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Kunst der Nation
rück, daß man ein Operntheater überhaupt nicht
von einem geschäftlichen Standpunkt führen kann.
Würde man aber einmal ein Prosatheater von
ebensolchen künstlerischen Gesichtspunkten führen
wie ein Operntheater, dann hätte man auch ein
volles Haus. Natürlich gehört zu einem solchen
„Nichtgeschäftstheater" Geld aus öffentlichen oder
Privaten Mitteln. Die Metropolitan Opera in
New Uork, das Deutsche Theater in Prag und das
Deutsche Volkstheater in Wien werden von Ver-
einen subventioniert, die sich aus den wohlhaben-
den Stammgästen zusammensetzen. Dadurch sind
sie in der Lage, kulturell zu wirken, nämlich ein
Repertoire zu haben und solche Aufführungen
zusammenzubringen, in denen die kleinsten Nollen
von ersten Kräften besetzt sind. Die Geschäfts-
theater aber kaufen nur ein Stück, das sich bereits
„bewährt" hat oder das solche äußeren Effekte ent-
hält, die ein großes Geschäft versprechen. Dann
werden ein bis zwei Stars engagiert, die die
Kassen füllen sollen. Dann wird das Stück so-
lange als Serie zu Tode gespielt, bis sich das
investierte Geld genügend amortisiert hat.
Klassiker werden nur von aktuellen Gesichtspunkten
inszeniert, damit sie vor einem immer wechselnden
Publikum eine Serie durchhalten können. Daher
entsteht der unwürdige Zustand in Deutschland,
daß zwar ein Musikstudent innerhalb weniger
Monate sämtliche klassischen Opern hören kann,
der Germanist aber jahrelang warten muß, bis er
nur einen kleinen Teil der klassischen Dramen auf
der Bühne sehen kann. Es gibt in Wien keinen
kulturell interessierten Gymnasiasten, der nicht die
meisten Dramen von Shakespeare, Goethe,
Schiller, Kleist und Hebbel gesehen hätte. Jeden
Sonntag nachmittag finden in mehreren
Theatern Klassikervorstellungen statt, die sich
eigens an die Jugend wenden. Die Abendvor-
stellungen des Burgtheaters umfassen über eine
Saison das gesamte klassische Repertoire. Das
Burgtheater veranstaltet jährlich im Akademie-
theater einen Zyklus junger Autoren, die das
erstemal zu Worte kommen.
Ein Preußisches Staatstheater, auf dessen
Spielplan sämtliche Stücke von Kleist fehlen, trägt
seinen Namen zu Unrecht. Wenn man nicht heute
die Herrmannschlacht aufführt, dann weiß ich
nicht, wann! Es genügt nicht, ein Stück von
Shakespeare oder Schiller in einer glanzvollen
Inszenierung als Serie zu spielen. Für eine
solche Ehrung sind diese Dichter schon zu lange-
tot. Wir begnügen uns mit weniger guten Auf-
führungen, wenn wir dafür jede Woche ein an-
deres klassisches Stück sehen können. Mit Spitzen-
leistungen möge man lebende Dichter ehren. Aber
für einen reichhaltigen Spielplan braucht man
ein Ensemble. Große Schauspieler, deren Be-
gabung vielseitig ist und die für verschiedene
Rollenfächer in Betracht kommen, wie Werner
Krauß, Wassermann, Heinrich George, Käte Dorsch
und Else Eckersbcrg, gehören ständig ans Staats-
theater und sollen nicht für eine bestimmte Rolle
als Star engagiert werden.
Das Preußische Staatstheater, das den un-
alückseligen Namen „Schauspielhaus am
Gendarmenmarkt" führt, hieß unter Jfflands
Leitung Nationaltheatcr. Es ist der schönste
Theaterbau Deutschlands und der größte deutsche
Dramatiker steht als Denkmal davor. Warum ist
dieses Theater beim Publikum so unbeliebt? Die
anonyme Besuchermasse, die tagtäglich eine
Sensationsinszenierung in einem Zirkus füllen
würde, bleibt aus. Der intime Raum dieses
Theaters müßte ein kultiviertes Stammpublikum
heranbilden, bas dann kommen wird, wenn es
öfter kommen kann.
Italienische Ehrun» eines deutsche» Künstlers
Der Dresdner Maler Edmund Kesting erhielt aus
Gründ seiner kürzlich in Rom gezeigten Lichtbildkompositio-
ncn von der italienischen faschistischen Handwerkskammer das
Verdienstdiplom.
Klimt-Anekdoten
Richard Muther, gefeiertster Kunsthistoriker seiner Zeit,
stand mit Klimt, dem Meister festlich dekorativer Flächen-
kunst und kapriziöser Frauenbildnisse, aus einer Ausstellung
vor den neuesten Erzeugnissen von Klimts „Juwelicrkunst".
Das nämlich war die spöttische Charakterisierung einer
Malerei, die in allen nur möglichen Materialkostbarkeiten,
in Eold-, Opal- und Perlmutterfarben schimmerte. Da nun
der Verfasser der bändereichen Kunstgeschichten gestehen
mutzte, die Bilder nicht zu verstehen, obgleich er sich aus
verschiedene Weife darum bemüht hatte, meinte Klimt:
„Versuchen S'es amal mit Anschauung und Vorurteilslosig-
keit!" Als er sein später berühmt gewordenes Bild „Goldene
Apfel" in Arbeit hatte, wagte ein Besucher den Einwurf,
datz es eine Baumsorte mit solchen Früchten doch nicht gäbe.
„In der Natur vielleicht nicht. Das macht auch gar nichts. —
In der Kunst aber gibt es sie. — Wie Sie hier sehen",
antwortete der Maler, der das Wiener Kunstleben fast
dreitzig Jahre bestimmte und so selbftbewutzt sein konnte,
datz er eine Dame der Wiener Plutokratie, die ihm seinen
Umgang in einfachen Volkskreisen verargte, mit den Worten
abfertigte: „Ach, Sie meinen, gnädige Frau, ich sollte lieber
mit meinesgleichen verkehren? — Das geht schwer und wäre
auch zu fad. Ich kann doch nicht den ganzen Tag im Hof-
museum hcrumlaufen." Das ging schon darum nicht, weil
Bildersehen überhaupt nicht seine starke Seite war. Einmal
kehrte er aus Paris zurück, und die Wiener Freunde, be-
gierig auf Nachrichten aus dem neuen Rom der moderne»
Malerei, überfielen ihn mit Fragen: „Wie war cs denn?
