Kunst der Nation
3
führen, weil das Nordische, diese Wur-
zelstellnng, möchte man sagen, völlig unbe-
achtet gelassen wurde. Die Pole dieser unglück-
lichen Auseinandersetzung waren falsch, denn sie
bezeichneten nicht die äußersten Grenzen der ger-
manischen Seele. Nur eines wird ewig bleiben:
deutsche Kultur ist Bewegung und Mittlerschaft.
Die vollkommenste Bewegung aber ist der Rhyth-
mus. Das weist uns in direkter Linie auf die
Landschaft, die hier als
wäre für die Kultur nicht bedeutungsvoller, als
die Anschauung der Sprache! — kennt das Wort
Jüngling nicht, das eine Gestalt bezeichnet, die im
engeren Sinne aus der Entwicklung des Knaben
zum Manne herausgebrochen ist und darüber hin-
aus eine klassische Mittlersigur zwischen der grie-
chischen Vorstellung des Knaben und dem Bild des
heroischen Kämpfers darstellt. Ist es nicht der
Jüngling, der das Werk eines Hölderlin erschließt'?
Inbegriff der Natur
verstanden sein will.
Nochmals: denn es ist
das Vollkommene der
Natur, daß sie in Rhyth-
men ihr Dasein entfal-
tet. Deshalb kann
das größte und
strengste Krite-
rium deutscher
Kultur nur ihre
W e s e n s g e m e i n -
schäft mit der
Landschaft sein,
deren Rhythmen sowohl
geschichtlich als auch geo-
graphisch, künstlerisch als
auch kulturell von Nor-
den nach Süden und von
Süden nach Norden ver-
laufen, deshalb ist auch
die Gestalt Goethes die
Vollendung des deutschen
Menschen, Spiegel und
Maß Deutschlands in
der Welt. Die nord-
südliche Kulturaufsassung
bezeichnet so auch die
indogermanische Vor-
stufung und den Ver-
lauf der Schicksals-
Mit Vitler gegen den Rüstung^
kurven, die das römische
Reich deutscher Nation
beschrieben. Der Norden
Der Kultnrwille der jungen Ge-
neration, hervorgegangen ans einer Politik
der rassemäßigen Zusammenschau, verteidigt
den Gei st aus der Ordnung der Land-
schaft gegen die Dialektik der Ideen,
die nie gesellschaftsbildend sein kann, weil ihr die
Mitte fehlt, das heißt die Führerschaft und mit
ihr die Fähigkeit zur Formbildung. Und will man
eine Analogie zum Charakter dieses Willens
Jol>. Driesch, Familienbild. „Westfront 1SSL'
saugt das Licht des
Südens in pch auf und bricht die Formen
des Südens. Aus den Wäldern steigen die
Dämpfe des Nebels, kriechen über die Acker, zer-
flattern im Wind. Baumstümpfe werden zu un-
heimlichen Gestalten, die Aste zu Greisarmen. Die
Wolken des Himmels tauchen in die Schwaden der
Erde, die Höhe ist eins mit der Tiefe. Die Laute
der Natur sind Lockrufe in die Hintergründigkeit
des nordischen Lichtes. Klabautermänner, Gnome
und Kobolde leben in dem geronnenen Licht. Diese
Landschaft verwandelt die Menschen, schmilzt sie
mit den Tieren und Pflanzen zusammen; sie ge-
biert die Phantasie und hebt das Fühlen und
Denken über die Wirklichkeit hinaus. Sie schafft
aus ihrer Fülle die Gottheiten der Liebe, des
Zornes und der Fruchtbarkeit. Und wenn die
Sonne den Nebel unter tausend schillernden, träu-
menden Übergängen zerpflückt hat, erwacht die
Ferne des Südens: das in sich verschlossene
Schauen geht über in das Sehen des
Auges, das von der Sonne erschaffen wurde.
"Diese» Phänomen der Brechung — Marees ist das
letzte Erlebnis dieses Kampfes und Sieges ge-
wesen, ein Erlebnis, das richtungweisend in unsere
Zeit hineinragt — stellt das Licht wider die Fin-
sternis und öffnet das Geheimnis der deutschen
Sehnsucht nach dem Gleichgewicht der Gegensätze,
nach einer Kultur der abendländischen Mitte.
