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Kunst der Nation — 1.1933

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Renger-Patzsch, Albert: Kamera und Landschaftsfotografie
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Deusch, Werner R.: Die Gestalt der Frau: in deutscher und italienischer Prägung
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Zeeck, Hans: Angelica Kauffmann: Die Frau als Malerin
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https://doi.org/10.11588/diglit.66549#0010

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Kunst der Nation

Rcnger-Patzsch, Industrielandschaft bei Essen. Original-Ausnahme


Bilder von Frau Lendvai-Dircksen in langjähriger
Arbeit geschaffen, ausgezeichnet vertreten war,
wirkungsvoll ergänzt durch eine Reihe lebendiger
Trachtenbildcr von Hans Retzlasf, Berlin, und die
deutsche Architektur und Plastik durch eine Reihe
besonders schöner großer und kleiner Drucke der
Staatlichen Bildstelle glänzte, war von der deut-
schen Landschaft so gut wie nichts vorhanden.
Einige Ansätze sah man bei den Amateuren in
den sogenannten Heimatserien, aber auch hier lag
der Nachdruck meist mehr auf anderen Dingen.
Wenn ich das Fehlen von Aufnahmen deutscher
Landschaft feststelle, so möchte ich hierbei den Ton
auf Deutsch gelegt wissen, denn Landschaften gab

Landüknechts-Kpruch
„Äuk Gottes Gnade, gesunden Leib
Mn schönes Bette, ein junges Weib
Rheinischer Wein und ungarisch Gold
Dem sein die Soldaten holdt!"
(München, Im Feldlager 1632)

es natürlich wie Sand am Meer. Auch in
Deutschland aufgenommene natürlich, aber eben
nicht das, was unter deutscher Landschaft ver-
standen werden muß.
... Bon einem Porträt verlangt man selbstver-
ständlich ausgesprochene Ähnlichkeit (es erübrigt
sich zu sagen, daß diese Ähnlichkeit nicht nur in
äußerlichen Dingen liegt, daß sogar oft ein Por-
trät bei ganz vernachlässigter äußerer Form
sprechend ähnlich sein kann). Merkwürdigerweise
ist dieser Grundsatz für die Landschaftsfotografie
noch nicht aufgestellt worden, sondern in den
Büchern, die dieses Thema behandeln — meist
heißt es auch noch die „künstlerische Landschafts-

fotografie" —, ist Wohl seitenlang die Rede von
ästhetischen Belangen und vom Wert der Staffage,
von der Linienführung im Bilde und Ähnlichem
mehr, daß aber die Landschaft ähnlich sein soll, das
scheint man darüber vergessen zu haben. Die un-
heilvollen Nachwirkungen einer Zeit, die in An-
lehnung an die Malerei erst durch manuelle Ein-
griffe mittels Edeldruckverfahren die Fotografie zur
Originalleistung stempeln zu müssen glaubt, macht
sich scheinbar hier besonders unheilvoll bemerkbar.
Denn statt die Leistung zu verbessern, werden die
letzten Züge von Ähnlichkeit mit dem dargestellten
Gegenstand meist verwischt. Aber nicht nur das
Druckverfahren — es gibt nämlich auch saubere

Edeldrucke —, wie die wunderschönen Landschaften
Rosners und die meisterhaften Öldruckporträts
von Hugo Erfurth, um nur zwei Namen heraus-
zugreifen — beweisen, nein, die Motivwahl an sich