Wie hat's Dir gefallen?" „Gar net", antwortete Klimt,
„es wird furchtbar viel dort gemalt". Diese Abneigung
gegen die Malerei hat ihn, der gleichzeitig mit dem alten
Österreich im August 1014 starb, keineswegs von seinen groben
Monumentalgemäldcn abgehalten. Einmal erregte „Die
Philosophie" einen beispiellosen Sturm der Begeisterung und
Entrüstung. Otto Wagner, der Architekt, der als gewaltige
Autoriät in Kunstsrage» galt, gab, von Ratlosen ob seiner
Meinung befragt, was von dem Bild zu halten fei, den
lapidaren Bescheid: „Alles! Das Erötzte! — Hiazt kann
der Michelangelo zuaspirrn!"
Sachsen
„Was arbeiden Se denn jezd?" fragte ein Dresdener
Akademieprofcssor einen Kollegen.
„Ich male jezd weiblichen Agd."
„So? — lln was sachd die Frau Gemahlin dazu?"
„Gar nichds. — Ich mache Sie das nämlich so: ich male
mich selbsd im Schbiechel und hernach dransbonier ich mich
ins Weibliche."
Bildbericht und Theater
Nachträgliches zur „Kamera"
Nach der überreichen Bescherung in dieser Aus-
stellung dürfen wir doch noch mit dem un-
erfüllten Wunschzettel kommen. Wir konnten den
Journalisten des Objektivs bewundern, der es
im Atemzug der Zeit gelegentlich schon zur
Monumentalität gebracht hat. Aber eines fehlte
fast ganz: die Bühne! Und diesen Anspruch
melden wir an. Auf die Dauer können wir im
lichen Alltagsbildern, die in den Zeitschriften
gerade das Grauen des Unkünstlerischen und Ma-
teriellen bei unseren Bühnenvorgängen festhalten
und Anspruchslosigkeit verbreiten helfen.
Die photographische Kamera findet gewiß ihre
Grenzen an der Weite des Bühnenraums. Aber
seine Gestaltung ist ja in der letzten Generation
ungeheuerlich überschätzt auf Kosten desWesen t-
lichen am Theater, der menschlichen
Gestalt. Sie steht fürs Bühnenbild ein, aus
ihrem Leben und Weben im Element der
Szene, das voller Spannungen von Raum und
Licht, von Ton und Rhythmus ist, beruht das
Kunstwerk der Bühne.
Spielen, d. h. an-
ders, mehr, leich-
ter und höher sein als
der Alltag, ist ihr Gesetz.
Wer das im Bild er-
fassen will, braucht mehr
als Kamera und Licht',
er darf schon ein Stück
von der Besessenheit des
Spielers in sich haben,
um zu folgen, und die
Zündung in ihm muß
gleichzeitig den Apparat
auslösen. Nur dann
wird von dem Schwe-
ben, Strömen und
Stocken im Kunstwerk da
oben Wesentlicheres zu
fassen sein als das, was
dem Schauspieler mit
jedem Statisten gemein-
sam ist: ein mit Stoss
behängter Körper in ma-
terieller Erdgebundenheit.
Was geht dem Künst-
Kunstbericht das photographische Referat vom
Theater nicht mehr missen.
Wohl gab es einen ganzen Korridor mit
szenischen Aufnahmen von der deutschen Bühne.
Aber sie unterschieden sich in nichts von den üb-
ler verloren, wenn dieser
bildhafte Bericht seines eigentlichen Wesens ver-
sagt? Ihm fehlt die Möglichkeit, sich selbst zu
sehen, sich an seiner Spiegelung zu kontrolliere».
Er büßt jede Gelegenheit ein, in seiner Selbst-
genügsamkeit einmal bange zu werden; und die
Photographie wäre noch ein radikales Mittel, den
Dilettantismus zu bekämpfen!
Man weiß, es gibt Schauspielerbilder genug;
aber wer das Theater in ihnen sucht, wird den
eitlen Mimen oder den eitlen Photographen darin
finden: gestellte Posen in interessant gemachter
Beleuchtung, festgenagelte Gruppen, Peinlich
minutenlanges Herumstehen verewigt, nur nicht
diese köstlichste aller Lösungen vom Alltag, die
wir Spiel nennen.
Dem Tänzer weiß mancher im Flug gerecht zu
werden; von den wenigen in die Kamera ge-
langten Szenenbildern flüchtete man sich zu den
Sportaufnahmen, den köstlichen Regatten, Spring-
turnieren, ja selbst der Billardspieler hat mehr
Gnade gefunden vor dem Objektiv.
Vor Jahren gab es einen Photographen, der
mit einem Hermanox-Apparat und seinem Spiel-
instinkt auf die Pirsch durch die Theater ging und
wesentliche Momente im Fluge haschte. Kaum
ein Schauspieler hat sich um seine eigenen Auf-
nahmen damals gekümmert. Jetzt liegen sie im
Erbbegräbnis irgend eines philologischen Theater-
museums beigesetzt ohne Wirkung, wie das Vor-
bild ohne Folge geblieben ist.
Daß Schauspielen bildende Kunst sein kann,
daß die Wandlung in die Rolle dem Geistwerden
des Materials gleichkommt, daß ein großer Spieler
die Eigenschaften des Malers und Bildners auf
seine eigene Körperlichkeit wirken läßt, dafür mag
hier das Bild von Werner Krauß als Doktor
Scapinelli im „Student von Prag" stehen. Der
Zauberer, dem sich der Student ergab, lenkt auf
der Höhe der Heide die Jagd in seine magischen
Kreise. Wie das Feld, so beherrscht er das Bild
mit einer magischen Gewalt; seine Besessenheit
nimmt Besitz von dem modernen Kleid: Zylinder,
Überrock, Regenschirm, ja sie schwillt recht in
diese alltäglichen Hüllen hinein, bis sich der Kon-
tur schließt zur gewaltig herrschenden Silhouette
und über allen Anklang an den trivialen Alltag
hinaus das Erlebnis zur Monumentalität steigert.