Wie aber ist Gestalt und Maß möglich, wenn
alles der Wandlung oder Brechung unterworfen
ist'? Ein konkretes Beispiel für viele, das zeigt,
wie aus der Brechung tatsächlich Gestalt hervor-
gehen kann. Die französische Sprache — und was
Wahnsinn der Welt / Memalü mehr
ein Pakt, der unsere Ehre schändet
suchen, so findet man sie in der Berufung des an-
tiken Menschen zur Kultur; er war der schlechthin
Politische Mensch, Politisch nicht aus dem
Willen zur Macht und Gewalt, son-
dern zur Herrschaft über Ursache
und Sinn seines Volkes. Diese Verant-
wortung ging durch mehr als zwei Jahrtausende
verloren. Sie aber möge wieder erblühen in der
Sendung des jungen Deutschland.
G. H. T h c u n i s s e n
sinter rleoi kiotelitorut ste« :
„Westfront 1SZZ"
Von
Willi Kelter
Eaureferent für Kulturfragen der NSDAP, Gau Essen
Landesleiter des Kampfbundes für Deutsche Kultur Nordwest
Die große Ausstellung rheinischer und west-
fälischer Künstler, „Westfront 1933", ist eine Be-
standaufnahme der wesentlichen Kräfte bildender
Kunst in Westdeutschland. Um dem Vorwurf zu
entgehen, wir hätten uns lediglich mit einer Ein-
ladung der bislang bekannten Persönlichkeiten be-
gnügst und um in gewissenhafter Prüfung zu
untersuchen, ob es noch „unentdeckte" bedeutende
Talente gäbe (man spricht ja soviel gerade davon),
hatten wir uns entschlossen, uns in einem all-
gemeinen Aufruf an alle künstlerisch Schaffenden
zu wenden. Uber die Arbeit, die uns entstehen
würde, waren wir uns im voraus klar. Unge-
zählte sandten ein und — mußten durch unsere
Jury abgelehnt werden.
Man darf mit Recht sagen, daß die Arbeit der
Jury programmatisch war und daß die Aus-
stellung selbst Programm ist. Bei unserer ver-
antwortungsvollen Tätigkeit waren nicht Theorien
und Ideen", sondern einzig unser Instinkt richtung-
weisend. Zweifler entgegnen: Eine anfechtbare,
unkontrollierbare Sache. Wir entgegnen: Der
Mut, Entscheidungen zu treffen, muß einmal auf-
gebracht werden. Die
Angelegenheiten der deut-
schen Kunst müssen un-
verzüglich in Fluß kom-
men.' Das geschieht nur
durch eine kompromißlose
Tat, wie wir sie getan zu
haben glauben.
Wir hoffen, daß unser
Instinkt sich immer auf
alles Wahrhaftige und
Starke einlicß. In diese
Devise „wahr" und
„stark" sind alle unsere
Wünsche, die wir als völ-
kische Menschen für oie
deutsche Kunst hegen,
cingcschlossen. Wir sind
nie der Auffassung ge-
wesen, daß ein Schön-
heitskanon allein Maß-
stab für Kunst und
Kunstausstellungen sein
darf.
Was mußte nun alles
geopfert werden? Ab-
gesehen von den nicht zu
erörternden Dilettantis-
men ^asteden nue jene
Arbeiten aus, deren Ur-
heber zu der Kategorie der Maler und Bildhauer
gehören, die eine gewisse akademische technische
Fertigkeit sich erarbeitet haben und mit einem oft-
mals anerkennenswerten Fleiß Jahr um Jahr,
Arbeit um Arbeit ohne innere Haltung erzeugen.
Es handelt sich meist um Stoffe, die zum bürger-
lich behäbigen Inventar gehören. Es hätte ganz
in unserem Vermögen gelegen, eine endlose
Straße der Langeweile zu errichten, in der alle
Bilder die gleichmäßige Fassade eines wohltempe-
rierten Impressionismus zur Schau trugen. Ein
wirtschaftlicher Mittelstand ist wünschenswert,
nicht aber ein künstlerischer Mittelstand. Die
Zahl solcher Arbeiten, die uns vorgelegt wurden,
erwies eindeutig, daß sie nicht aus innerer Be-
rufung erwuchsen. So sehr wir nicht wünschen,
daß die öffentliche Kunstpflege sich niit Mittel-
mäßigkeiten begnügt, so wünschenswert erscheint
uns allerdings die private Malerei, da sie das
Verständnis für bedeutende Kunst vermehrt. Nur
soll sie nie von falschem Geltungsbedürfnis be-
gleitet sein.