Das Figuren-Jdeal klassischer Kunst südländi-
scher Prägung, die ruhende, geschlossene, in sich
begrenzte Form, blieb dem nordischen Künstler ein
entrücktes Ideal, dem nachzustreben er nie müde
wurde. Trotzdem bleibt klassische Schönheit auch
in Fällen, wo, wie bei Dürer oder Marees, der
Ausgleich gefunden zu sein scheint, gebunden in
einer blut- und rassemäßigen Auffassung, die den
Nordländer nicht verkennen läßt. Wenn Dürer
in seiner Proportionslehre von den Gliedern der
menschlichen Gestalt spricht, „wie sie wunderbarlich
ineinander gehen", so trifft er, nacheifernd
dem südlichen Vorbild, unbewußt das Wesentliche
nordischer Gestaltung: die Verflechtung, Ver-
knüpfung und Verschlingung der Einzelformen zu
einer Knäuelung, die Unbegrenztheit des Einzel-
teils zugunsten einer zwingenden Gesamtbewegung,
die den Körper wie die Komposition des Bildes
beherrscht. Demgegenüber arbeitet der südliche
Künstler in Antike und Renaissance auf ein scharf
getrenntes Nebeneinander der plastischen Form,
auf die Intensität des Seins in der isolierten
Figur, auf Erfüllung körperlich-sinnlicher Aus-
drucksmöglichkeiten, die dem Deutschen von vorn-
herein fremd bleiben. Zwischen den springenden
und beweglichen Linien
einer Frauengestalt von
Botticelli und den auf
den ersten Blick verwandt
erscheinenden Akten eines
Cranach klafft ein eben-
so weiter Unterschied
wie zwischen der sinn-
lich-lasziven Oberflächen-
behandlung eines Cor-
reggio und der abstrakt-
verklärten Körperlichkeit
des nordisch-malerischen
Genies Grünewald. „Auch
bei uns lebt ein Ver-
langen, aus dem Bewegt-
Unbegrenzten zu reiner
Gestalt zu gelangen,
aber wir können den
Urgrund des Plastisch-
Unreinen, des Plastisch-
Unfaßbaren nicht Preis-
geben; er ist nicht ein zu
überwindendes für uns,
sondern bleibt der müt-
terliche Boden, aus dem
stellenweise die reine
Form sich erhebt, und eine
Welt, wo alles gleich-
mäßig aus plastische Ge-
stalt abgeklärt wäre, ist
uns auf die Länge uner-
träglich" (Wölfflin).
Die Darstellung des „Frau-
enbades" eines unbekannten
rheinischen Kupferstechers aus
der zweiten Hälfte des
IS. Jahrhunderts (s. Abb.)
uermag, im Vergleich zu den
Aktstudien Signorellis (s.Abb.),
etwa gleichzeitig entstanden,
am anschaulichsten den Unter-
schied zwischen nordischer und
südlicher Auffassung des Körperlichen zu klären. Wie ein Ru-
nen-Ornament überspinnen die Figuren die Bildfläche des
Deutschen, verbinden sich gelenkhaft kzu einer Bewegtheit des
flächigen Auf und Ab, die im räumlichen Sinne keinerlei
Wirkung erstrebt, sondern sich völlig im Nebeneinan-
der der lebendigen Linie erschöpft. Der Italiener erreicht
kompositionell, durch die Bildung plastischer Gruppen, einen
Raumeindruck, die Umrisilinien überschneiden sich zum Zwecke
der Veranschaulichung des Hintereinander, die Ein-
zelformen der Figuren ballen sich zu plastischer Körperlich-
keit, zu einem Naturalismus der Form, dem in dem deutschen
Blatte die Idee einer Form gcgenübersteht, der die natura-
listische Behandlung in beinahe dekorativem Sinne unter-
geordnet ist. Dem Deutschen ist der Körper nicht Selbst-
zweck, sondern Mittel der Darstellung; die sinnliche Greif-
barkeit und Tastbarkeit des südlichen Aktes, das im eigent-

schon ist so getroffen, daß man an das Vorhanden-
sein einer idealen Landschaft in der Borstellungs-
welt der Fotografen glauben muß. Die meist
dazu gewählten Titel legen diesen Gedanken be-
sonders nahe. Wir können da als Unterschriften
von Fotos lesen: „Vom Sturm zermürbt" (Baum-
studie) oder „Abendfrieden" oder „Am Weiher",
„Ein letzter Strahl" und so fort. Nie aber stößt
man auf banale Titel wie Mosellandschaft, Thü-
ringische Hügellandschaft, oder Soester Bocrde,
oder Tal im Schwarzwald. Nun könnte man
meinen, daß zwar diese Landschaften hochtrabende
Titel tragen, wie oben angegeben, aber trotzdem
die weiter unten sachlich bezeichneten Motive dar-
stellen. Aber das ist nicht der Fall, sondern die
dargestellte Gegend hat meist mit nichts oder mit
allem Ähnlichkeit, oder auf Deutsch, die Aufnahme
kann ebensowohl von Deutschland, Frankreich,
Australien oder vom Monde stammen. Nichts
verrät Ähnlichkeit mit einer Landschaft, die typisch
ist für ein bestimmtes Land.
Wie ich schon oben erwähnte, sind verschiedene
Ansätze in der Amaieurfotografie vorhanden, denr
fotografisch so stiefmütterlich behandelten deutschen
Landschaftsbilde etwas mehr Liebe entgegen-
zubringen, und wir Fachfotograsen sind ihnen
dafür, wie auch für die große Frische der Arbeiten
und viele Anregungen auf den verschiedensten
Gebieten dankbar, nur wäre noch zu wünschen,
daß man nicht nur die ausgesprochen schöne Land-
schaft, wie z. B. die Lüneburger Heide, das Hoch-
gebirge usw., so eifrig aufnähme, sondern jeder
sich in der Landschaft, in der er heimisch ist, ver-
suchte, denn nicht nur die als schön berühmte Land-
schaft hat ein Gesicht, sondern auch die von der
Natur etwas stiefmütterlich behandelten Gegen-
den haben charakteristische Züge, die es sich wohl
festzuhalten lohnt.