Eine magische Gewalt: die Gewalt des Magiers
geht wie ein Schauer von ihr aus; vom ver-
fließenden flüchtigen Schattenbild tragen wir die
dämonische Einwirkung fort. N ... s
Was ist deutsch
an der Kunst der Deutschen?
Bon Hans Eckstein
Die Frage wird heute nicht zum erstenmal ge-
stellt. Dafür ist sie für den Deutschen zu charakte-
ristisch. „Serlio fing an über Kunst zu sprechen
— lesen wir in Wilhelm Meisters Lehrjahre —
denn er war am Ende doch ein Deutscher und diese
Nation gibt sich gern Rechenschaft von dem, was
sie tut." Doch war die Frage noch nie von der
Aktualität wie heute. Es hat den Anschein als
hinge von der Antwort, die wir auf sie geben, das
Schicksal der Kunst in Deutschland ab. Denn an
die Kunst der Zukunft tritt als neue unerbittliche
Forderung heran, daß sie in auszeichnendem Sinne
Manifestation des deutschen Charakters sei. Alle
Kunst aber, die das nicht ist, soll keinerlei Förde-
rung durch Staat und Volk erfahren.
In Bezug auf die gegenwärtige Kunst wird
die Frage, was deutsch an ihr sei, sehr verschieden
beantwortet, nicht erst heute, sondern aucy ;chon
vor dem Kriege war es so, als noch der Impressio-
nismus im Mittelpunkt der Diskussion stand.
Denn bei der Beurteilung neuer Kunst schwingt
immer ein Aktualitätsgesühl mit, das die ruhige
objektivierende Betrachtung, wie sie bei alter Kunst
nicht nur möglich, sondern zur Selbstverständlich-
keit geworden ist, erschwert. Wir empfinden neue
Kunst unwillkürlich in erster Linie als Ausdruck
des Zeitwesens; wir fühlen uns — als Subjekt
dieses Zeitwesens — durch sie bestätigt oder aber
wir fühlen, daß uns ein Zeitgenosse widerspricht —
und eben dies Widerspruchsvolle des Zeitwesens ist
so aufregend, beunruhigend. Beim Betrachten alter
Kunst treten Beschauer und Kunstwerk nicht so
sehr als Subjekt und Subjekt einander gegenüber,
sondern mehr als Subjekt und Objekt. Fühlen
wir uns in irgendwelchem Widerspruch zu dem
Kunstwerk der Vergangenheit, so beunruhigt uns
das gar nicht so sehr. Da der Widerspruch nicht
aus unserer eigenen Zeit kommt, empfinden wir
ihn nicht unmittelbar gegen uns laut werdend.
Wir bewundern oder lehnen ab aus einer Distanz,
die bei aller Hingabe bestehen bleibt. Eben der
Mangel dieser Distanz führt der zeitgenössischen
Kunst gegenüber zu jenen Wertungen, die sich
später als Fehlurteile erweisen. „Gegenwart" ist
nie eine einheitliche Zeit; es sind an ihr immer
soviel „Gegenwarten" beteiligt wie Generationen,
was als Problem für die Kunstgeschichte Wilhelm
Pinder umfassend beleuchtete („Das Provlem
der Generation", Berlin 1926). Jede Generation
hat ihr eigenes Aktualitätsgefühl, das Alter ein
anderes als die Jugend, und da geistige Entschei-
dungen als Wirklichkeiten von der Allgemeinheit
nicht sogleich erfaßt werden, hat das ratter ooer
doch die mittlere Generation regelmäßig die Mehr-
heit auf seiner Seite, die Jugend und das Neue
bleiben in der Minderheit. Alle Modernität liegt
in der Gefühlsspannung zwischen den traditio-
nellen Lebensinhalten und -formen und dem Be-
wußtsein des Andersseins, das jede neue Genera-
tion der vorhergehenden gegenüber hat. In Spät-
zeiten, wo das unbewußt Schöpferische als be-
wußte Gesinnung und formuliertes Problem auf-
taucht, stoßen die Generationsgegensätze besonders
heftig aufeinander. So haben wir nicht erst heute
erlebt, wie das Neue oft als so fremdartig emp-
funden werden kann, daß man es sogar als etwas
außerhalb der organischen Entwicklungsmöglich-
keiten des Nationalen Liegendes, als volksfremd
bezeichnet. Das Aktualitätsgefühl ist in solchen
Fällen stärker als das Gefühl für das Volkhafte,
Nationale, das da in gewandelter Erscheinung
Ausdruck findet.
Schon das 19. Jahrhundert ist überreich an
solchen Fehlurteilen. Wie wurden die deutschen
Maler der Romantik mißverstanden! — Wie Ma-
rses! Mau liest heute mit Staunen, wie der
Herold des Lenbach-München, Friedrich Pecht, im
Namen einer Kunst, die er für die nationale
hielt, die größere und deutschere Kunst eines Leibl
kritisierte. Leibl suche, schrieb Pecht, „ganz syste-
matisch das Schöne im Häßlichen, in der möglichen
Verunstaltung von Gottes Ebenbild... Diesen
Kultus der Häßlichkeit überdies noch gewißen
Franzosen zu entlehnen, war um so weniger not-
wendig, als unsere Altdeutschen darin auch schon
Erkleckliches geleistet haben, ohne durch den frechen
Zynismus zu beleidigen, der diese Courbetsche
Schule so widerwärtig macht. Es gibt doch keine
Narrheit, die wir unseren überrheinischen Nach-
barn nicht bereitwillig nachäsften..." — Und was
schrieb dieser selbe Pecht doch in den 90er Jahren
über Hans Thoma? — Er wnrde abgetan als ein
„nicht ganz talentloser Vertreter sozialistischer
Malerei"!!!*)
Die lebhafte Diskussion, die nun, durch neu
ausgetretene Gemeinschaftssorderungen ansgelöst,
um Kunstfragen einsetzt, wird nur dann fruchtbar
sein können, wenn wir den Punkt finden, von dem
aus die verschiedenen Vorurteile aufzulösen sind.