Neben dieser Straße der Langeweile hätten
wir eine gleich ermüdende Parallele errichten
können. Da standen jene „genialischen" Arbeiten,
die aus dem Handgelenk nur so hingeworfen
waren, wie sie die Vorbilder Nolde, Schmidt-Rott-
luff, Heckel, Munch, Cezanne in ernsten, jahrelan-
gen Auseinandersetzungen schufen. Sie begannen
dort, wo andere aufhörten. In diesem Gehege
künstlerischer Don-Quichotterie ist eineui peinlich
zumute. Ungekonnt, aber anmaßend, liederlich
und sich tiefsinnig betuend, große Theorien, und
die praktische Arbeit eine fade Nichtigkeit. Auch
das fiel.
Eine andere Reihe von Arbeiten zeigten gute
Ansätze und ausgesprochene Begabung; es fehlte
ihnen aber an der inneren Reife. Hier war die
Ablehnung nicht grundsätzliche Verneinung, son-
dern es mußte aus erzieherischen Gründen abge-
lehnt werden. Unfertiges entwickelt sich am besten
in der Verborgenheit; die Natur in ihrem Schaf-
fen und Wirken gibt uns selbst diese Lehre. Wir
Tlieo aI> 0 »> vion KnrioiiwirNrbaft. „Westkrant 1988"
Gelassenheit seiner begnadeten Natur. In der
Kammer rückten die Dinge auf den alten Platz
zurück, bis auf das Bildnis, das vor Hunderi
Jahren vom Kloster Langheim als Fuhrmanns-
lohn bei der großen Verschleuderung zu den
Wenden gekommen war. Das hing jetzt dem
Bette gegenüber und trug den Schmuck der
gütigen Erde vom ersten Laub der Haselstaude
über das Büschelchen Ähren der Felder bis zu
den Strohblumen in trüben Wintertagen. Heiner
aber ging wie in der Legende von Nazareth den
stillen Weg einer Liebe, die jenseits der eigenen
Wünsche und dem Anrecht eitlen Begehrs in der
Sorge für sein Weib geborgen war.
In dieser Zeit der seelischen Stille war's, als
der Arzt auf einem Gang von einer, bei der es
auch hart zugcgangen war, in einem brummeligen
Selbstgespräch auf das Wcudenhaus zukam. Er
kam sich wie ein Sultan vor, an dem mit seinen
sechzig Jahren ein ganzer Harem lidschäftigen
Weiberzeugs hängen blieb, das eigentlich bei so
vielem brachliegenden Jungweibervolk überfällig
und für die Männer nur Treibholz war. Aber es
ging ihm ja selber so: er hing an seinem Harem
und war wild auf den Tod, wenn er ihm eine
nehmen wollte, und mußte plötzlich grimmig
lachen, weil in sein Gleichnis die Männer als die
Eunuchen eintraten, das Geheimnis allen Ge-
schehens vielleicht doch in einem höheren Sinn zu
hüten, von der die Weisheit der Außenstehenden
sich nichts träumen ließ. Und während sich dabei
die qualmende schwarze Zigarre noch aufgeregt in
den Mundwinkeln drehte, stand er im Hausflur,
der Anna Guten Morgen zu sagen und sie nach
ihrem Befinden in der vertrauten Art des Arztes
zu fragen, die andern Dingen zngedacht ist, als
wenn nur die Gepflogenheit über den Zaun hin
ein Paar freundliche Worte wechselt. Und weil
eine leichte Röte und das schalkhafte Leuchten in
den Augen ihm deutlich genug verriet, daß das
Blut wieder in Schuß gekommen und zu andern
Dingen aufgelegt war, als nur den Tag zu be-
wältigen mit seinem gefesselten Gang, wurde die
Zufälligkeit seiner Vorsprache bei ihr zum Ruf
einer schicksalhaften Notwendigkeit. Aber wie
damals die Worte des Arztes in der Befangenheit
ihrer Schwäche nur als das Gefühl einer Schuld
hängen blieben, so saßen sich heute zwischen
Kanapee und Ofenbank der Sultan und seine
Haremsfrau in gleicher Stärke gegenüber; denn
die Worte trafen diesmal auf die Hellhörigkeit des
Blutes mit seinem sicheren Sinn, so daß der
Faden des Gesprächs bald von Anna nur allein
noch aufgespult und festgehalten wurde, daß sich
der Doktor oft die Finger lecken mußte, dem
Wissen um ihr Weibtum nachzukommen, das
zwar noch töricht, doch von einer bannenden Weite
war. Und weil sie ihn schon einmal am Wocken
sitzen hatte, wollte sie auch weiterspinnen, was sie
schon immer heimlich bewegte, wie ihr geschehen
wäre bei dem Kaiserschnitt und warum der selt-
same Name Kaiserschnitt. Da Paffte der Doktor
bläuliche Rauchkringel in die Luft und setzte sich
wichtig zu einer Belehrung zurecht, die doch nur
Wort mit Wort vertauschte, daß Kaiser eigentlich
Cäsar hieße, wie sich die römischen Kaiser nach
einem HUdengeschlecht nannten, deren Hausname
Caesones, das heißt die Herausgeschnittenen war.