lichen Wesen „Körperlich-Fleischliche", wird von dem deut-
schen Stecher nicht einmal andeutungsweise zu erfassen ge-
sucht. Der Gotiker, abstrakt, versponnen, problematisierend,
steht dem italienischen Renaissance-Künstler und seiner pul-
sierenden, sinnlichen Vitalität gegenüber. Und wenn,
wenige Jahrzehnte später, Dürer in immer neuem Bemühen
dem Ideal der reinen klassischen Form nachjagt, so tut er
es mit Zirkel und Reißschiene, mit dem Werkzeug verstandes-
mäßigen Denkens und Messens, nicht mit dem Impuls un-
gehemmten sinnlichen Empfindens: es bleibt das Problem,

Leonardo da Vinci (Nachfolger), Leda


das reizt, und das, errungen, als Grundlage benutzt wird
für die größte Eestalten-Schöpfung deutscher Renaissance:
die bekleideten Figuren der vier Apostel. Vasari hat von
seinem südlichen Standpunkte aus das Recht, von Dürers
Stich „Die Eifersucht" zu sa-
gen: „Die Deutschen haben
keine guten Akte, wiewohl man
unter ihnen, wenn sie in Klei-
dern gehen, viele schöne Män-
ner sieht."
Aber neben diesem in der
Zielsetzung auf die begrenzt-
plastische Form gerichteten Ent-
wicklungsstrom deutscher Kunst
bricht immer wieder der go-
tische Formwille Bahn: neben
den runden, völligen, breiten
und mächtigen Figuren Dü-
rers, deren Umrisse in lang-
atmig - rhythmischen Kurven
verlaufen, stehen die eckigen,
dünnen, jugendlich-unentwickel-
ten Mädchengestalten eines
Cranach (s. Abb.), die einen
ununterbrochenen Zusammen-
hang mit dem um etwa sechs
Jahrzehnte früheren Blatt des
„Frauenbades" erkennen lassen.
Die hier abgebildete Venus ist
ein keusches, jungfräuliches,
zaghaft und verschämt von der
Folie waldigen Dickichts sich
lösendes Mädchen, nicht das
reife, verführerische, von sinn-
lich-erotischem Zauber umwit«

Lucas Cranach d. A., Venus. 1533


terte Weib, wie es in dem Gemälde nach Leonardo
(s. Abb.) erscheint und wie es, unter den ver-
schiedensten darstellerischen Motiven, die italienischen Künst-
ler von dieser Zeit an nicht müde werden, in rauschenden
und durchglühten Kompositionen immer wieder von neuem
zu besingen. Auch die Mittel der Darstellung sind in beiden
Gemälden typisch für den Unterschied zwischen Süd und Nord:
hier liegt der ganze Reiz in der schwingenden Musikalität
der Linie, in der Zartheit der Bewegung, hier bleibt die
Gestalt, wie ein Ornament verwachsen mit dem Grund, eins
mit der Natur. Dort, bei Leonardo, modelliert zitterndes
und flutendes Licht die fleischlichen Körperformen, spricht
leidenschaftliche Sinnlichkeit und Selbstbewußtheit des Leibes
aus der Gestalt und den Zügen der Frau, die, mit dem
Schwan zur mächtigen, selbständigen Gruppe geeint, vor
einem großartig gebauten, beinahe theatralischen Land-
schaftshintergrund erscheint. Von hier ist nur ein kurzer
Weg zu dem „Maler der Grazien", zu Correggios ewigen
Variationen sinnlichen Liebeszaubers, die im unbewußten
Gefühl der Anziehung für das polar Entgegengesetzte gerade
die nordischen Künstler — man denke an Mengs — immer
wieder in ihren Bann geschlagen haben.

Oie krau al8 Malerin:
Angelica Kaufsmann
Als Mvdcmalcrin der großen Welt ihrer Zeit
soll sie fertig französisch und englisch und
italienisch so gut wie deutsch gesprochen haben.
Dies allerdings, wie Zeitgenossen berichten, mit
einem Tonfall, als ob sie, die Bregenzerin, aus
dem Sächsischen gebürtig gewesen wäre. Und auch
Wohl kaum geläufig. Wie unbeholfen und unge-
hobelt sie sich schriftlich auszudrücken Pflegte, läßt
sich aus ihren zahlreichen Episteln an Goethe er-
weisen. Herder gibt für ihren Stil den richtigen
Maßstab, wenn er 1789 seiner Frau aus Rom
schreibt: „Nimm ihren Brief gut aus; sie ist nicht
stark in Worten, aber in Taten und eine redliche
Seele!"
Wir können von diesen Taten nicht mehr all-
zuviel wissen, selbst wenn wir erfahren, daß zu
ihren Lebzeiten von Kupferstechern nicht weniger
als sechshundert Bilder Angclicas reproduziert
worden sind, und auch das Urteil kennen, das
Goethe in „Winckelmann und sein Jahrhundert"
über ihre Kunst abgab: „Das Leichte, Heitere, Ge-


LucaSignorelli, Aktstudie». Handzeichnung. Paris


Rheinischer Meister P. M. um 1475, Badeszene. Kupserstich

Die Gestatt der Frau
in deutscher und italienischer Prägung
Von
Werner R. Deusch
 
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