Die Widersprüche des Zeitwesens, die Gegensätz-
lichkeit generationsbedingter Anschauungen lassen
sich nicht beseitigen. Es gilt aber den Kampf
zwischen ihnen, der durch eine überbetriebsame
Propaganda von den leitenden Ideen abgelenkt zu
werden droht, zu verwesentlichen und zu versach-
lichen. Es muß vor allem unterlassen werden, den
Gegner mit Argumenten zu bekämpfen, die nichts
mit der Sache zu tun haben, die er vertritt. Gewiß
wird man dem Gegner und seinen Argumenten
nicht von vornherein jede Existenzberechtigung ab-
sprechen dürfen. Auch noch die törichtsten Vor-
urteile haben ihre vitalen Gründe. Man wird
aber auch nicht jedes Neue grundsätzlich und unter-
schiedslos ablehnen dürfen, nur weil es einem be-
") Es hat den Anschein, als habe Herr Kurt Karl
Eberlein den Ehrgeiz, mit seinem Pamphlet „Was ist
deutsch in der deutschen Kunst?" der Pecht des 20. Jahr-
hunderts zu werden. Vgl. S. k. Die Red.
stimmten Begriff von Tradition oder einer be-
stimmten Vorstellung von deutschem Wesens-
ausdruck, die man hat, nicht entspricht.
Der nationalsozialistische Kampf um die Kunst
war, was zunächst übersehen werden mochte, von
Anfang an nicht nur ein Kampf nach außen,
sondern auch eine Auseinandersetzung zwischen
verschiedenen Anschauungen innerhalb der natio-
nalsozialistischen Bewegung selbst. Einigkeit be-
steht aber Wohl darüber, daß die nationale Ge-
sinnung allein nicht genügt, sondern letzlich
ausschlaggebend sein muß die künstlerische
Qualität. Aber was die einen „formzersetzend"
nennen und als künstlerischen Ausdruck des Bol-
schewismus anprangern, gilt den anderen als eine
der reinsten Manifestationen deutschen Geistes. Es
stoßen hier generationsbedingte Kunstanschauun-
gen, zwei verschiedene Gegenwarten hart aufein-
ander. Auf die Frage, mit welchem Recht die eine
Kunstrichtung deutsch und die andere undeutsch
oder gar bolschewistisch bezeichnet wird, läßt sich
leider keine andere Erklärung geben als die, daß
hier das für beide Anschauungen selbstverständliche
Bekenntnis zum Deutschtum als Argument für
eine Sache zu dienen hat, die mit diesem Bekennt-
nis nicht das geringste zu tun hat.
Ein Künstler hat das Recht, aus Selbst-
erhaltungstrieb etwa einen Nolde oder Barlach
abzulehnen. Man wird ihm jedoch schärfstens.
widersprechen müssen, wenn er seine Kunst und
seine Kunstauffassung als die allein mögliche
und allein deutsche bezeichnet und Künstler, die
nicht minder deutsch sind, als Verräter am
Deutschtum anzuprangern versucht. Denn daß
Nolde — um nur einen als Repräsentanten einer
mächtigen neueren Kunstbewegung herauszugrei-
Cin sehr zeitgemäßes Wort
Caspar David Friedrichs:
„N. N. ist bekannt wegen seiner Neigung,
düstere Gegenstände zu malen, ohne daß man je-
doch in seinem Umgang Heiterkeit des Herzens
vermißte. Seine Freunde aber sind bemüht, ihn
von dieser Neigung abzulenken und beauftragen
ihn, heitere Gegenstände zu malen. Seiner Natur
nach kann er Wohl nie mit Wohlgefallen oder Lust
solche Aufträge ausführen, während er mit hei-
terem Sinne trübe Lüfte und ernste, düstere Land-
schaften darstellen würde. — O ihr Gutmütigen!
die ihr so ganz und gar nicht das innere Drän-
gen und Treiben der Seele erkennt und nicht den
Menschen, wie ihn der liebe Gott geschaffen und
geprägt und gestempelt hat, wollet, sondern wie
die Zeit und die Mode es will. — Uber Cha-
rakterlosigkeit klagt unsere Zeit, und doch, wo nur
einigermaßen Charakter angetrofsen wird, sucht
man ihn zu unterdrücken. —"
fen — trotz Südseereise und trotz der Romantik
seines phantasierenden Exotismus deutsch sowohl
nach Abstammung (schleswiger Bauernsohn!) als
nach Gesinnung ist, steht über allem Zweifel.
Seine Kunst ist das Ergebnis eines Aufbruchs des
deutschen Willens zur Transzendenz gegen die Erb-
schaft klassischer Überlieferung. Als eigentümlich
deutsch, als Reaktion deutschen Empfindens gegen
den übernationalen Klassizismus und das in ge-
wissem Sinne die europäische Kunst entnationali-
siernde l'art pour l'art: des Impressionismus ist
auch der deutsche Expressionismus und im beson-
deren die Kunst Noldes und seiner Geistes-
verwandten immer aufgefaßt worden. Gewiß
liegen in diesem elementaren Ausbruch gewaltiger
Seelenspannungen auch die Gefahren und Grenzen
der Noldeschen Kunst: die Gefahr einer gestalt-
losen Pathetik und die Grenzen, die künstlerisch
mit dem unmittelbaren, spontanen Ausdruck eksta-
tischer Farbenerlebnisse immer gegeben sind. Aber
sind auch diese Gefahren und Grenzen nicht ur-
deutsche? Wir finden sie drohend und gebannt,
hemmend und überwunden in der altgermanischen
und altdeutschen Kunst wieder und wieder.