Doch was er dann erzählte von der Geburt jenes
großen römischen Feldherrn Scipio Afrikanus,
seiner himmlischen Mutter und dem Gott von
einem Vater, war wie leuchtende Wolke auf
blutigem Grund, aber die schönste Geschichte, die je
in Annas ganzes Wesen einsank und sie erfüllte
bis in alle Winkel des Leibes und der Seele.
Doch als der Doktor ihre Versunkenheit wie eine
Mahnung fühlte, polterte er schnell in seine alte
Rauheit zurück, sagte etwas von den Weibern
und dem Teufel im Leib und verließ mit einem
schnellen Gruß und Händedruck das Hans. Anna
aber brauchte noch lange, bis sie aus ihrer Ver-
sunkenheit zu sich kam und war erst wieder ganz
bei sich, als sie dem Aufruhr ihrer Seele das Tor
der Worte öffnen konnte, die sie vor sich hin-
sprach wie eine Offenbarung: auf Befehl des
Vaters aus dem Mutterleib geschnitten, und so
gab eine Sterbende den Kaisern der Welt ihre
Namen.
So ging Anna in den dritten Sommer ihrer
Ehe hinein und die Sonne mit dem tausend-
fältigen Duft der wachsenden Erde füllte ihr Blut
mit dem geheimnisvollen Geschehen allen Werdens
rings um sie, mit einer Fröhlichkeit, die dem
Körper das Gewicht der eigenen Schwere nahm,
weil die Seele trunken war vor lauter Kraft und
Fülle eines ahnungsvollen Glücks. Doch als sie
eines Tages durch das Schreien der jüngsten Kuh
in den Stall gerufen wurde, der Bläß, wie sie sie
nannte, das Kalb zum Säugen anzulegen, wurde
Anna unter dem drängenden Schmatzen und
schlürfenden Zuzeln des kleinen Tiers ihres bisher
schlafenden Weibtums wieder inne, das ihr in den
Brüsten und durch den Leib wie der unaufhalt-
same Strom einer betörenden Süßigkeit floß, so
daß sie sich mit benommenen Sinnen am Hals
des Muttertiers festhaltcn mußte, um nicht umzu-
sinken. Als Heiner sie fand, sah sie ihn mit
müden Augen an und sie ging auch früher zu
Bett als sonst. Doch fand sie keine Worte zum
Gebet und ihre Blicke hingen nur hilfeflehend im
Bilde der Madonna, bis die Dämmerung das
Bild überschattete und die Gottesmutter über dem
zerschnittenen Leib ein lächelndes Knäblein hielt.
Als Heiner die Haustüre abgesperrt hatte und in
die Kammer schlich, fand er Anna schlafend mit
einem seltsam heißen Glanz auf dem Gesicht, daß
er nur verwundert den Kopf schüttelte und behut-
sam unter die Decke kroch.
