kurz: Sinngebung des Volkes, Sinn-
erhöhung der Volksmasse durch das Prinzip der
Führerschaft. Dieser hierarchische Grundsatz ver-
antwortet in viel stärkerem Maße als die Demo-
kratie die Erhaltung der Eigenschaften und Man-
nigfaltigkeiten, die einer Kultur erst die Sichtbar-
keit der Form geben. Staat und Kultur müssen
so ihren Tiefgang nnd ihre Schwerkraft in der-
selben Voraussetzung haben: in der Bejahung des
gleichen Wertsystems aus der restlosen Durch-
wachsung der Landschaft mit dem deutenden, weg-
bereitenden Geist. Hierin allein liegt die kultur-
gesetzliche Überwindung des Materialismus und
zugleich eine Neuwertung der Materie, von der
aus zum Beispiel die bildenden Künste eine
wesenhafte Neubeurteilung erfahren, da gerade in
ihren Werken der Stoff unlösbar dem Geiste zu-
geordnet sein muß. Farbe, Stein, Holz und Metall
müssen in Besitz genommen und in einem auch
überwunden werden. Der strahlend schöne Sinn
des Wortes und Begriffes Materie feiert seine
Auferstehung; denn liegt nicht in der Materie,
eingeschlossen und behütet, das Mütterliche, die
rnuksr alles dessen, was ist? Aber geschändet
wurde die Materie durch deu Materialismus, der
nicht anerkennen wollte, daß die Unruhe des
Geistes eingehen muß in die Ruhe der Dinglich-
keit, zur Zeugung und Geburt der über alle Zeiten
erhabenen Form.
Zwischen Haß und Intrige, weil führerlos
nnd ohne Herrschaft über die Zusammenhänge des
Einzelnen mit der Nation, schuf der geschichtslose
Mensch des Bürgertums und des Materialismus,
die Kunst als Zirkus betrachtend, Hilfskonstruk-
tionen: proletarische, sozialistische, abstrakte nnd
indifferent-gemütliche Kunst. Immer enger
wurde der Lebensraum im Sozialen, im Künst-
lerischen und Kulturellen. Die Lebenssubstanz des
Volkes wurde partikularisiert. Diesem Totentanz
machten diejenigen ein Ende, die das Gesetz der
Landschaft als Bindung zwischen Staat und Kul-
tur, Kunst und Volk forderten. Der Spuk ver-
flog. Doch auf den Trümmern einer mit sich selbst
zerfallenen Kultur lauern die Verscheuchten, um
Rache zu nehmen an der Kunst, deren Menetekel
sie einst nicht verstanden und deren neues Werden
airs der Einheit der geistig-nationalen Form sie
belachen, denn noch immer denken nnd fühlen sie
in Richtungen, Ismen und Scheinfreiheiten.
(Fortsetzung auf Seite 2)
Veit Stoss, Hand des Berkündigungsengels vom Englischen Gruß. Nürnberg. 1517
Deutsche Bildnisse und Landschaften
in Zeichnungen der Dürer-Zeit
Zur Ausstellung des Berliner Kupferstichkabinetts
Bon
Werner Richard Densch
Als Dürer im Alter von erst dreizehn Jahren
das erstemal zum Silberstift greift, um mit noch
unbeholfener Hand in eckigen Strichen sein Abbild
in der bekannten Zeichnung festzuhaltcn, die sich
heute in Wien befindet, schuf er das erste Selbst-
bildnis der europäischen Kunst. Das Erlebnis der
eigenen Gestalt, Verlorensein in das eigene Ich,
Suchen nach Bestätigung innerer Gefühle, Ver-
antwortlichkeitsbewußtsein vor sich selbst, Züge,
die der nordischen Kunst schon vordem immer in
den bedeutsamsten Phasen ihrer Entwicklung, der
Ottonischen Epoche, der Spätromanik oder der
Mystik des 14. Jahrhunderts, eigen waren, finden
hier in einem anderen Zeitalter symbolhaft neue
Verwirklichung. Ebensowenig, wie der italienische
Künstler bis gegen 1500 ein autonomes Selbstbild-
nis kennt, ebensowenig bezieht er die Landschaft
über das bloß Untergeordnete, Stasfagemäßige,
in sein Schaffen ein: es fehlt ihm der Sinn für
das Individuelle, für das Physiognomische seiner
lebendigen Umgebung, für das Wachsende der
Natur und des Einzelwesens innerhalb einer ge-
danklichen Gebundenheit, die sein Schaffen als
übergeordnete Macht bestimmt. Die Bezugnahme
des Einzelnen zum Kosmos, zu einer herrschenden
kirchlichen oder weltlichen Idee bleibt übergeord-
netes Prinzip. So bleiben die Bildnisse eines
Raffael oder Tizian in erster Linie Zeugen der
repräsentativen Hierarchie des römischen Papst-
tums oder der venezianischen Machtpolitik. Die
Bildnisse eines Dürer oder Cranach dringen ans
der psychologischen Vertiefung in das Wesen des
Dargestellten zu einer Heroisierung des Mensch-
lichen vor, die sie einglicdert in den weiten Kreis
des Porträts nordischer Gestaltung, wie er etwa
durch die Naumburger Stifterfiguren, die Schöp-
fungen eines Rembrandt oder, als Spätblüte, die
Bildnisse der deutschen Romantik bezeichnet wird.
Aus einem Mikrokosmos heraus gelangt der
Künstler des Nordens zu den unmittelbarsten
Schöpfungen und gewaltigsten Äußerungen eines
ungebrochenen Naturgefühls. Kein noch so un-
scheinbares Objekt ist ihm als Borwurf der Dar-
stellung unwürdig: mit fast kindlich anmntender
Lust sammelt Dürer in seinem niederländischen
Reiseskizzenbuch die merkwürdigsten Naturdinge
wie Hörner, Federn, Muscheln, Schneckenhäuser,
Fischflossen und dergleichen mehr, jedem Ding
seinen spezifischen Charakter abgewinnend. Wie
später die Holländer des 17. Jahrhunderts in
immer erneut schwelgender Freude gehäuften
Früchten und Blumen das lebendige Geheimnis
der natürlichen Schöpfung abzuringen versuchen.
Und derselbe Unterschied beherrscht die Auffassung
der Landschaft in Süd und Nord: Menschen und
Lebewesen, nicht von dieser Erde geboren, sondern
dem Gedankengut der Mythologie entsprungen,
führen in kulissenhaft getürmten, gebauten und
formcrstarrten Landschaften der romanischen
Künstler ihr Dasein. In der deutschen Land-
schaft, diene ihr auch noch als Vorwand eine sym-
bolische Szene wie im Frankfurter Liebesgärtlein
des 15. Jahrhunderts oder in Andachtsbildern der
„Maria im Rosenhag", zersprengt die ungehemmte
Freude am sprießenden Reichtum der individuali-
sierten Welt und die unmittelbar-sinnliche Natur-