Kunst der Nation
rück, daß man ein Operntheater überhaupt nicht
von einem geschäftlichen Standpunkt führen kann.
Würde man aber einmal ein Prosatheater von
ebensolchen künstlerischen Gesichtspunkten führen
wie ein Operntheater, dann hätte man auch ein
volles Haus. Natürlich gehört zu einem solchen
„Nichtgeschäftstheater" Geld aus öffentlichen oder
Privaten Mitteln. Die Metropolitan Opera in
New Uork, das Deutsche Theater in Prag und das
Deutsche Volkstheater in Wien werden von Ver-
einen subventioniert, die sich aus den wohlhaben-
den Stammgästen zusammensetzen. Dadurch sind
sie in der Lage, kulturell zu wirken, nämlich ein
Repertoire zu haben und solche Aufführungen
zusammenzubringen, in denen die kleinsten Nollen
von ersten Kräften besetzt sind. Die Geschäfts-
theater aber kaufen nur ein Stück, das sich bereits
„bewährt" hat oder das solche äußeren Effekte ent-
hält, die ein großes Geschäft versprechen. Dann
werden ein bis zwei Stars engagiert, die die
Kassen füllen sollen. Dann wird das Stück so-
lange als Serie zu Tode gespielt, bis sich das
investierte Geld genügend amortisiert hat.
Klassiker werden nur von aktuellen Gesichtspunkten
inszeniert, damit sie vor einem immer wechselnden
Publikum eine Serie durchhalten können. Daher
entsteht der unwürdige Zustand in Deutschland,
daß zwar ein Musikstudent innerhalb weniger
Monate sämtliche klassischen Opern hören kann,
der Germanist aber jahrelang warten muß, bis er
nur einen kleinen Teil der klassischen Dramen auf
der Bühne sehen kann. Es gibt in Wien keinen
kulturell interessierten Gymnasiasten, der nicht die
meisten Dramen von Shakespeare, Goethe,
Schiller, Kleist und Hebbel gesehen hätte. Jeden
Sonntag nachmittag finden in mehreren
Theatern Klassikervorstellungen statt, die sich
eigens an die Jugend wenden. Die Abendvor-
stellungen des Burgtheaters umfassen über eine
Saison das gesamte klassische Repertoire. Das
Burgtheater veranstaltet jährlich im Akademie-
theater einen Zyklus junger Autoren, die das
erstemal zu Worte kommen.
Ein Preußisches Staatstheater, auf dessen
Spielplan sämtliche Stücke von Kleist fehlen, trägt
seinen Namen zu Unrecht. Wenn man nicht heute
die Herrmannschlacht aufführt, dann weiß ich
nicht, wann! Es genügt nicht, ein Stück von
Shakespeare oder Schiller in einer glanzvollen
Inszenierung als Serie zu spielen. Für eine
solche Ehrung sind diese Dichter schon zu lange-
tot. Wir begnügen uns mit weniger guten Auf-
führungen, wenn wir dafür jede Woche ein an-
deres klassisches Stück sehen können. Mit Spitzen-
leistungen möge man lebende Dichter ehren. Aber
für einen reichhaltigen Spielplan braucht man
ein Ensemble. Große Schauspieler, deren Be-
gabung vielseitig ist und die für verschiedene
Rollenfächer in Betracht kommen, wie Werner
Krauß, Wassermann, Heinrich George, Käte Dorsch
und Else Eckersbcrg, gehören ständig ans Staats-
theater und sollen nicht für eine bestimmte Rolle
als Star engagiert werden.
Das Preußische Staatstheater, das den un-
alückseligen Namen „Schauspielhaus am
Gendarmenmarkt" führt, hieß unter Jfflands
Leitung Nationaltheatcr. Es ist der schönste
Theaterbau Deutschlands und der größte deutsche
Dramatiker steht als Denkmal davor. Warum ist
dieses Theater beim Publikum so unbeliebt? Die
anonyme Besuchermasse, die tagtäglich eine
Sensationsinszenierung in einem Zirkus füllen
würde, bleibt aus. Der intime Raum dieses
Theaters müßte ein kultiviertes Stammpublikum
heranbilden, bas dann kommen wird, wenn es
öfter kommen kann.
Italienische Ehrun» eines deutsche» Künstlers
Der Dresdner Maler Edmund Kesting erhielt aus
Gründ seiner kürzlich in Rom gezeigten Lichtbildkompositio-
ncn von der italienischen faschistischen Handwerkskammer das
Verdienstdiplom.
Klimt-Anekdoten
Richard Muther, gefeiertster Kunsthistoriker seiner Zeit,
stand mit Klimt, dem Meister festlich dekorativer Flächen-
kunst und kapriziöser Frauenbildnisse, aus einer Ausstellung
vor den neuesten Erzeugnissen von Klimts „Juwelicrkunst".
Das nämlich war die spöttische Charakterisierung einer
Malerei, die in allen nur möglichen Materialkostbarkeiten,
in Eold-, Opal- und Perlmutterfarben schimmerte. Da nun
der Verfasser der bändereichen Kunstgeschichten gestehen
mutzte, die Bilder nicht zu verstehen, obgleich er sich aus
verschiedene Weife darum bemüht hatte, meinte Klimt:
„Versuchen S'es amal mit Anschauung und Vorurteilslosig-
keit!" Als er sein später berühmt gewordenes Bild „Goldene
Apfel" in Arbeit hatte, wagte ein Besucher den Einwurf,
datz es eine Baumsorte mit solchen Früchten doch nicht gäbe.
„In der Natur vielleicht nicht. Das macht auch gar nichts. —
In der Kunst aber gibt es sie. — Wie Sie hier sehen",
antwortete der Maler, der das Wiener Kunstleben fast
dreitzig Jahre bestimmte und so selbftbewutzt sein konnte,
datz er eine Dame der Wiener Plutokratie, die ihm seinen
Umgang in einfachen Volkskreisen verargte, mit den Worten
abfertigte: „Ach, Sie meinen, gnädige Frau, ich sollte lieber
mit meinesgleichen verkehren? — Das geht schwer und wäre
auch zu fad. Ich kann doch nicht den ganzen Tag im Hof-
museum hcrumlaufen." Das ging schon darum nicht, weil
Bildersehen überhaupt nicht seine starke Seite war. Einmal
kehrte er aus Paris zurück, und die Wiener Freunde, be-
gierig auf Nachrichten aus dem neuen Rom der moderne»
Malerei, überfielen ihn mit Fragen: „Wie war cs denn?