In diesem Sommer war mit Anna eine Ver-
wandlung vor sich gegangen und ihr ganzes Wesen
erfüllte eine Unrast und ein Drang nach Ände-
rungen und Neuerungen überall. Und was sie
bei Heiner Heuer nicht mehr erreichen konnte, für
das verschaffte sie sich die Zusage für das nächste
Jahr. Auch wollte sie alles um sich fertig haben,
wie sie manchmal ganz unwirsch betonte, und so
wurde Heiner mehr geschoben, weil ihm die schick-
salhafte Kinderlosigkeit seiner Ehe zu einem be-
denkenlosen Zustand geworden war, der ihm den
Auftrieb der Wandlung seines Daseins nahm, —
und ließ Anna aus seinem dunklen Gefühl heraus
gewähren, wie er selbst in seiner Tätigkeit bei
seinem Herrn immer mehr zu einem Träger des
ganzen Betriebs geworden war. So gingen beide
in den abgegrenztcn Bezirken ihrer Tätigkeit mehr
nebeneinander her, nur daß der Gleichmut ihrer
Liebe zueinander von Annas Seite her durch Aus-
brüche heißer Leidenschaft und innigster Ergeben-
heit immer mehr bedroht und für Heiner zum
Aufruhr seiner Mannheit wurde. Doch war es
diesmal er, der einem Willen unterlag, dessen
geheimnisvolle Feuer die Dürftigkeit menschlicher
Bedenken zerbrannten.
Heiner hatte sich in Anna wiedergefunden, weil
er in der unbesorgten Fröhlichkeit ihres Blutes
zu einem Geschenk ohne Vorbehalt für sie ge-
worden war und dieses Frohsein erfüllte wieder
den Tag mit all seinen geschäftigen Stunden.
Und als Anna ihres Muttertums wieder inne
wurde, war die Heiligkeit dieses Gefühls so groß
und von einer solchen Sicherheit erfüllt, daß sie
nur noch um die Benedeinng der Frucht ihres
Leibes beten konnte und jeden Gedanken an sich
vergaß, weil sie das Gefäß dieser Andacht der
Fleischwerdung war. Das Beispiel jener römi-
schen Mutter wuchs als ein unbeirrbarer Wille
im Blute ihrer Mutterschaft groß und die
Madonna würde ihr beiftehen, das heraus-
geschnittene Leben an der Brust zu haben wie sie.
Sie war zu einem Wissen nm sich selbst geworden,
das der Sorge um sie die Türen versperrte mit
dem Riegel der Einfalt des Herzens. So half es
dem Doktor auch nichts, daß er polternd sakra-
mentierte, als er ihres Zustands gewahr wurde
und mit all seinen Verantwortungsgründen nur
das Lächeln einer unbeirrbaren Sicherheit fand.
Als sie ihre Zeit gekommen sah, saß Anna mit
dem qualmenden Doktor im Wagen und weil er
gar so still und grillig in die Landschaft schaute,
sagte sie plötzlich so vor sich hin: das Schönste an
der Geschichte von jenem großen Feldherrn sei
doch dieses, daß er sich den Herausgeschnittenen
heißen ließ und stolz auf seinen Namen war. Da
wandte sich erstaunt der Arzt ihr zu und sah eine
Frau von erhabener Schönheit breit in den
Polstern sitzen. Er griff gerührt nach ihrer Hand
und hielt sie fest, bis der Wagen in das Tor ein-
fuhr, wo weiße Schwestern ihrer harrten.
Und wenn auch sie, wie allen, die da kamen,
die schwere Bangigkeit des Wartens überfiel, so
war sie doch wieder ganz bei sich, als sie gefesselt
im blinkenden Gestänge des Operationstisches als
unabwendbares Opfer ihrer Mutterschaft lag.
Und in den wenigen Minuten der Wachheit zwi-
schen Leben und Tod wandelte sich der Raum mit
dem Geblinke und Geblitze all der Dinge, die
menschlicher Geist erschuf, dem Sensenmann die
Beute abzuringen, zu einem Heiligtum, darin die
Weißen Männer und Frauen nur Diener eines
Hochamts waren, das Kindlein unversehrt ihr aus
dem Leib zu heben. So sprach sie auch kein Wort
und es war still um sie wie in der Kirche, wenn
das Herz voll Andacht und die Seele schon jenseits
im Wesen der heiligen Handlung war. Und als
der erste der Arzte wie ein Priester ihr noch
Worte des Muts in die Umschaltung der Sinne
sagen wollte, floß von ihrem unbeirrbaren
Lächeln eine Segnung in seine Hände über, daß
er die Opferung auf dem Altar der Mensch-
werdung nur noch als Werkzeug eines höheren
Willens mit der Sicherheit seiner Berufung voll-
brachte.