Wie hat's Dir gefallen?" „Gar net", antwortete Klimt,
„es wird furchtbar viel dort gemalt". Diese Abneigung
gegen die Malerei hat ihn, der gleichzeitig mit dem alten
Österreich im August 1014 starb, keineswegs von seinen groben
Monumentalgemäldcn abgehalten. Einmal erregte „Die
Philosophie" einen beispiellosen Sturm der Begeisterung und
Entrüstung. Otto Wagner, der Architekt, der als gewaltige
Autoriät in Kunstsrage» galt, gab, von Ratlosen ob seiner
Meinung befragt, was von dem Bild zu halten fei, den
lapidaren Bescheid: „Alles! Das Erötzte! — Hiazt kann
der Michelangelo zuaspirrn!"
Sachsen
„Was arbeiden Se denn jezd?" fragte ein Dresdener
Akademieprofcssor einen Kollegen.
„Ich male jezd weiblichen Agd."
„So? — lln was sachd die Frau Gemahlin dazu?"
„Gar nichds. — Ich mache Sie das nämlich so: ich male
mich selbsd im Schbiechel und hernach dransbonier ich mich
ins Weibliche."
Bildbericht und Theater
Nachträgliches zur „Kamera"
Nach der überreichen Bescherung in dieser Aus-
stellung dürfen wir doch noch mit dem un-
erfüllten Wunschzettel kommen. Wir konnten den
Journalisten des Objektivs bewundern, der es
im Atemzug der Zeit gelegentlich schon zur
Monumentalität gebracht hat. Aber eines fehlte
fast ganz: die Bühne! Und diesen Anspruch
melden wir an. Auf die Dauer können wir im
lichen Alltagsbildern, die in den Zeitschriften
gerade das Grauen des Unkünstlerischen und Ma-
teriellen bei unseren Bühnenvorgängen festhalten
und Anspruchslosigkeit verbreiten helfen.
Die photographische Kamera findet gewiß ihre
Grenzen an der Weite des Bühnenraums. Aber
seine Gestaltung ist ja in der letzten Generation
ungeheuerlich überschätzt auf Kosten desWesen t-
lichen am Theater, der menschlichen
Gestalt. Sie steht fürs Bühnenbild ein, aus
ihrem Leben und Weben im Element der
Szene, das voller Spannungen von Raum und
Licht, von Ton und Rhythmus ist, beruht das
Kunstwerk der Bühne.
Spielen, d. h. an-
ders, mehr, leich-
ter und höher sein als
der Alltag, ist ihr Gesetz.
Wer das im Bild er-
fassen will, braucht mehr
als Kamera und Licht',
er darf schon ein Stück
von der Besessenheit des
Spielers in sich haben,
um zu folgen, und die
Zündung in ihm muß
gleichzeitig den Apparat
auslösen. Nur dann
wird von dem Schwe-
ben, Strömen und
Stocken im Kunstwerk da
oben Wesentlicheres zu
fassen sein als das, was
dem Schauspieler mit
jedem Statisten gemein-
sam ist: ein mit Stoss
behängter Körper in ma-
terieller Erdgebundenheit.
Was geht dem Künst-
Kunstbericht das photographische Referat vom
Theater nicht mehr missen.
Wohl gab es einen ganzen Korridor mit
szenischen Aufnahmen von der deutschen Bühne.
Aber sie unterschieden sich in nichts von den üb-
ler verloren, wenn dieser
bildhafte Bericht seines eigentlichen Wesens ver-
sagt? Ihm fehlt die Möglichkeit, sich selbst zu
sehen, sich an seiner Spiegelung zu kontrolliere».
Er büßt jede Gelegenheit ein, in seiner Selbst-
genügsamkeit einmal bange zu werden; und die
Photographie wäre noch ein radikales Mittel, den
Dilettantismus zu bekämpfen!
Man weiß, es gibt Schauspielerbilder genug;
aber wer das Theater in ihnen sucht, wird den
eitlen Mimen oder den eitlen Photographen darin
finden: gestellte Posen in interessant gemachter
Beleuchtung, festgenagelte Gruppen, Peinlich
minutenlanges Herumstehen verewigt, nur nicht
diese köstlichste aller Lösungen vom Alltag, die
wir Spiel nennen.
Dem Tänzer weiß mancher im Flug gerecht zu
werden; von den wenigen in die Kamera ge-
langten Szenenbildern flüchtete man sich zu den
Sportaufnahmen, den köstlichen Regatten, Spring-
turnieren, ja selbst der Billardspieler hat mehr
Gnade gefunden vor dem Objektiv.
Vor Jahren gab es einen Photographen, der
mit einem Hermanox-Apparat und seinem Spiel-
instinkt auf die Pirsch durch die Theater ging und
wesentliche Momente im Fluge haschte. Kaum
ein Schauspieler hat sich um seine eigenen Auf-
nahmen damals gekümmert. Jetzt liegen sie im
Erbbegräbnis irgend eines philologischen Theater-
museums beigesetzt ohne Wirkung, wie das Vor-
bild ohne Folge geblieben ist.
Daß Schauspielen bildende Kunst sein kann,
daß die Wandlung in die Rolle dem Geistwerden
des Materials gleichkommt, daß ein großer Spieler
die Eigenschaften des Malers und Bildners auf
seine eigene Körperlichkeit wirken läßt, dafür mag
hier das Bild von Werner Krauß als Doktor
Scapinelli im „Student von Prag" stehen. Der
Zauberer, dem sich der Student ergab, lenkt auf
der Höhe der Heide die Jagd in seine magischen
Kreise. Wie das Feld, so beherrscht er das Bild
mit einer magischen Gewalt; seine Besessenheit
nimmt Besitz von dem modernen Kleid: Zylinder,
Überrock, Regenschirm, ja sie schwillt recht in
diese alltäglichen Hüllen hinein, bis sich der Kon-
tur schließt zur gewaltig herrschenden Silhouette
und über allen Anklang an den trivialen Alltag
hinaus das Erlebnis zur Monumentalität steigert.
Eine magische Gewalt: die Gewalt des Magiers
geht wie ein Schauer von ihr aus; vom ver-
fließenden flüchtigen Schattenbild tragen wir die
dämonische Einwirkung fort. N ... s
Was ist deutsch
an der Kunst der Deutschen?
Bon Hans Eckstein
Die Frage wird heute nicht zum erstenmal ge-
stellt. Dafür ist sie für den Deutschen zu charakte-
ristisch. „Serlio fing an über Kunst zu sprechen
— lesen wir in Wilhelm Meisters Lehrjahre —
denn er war am Ende doch ein Deutscher und diese
Nation gibt sich gern Rechenschaft von dem, was
sie tut." Doch war die Frage noch nie von der
Aktualität wie heute. Es hat den Anschein als
hinge von der Antwort, die wir auf sie geben, das
Schicksal der Kunst in Deutschland ab. Denn an
die Kunst der Zukunft tritt als neue unerbittliche
Forderung heran, daß sie in auszeichnendem Sinne
Manifestation des deutschen Charakters sei. Alle
Kunst aber, die das nicht ist, soll keinerlei Förde-
rung durch Staat und Volk erfahren.
In Bezug auf die gegenwärtige Kunst wird
die Frage, was deutsch an ihr sei, sehr verschieden
beantwortet, nicht erst heute, sondern aucy ;chon
vor dem Kriege war es so, als noch der Impressio-
nismus im Mittelpunkt der Diskussion stand.
Denn bei der Beurteilung neuer Kunst schwingt
immer ein Aktualitätsgesühl mit, das die ruhige
objektivierende Betrachtung, wie sie bei alter Kunst
nicht nur möglich, sondern zur Selbstverständlich-
keit geworden ist, erschwert. Wir empfinden neue
Kunst unwillkürlich in erster Linie als Ausdruck
des Zeitwesens; wir fühlen uns — als Subjekt
dieses Zeitwesens — durch sie bestätigt oder aber
wir fühlen, daß uns ein Zeitgenosse widerspricht —
und eben dies Widerspruchsvolle des Zeitwesens ist
so aufregend, beunruhigend. Beim Betrachten alter
Kunst treten Beschauer und Kunstwerk nicht so
sehr als Subjekt und Subjekt einander gegenüber,
sondern mehr als Subjekt und Objekt. Fühlen
wir uns in irgendwelchem Widerspruch zu dem
Kunstwerk der Vergangenheit, so beunruhigt uns
das gar nicht so sehr. Da der Widerspruch nicht
aus unserer eigenen Zeit kommt, empfinden wir
ihn nicht unmittelbar gegen uns laut werdend.
Wir bewundern oder lehnen ab aus einer Distanz,
die bei aller Hingabe bestehen bleibt. Eben der
Mangel dieser Distanz führt der zeitgenössischen
Kunst gegenüber zu jenen Wertungen, die sich
später als Fehlurteile erweisen. „Gegenwart" ist
nie eine einheitliche Zeit; es sind an ihr immer
soviel „Gegenwarten" beteiligt wie Generationen,
was als Problem für die Kunstgeschichte Wilhelm
Pinder umfassend beleuchtete („Das Provlem
der Generation", Berlin 1926). Jede Generation
hat ihr eigenes Aktualitätsgefühl, das Alter ein
anderes als die Jugend, und da geistige Entschei-
dungen als Wirklichkeiten von der Allgemeinheit
nicht sogleich erfaßt werden, hat das ratter ooer
doch die mittlere Generation regelmäßig die Mehr-
heit auf seiner Seite, die Jugend und das Neue
bleiben in der Minderheit. Alle Modernität liegt
in der Gefühlsspannung zwischen den traditio-
nellen Lebensinhalten und -formen und dem Be-
wußtsein des Andersseins, das jede neue Genera-
tion der vorhergehenden gegenüber hat. In Spät-
zeiten, wo das unbewußt Schöpferische als be-
wußte Gesinnung und formuliertes Problem auf-
taucht, stoßen die Generationsgegensätze besonders
heftig aufeinander. So haben wir nicht erst heute
erlebt, wie das Neue oft als so fremdartig emp-
funden werden kann, daß man es sogar als etwas
außerhalb der organischen Entwicklungsmöglich-
keiten des Nationalen Liegendes, als volksfremd
bezeichnet. Das Aktualitätsgefühl ist in solchen
Fällen stärker als das Gefühl für das Volkhafte,
Nationale, das da in gewandelter Erscheinung
Ausdruck findet.
Schon das 19. Jahrhundert ist überreich an
solchen Fehlurteilen. Wie wurden die deutschen
Maler der Romantik mißverstanden! — Wie Ma-
rses! Mau liest heute mit Staunen, wie der
Herold des Lenbach-München, Friedrich Pecht, im
Namen einer Kunst, die er für die nationale
hielt, die größere und deutschere Kunst eines Leibl
kritisierte. Leibl suche, schrieb Pecht, „ganz syste-
matisch das Schöne im Häßlichen, in der möglichen
Verunstaltung von Gottes Ebenbild... Diesen
Kultus der Häßlichkeit überdies noch gewißen
Franzosen zu entlehnen, war um so weniger not-
wendig, als unsere Altdeutschen darin auch schon
Erkleckliches geleistet haben, ohne durch den frechen
Zynismus zu beleidigen, der diese Courbetsche
Schule so widerwärtig macht. Es gibt doch keine
Narrheit, die wir unseren überrheinischen Nach-
barn nicht bereitwillig nachäsften..." — Und was
schrieb dieser selbe Pecht doch in den 90er Jahren
über Hans Thoma? — Er wnrde abgetan als ein
„nicht ganz talentloser Vertreter sozialistischer
Malerei"!!!*)
Die lebhafte Diskussion, die nun, durch neu
ausgetretene Gemeinschaftssorderungen ansgelöst,
um Kunstfragen einsetzt, wird nur dann fruchtbar
sein können, wenn wir den Punkt finden, von dem
aus die verschiedenen Vorurteile aufzulösen sind.