Am siebenten Tag, dem Feste Mariä Himmel-
fahrt, gab die Schwester der Mutter zum ersten-
mal das Knäblein an die Brust, weil sie so in-
ständig darum flehte und es so haben wollte.
Da öffnete sich sachte die Tür und Heiner stand
wortlos staunend im Wunder seines Lebens.
Madonna mit dem zerschnittenen Leib aber
lächelte glückselig, weil sie das überirdische Wissen
in sich trug, daß ihr Kind ein leibhaftiger Kaiser
und sie eines Kaisers Mutter war.
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führen, weil das Nordische, diese Wur-
zelstellnng, möchte man sagen, völlig unbe-
achtet gelassen wurde. Die Pole dieser unglück-
lichen Auseinandersetzung waren falsch, denn sie
bezeichneten nicht die äußersten Grenzen der ger-
manischen Seele. Nur eines wird ewig bleiben:
deutsche Kultur ist Bewegung und Mittlerschaft.
Die vollkommenste Bewegung aber ist der Rhyth-
mus. Das weist uns in direkter Linie auf die
Landschaft, die hier als
wäre für die Kultur nicht bedeutungsvoller, als
die Anschauung der Sprache! — kennt das Wort
Jüngling nicht, das eine Gestalt bezeichnet, die im
engeren Sinne aus der Entwicklung des Knaben
zum Manne herausgebrochen ist und darüber hin-
aus eine klassische Mittlersigur zwischen der grie-
chischen Vorstellung des Knaben und dem Bild des
heroischen Kämpfers darstellt. Ist es nicht der
Jüngling, der das Werk eines Hölderlin erschließt'?
Inbegriff der Natur
verstanden sein will.
Nochmals: denn es ist
das Vollkommene der
Natur, daß sie in Rhyth-
men ihr Dasein entfal-
tet. Deshalb kann
das größte und
strengste Krite-
rium deutscher
Kultur nur ihre
W e s e n s g e m e i n -
schäft mit der
Landschaft sein,
deren Rhythmen sowohl
geschichtlich als auch geo-
graphisch, künstlerisch als
auch kulturell von Nor-
den nach Süden und von
Süden nach Norden ver-
laufen, deshalb ist auch
die Gestalt Goethes die
Vollendung des deutschen
Menschen, Spiegel und
Maß Deutschlands in
der Welt. Die nord-
südliche Kulturaufsassung
bezeichnet so auch die
indogermanische Vor-
stufung und den Ver-
lauf der Schicksals-
Mit Vitler gegen den Rüstung^
kurven, die das römische
Reich deutscher Nation
beschrieben. Der Norden
Der Kultnrwille der jungen Ge-
neration, hervorgegangen ans einer Politik
der rassemäßigen Zusammenschau, verteidigt
den Gei st aus der Ordnung der Land-
schaft gegen die Dialektik der Ideen,
die nie gesellschaftsbildend sein kann, weil ihr die
Mitte fehlt, das heißt die Führerschaft und mit
ihr die Fähigkeit zur Formbildung. Und will man
eine Analogie zum Charakter dieses Willens
Jol>. Driesch, Familienbild. „Westfront 1SSL'
saugt das Licht des
Südens in pch auf und bricht die Formen
des Südens. Aus den Wäldern steigen die
Dämpfe des Nebels, kriechen über die Acker, zer-
flattern im Wind. Baumstümpfe werden zu un-
heimlichen Gestalten, die Aste zu Greisarmen. Die
Wolken des Himmels tauchen in die Schwaden der
Erde, die Höhe ist eins mit der Tiefe. Die Laute
der Natur sind Lockrufe in die Hintergründigkeit
des nordischen Lichtes. Klabautermänner, Gnome
und Kobolde leben in dem geronnenen Licht. Diese
Landschaft verwandelt die Menschen, schmilzt sie
mit den Tieren und Pflanzen zusammen; sie ge-
biert die Phantasie und hebt das Fühlen und
Denken über die Wirklichkeit hinaus. Sie schafft
aus ihrer Fülle die Gottheiten der Liebe, des
Zornes und der Fruchtbarkeit. Und wenn die
Sonne den Nebel unter tausend schillernden, träu-
menden Übergängen zerpflückt hat, erwacht die
Ferne des Südens: das in sich verschlossene
Schauen geht über in das Sehen des
Auges, das von der Sonne erschaffen wurde.