Die Widersprüche des Zeitwesens, die Gegensätz-
lichkeit generationsbedingter Anschauungen lassen
sich nicht beseitigen. Es gilt aber den Kampf
zwischen ihnen, der durch eine überbetriebsame
Propaganda von den leitenden Ideen abgelenkt zu
werden droht, zu verwesentlichen und zu versach-
lichen. Es muß vor allem unterlassen werden, den
Gegner mit Argumenten zu bekämpfen, die nichts
mit der Sache zu tun haben, die er vertritt. Gewiß
wird man dem Gegner und seinen Argumenten
nicht von vornherein jede Existenzberechtigung ab-
sprechen dürfen. Auch noch die törichtsten Vor-
urteile haben ihre vitalen Gründe. Man wird
aber auch nicht jedes Neue grundsätzlich und unter-
schiedslos ablehnen dürfen, nur weil es einem be-
") Es hat den Anschein, als habe Herr Kurt Karl
Eberlein den Ehrgeiz, mit seinem Pamphlet „Was ist
deutsch in der deutschen Kunst?" der Pecht des 20. Jahr-
hunderts zu werden. Vgl. S. k. Die Red.
stimmten Begriff von Tradition oder einer be-
stimmten Vorstellung von deutschem Wesens-
ausdruck, die man hat, nicht entspricht.
Der nationalsozialistische Kampf um die Kunst
war, was zunächst übersehen werden mochte, von
Anfang an nicht nur ein Kampf nach außen,
sondern auch eine Auseinandersetzung zwischen
verschiedenen Anschauungen innerhalb der natio-
nalsozialistischen Bewegung selbst. Einigkeit be-
steht aber Wohl darüber, daß die nationale Ge-
sinnung allein nicht genügt, sondern letzlich
ausschlaggebend sein muß die künstlerische
Qualität. Aber was die einen „formzersetzend"
nennen und als künstlerischen Ausdruck des Bol-
schewismus anprangern, gilt den anderen als eine
der reinsten Manifestationen deutschen Geistes. Es
stoßen hier generationsbedingte Kunstanschauun-
gen, zwei verschiedene Gegenwarten hart aufein-
ander. Auf die Frage, mit welchem Recht die eine
Kunstrichtung deutsch und die andere undeutsch
oder gar bolschewistisch bezeichnet wird, läßt sich
leider keine andere Erklärung geben als die, daß
hier das für beide Anschauungen selbstverständliche
Bekenntnis zum Deutschtum als Argument für
eine Sache zu dienen hat, die mit diesem Bekennt-
nis nicht das geringste zu tun hat.
Ein Künstler hat das Recht, aus Selbst-
erhaltungstrieb etwa einen Nolde oder Barlach
abzulehnen. Man wird ihm jedoch schärfstens.
widersprechen müssen, wenn er seine Kunst und
seine Kunstauffassung als die allein mögliche
und allein deutsche bezeichnet und Künstler, die
nicht minder deutsch sind, als Verräter am
Deutschtum anzuprangern versucht. Denn daß
Nolde — um nur einen als Repräsentanten einer
mächtigen neueren Kunstbewegung herauszugrei-
Cin sehr zeitgemäßes Wort
Caspar David Friedrichs:
„N. N. ist bekannt wegen seiner Neigung,
düstere Gegenstände zu malen, ohne daß man je-
doch in seinem Umgang Heiterkeit des Herzens
vermißte. Seine Freunde aber sind bemüht, ihn
von dieser Neigung abzulenken und beauftragen
ihn, heitere Gegenstände zu malen. Seiner Natur
nach kann er Wohl nie mit Wohlgefallen oder Lust
solche Aufträge ausführen, während er mit hei-
terem Sinne trübe Lüfte und ernste, düstere Land-
schaften darstellen würde. — O ihr Gutmütigen!
die ihr so ganz und gar nicht das innere Drän-
gen und Treiben der Seele erkennt und nicht den
Menschen, wie ihn der liebe Gott geschaffen und
geprägt und gestempelt hat, wollet, sondern wie
die Zeit und die Mode es will. — Uber Cha-
rakterlosigkeit klagt unsere Zeit, und doch, wo nur
einigermaßen Charakter angetrofsen wird, sucht
man ihn zu unterdrücken. —"
fen — trotz Südseereise und trotz der Romantik
seines phantasierenden Exotismus deutsch sowohl
nach Abstammung (schleswiger Bauernsohn!) als
nach Gesinnung ist, steht über allem Zweifel.
Seine Kunst ist das Ergebnis eines Aufbruchs des
deutschen Willens zur Transzendenz gegen die Erb-
schaft klassischer Überlieferung. Als eigentümlich
deutsch, als Reaktion deutschen Empfindens gegen
den übernationalen Klassizismus und das in ge-
wissem Sinne die europäische Kunst entnationali-
siernde l'art pour l'art: des Impressionismus ist
auch der deutsche Expressionismus und im beson-
deren die Kunst Noldes und seiner Geistes-
verwandten immer aufgefaßt worden. Gewiß
liegen in diesem elementaren Ausbruch gewaltiger
Seelenspannungen auch die Gefahren und Grenzen
der Noldeschen Kunst: die Gefahr einer gestalt-
losen Pathetik und die Grenzen, die künstlerisch
mit dem unmittelbaren, spontanen Ausdruck eksta-
tischer Farbenerlebnisse immer gegeben sind. Aber
sind auch diese Gefahren und Grenzen nicht ur-
deutsche? Wir finden sie drohend und gebannt,
hemmend und überwunden in der altgermanischen
und altdeutschen Kunst wieder und wieder.