"Diese» Phänomen der Brechung — Marees ist das
letzte Erlebnis dieses Kampfes und Sieges ge-
wesen, ein Erlebnis, das richtungweisend in unsere
Zeit hineinragt — stellt das Licht wider die Fin-
sternis und öffnet das Geheimnis der deutschen
Sehnsucht nach dem Gleichgewicht der Gegensätze,
nach einer Kultur der abendländischen Mitte.
Wie aber ist Gestalt und Maß möglich, wenn
alles der Wandlung oder Brechung unterworfen
ist'? Ein konkretes Beispiel für viele, das zeigt,
wie aus der Brechung tatsächlich Gestalt hervor-
gehen kann. Die französische Sprache — und was
Wahnsinn der Welt / Memalü mehr
ein Pakt, der unsere Ehre schändet
suchen, so findet man sie in der Berufung des an-
tiken Menschen zur Kultur; er war der schlechthin
Politische Mensch, Politisch nicht aus dem
Willen zur Macht und Gewalt, son-
dern zur Herrschaft über Ursache
und Sinn seines Volkes. Diese Verant-
wortung ging durch mehr als zwei Jahrtausende
verloren. Sie aber möge wieder erblühen in der
Sendung des jungen Deutschland.
G. H. T h c u n i s s e n
sinter rleoi kiotelitorut ste« :
„Westfront 1SZZ"
Von
Willi Kelter
Eaureferent für Kulturfragen der NSDAP, Gau Essen
Landesleiter des Kampfbundes für Deutsche Kultur Nordwest
Die große Ausstellung rheinischer und west-
fälischer Künstler, „Westfront 1933", ist eine Be-
standaufnahme der wesentlichen Kräfte bildender
Kunst in Westdeutschland. Um dem Vorwurf zu
entgehen, wir hätten uns lediglich mit einer Ein-
ladung der bislang bekannten Persönlichkeiten be-
gnügst und um in gewissenhafter Prüfung zu
untersuchen, ob es noch „unentdeckte" bedeutende
Talente gäbe (man spricht ja soviel gerade davon),
hatten wir uns entschlossen, uns in einem all-
gemeinen Aufruf an alle künstlerisch Schaffenden
zu wenden. Uber die Arbeit, die uns entstehen
würde, waren wir uns im voraus klar. Unge-
zählte sandten ein und — mußten durch unsere
Jury abgelehnt werden.
Man darf mit Recht sagen, daß die Arbeit der
Jury programmatisch war und daß die Aus-
stellung selbst Programm ist. Bei unserer ver-
antwortungsvollen Tätigkeit waren nicht Theorien
und Ideen", sondern einzig unser Instinkt richtung-
weisend. Zweifler entgegnen: Eine anfechtbare,
unkontrollierbare Sache. Wir entgegnen: Der
Mut, Entscheidungen zu treffen, muß einmal auf-
gebracht werden. Die
Angelegenheiten der deut-
schen Kunst müssen un-
verzüglich in Fluß kom-
men.' Das geschieht nur
durch eine kompromißlose
Tat, wie wir sie getan zu
haben glauben.
Wir hoffen, daß unser
Instinkt sich immer auf
alles Wahrhaftige und
Starke einlicß. In diese
Devise „wahr" und
„stark" sind alle unsere
Wünsche, die wir als völ-
kische Menschen für oie
deutsche Kunst hegen,
cingcschlossen. Wir sind
nie der Auffassung ge-
wesen, daß ein Schön-
heitskanon allein Maß-
stab für Kunst und
Kunstausstellungen sein
darf.
Was mußte nun alles
geopfert werden? Ab-
gesehen von den nicht zu
erörternden Dilettantis-
men ^asteden nue jene
Arbeiten aus, deren Ur-
heber zu der Kategorie der Maler und Bildhauer
gehören, die eine gewisse akademische technische
Fertigkeit sich erarbeitet haben und mit einem oft-
mals anerkennenswerten Fleiß Jahr um Jahr,
Arbeit um Arbeit ohne innere Haltung erzeugen.
Es handelt sich meist um Stoffe, die zum bürger-
lich behäbigen Inventar gehören. Es hätte ganz
in unserem Vermögen gelegen, eine endlose
Straße der Langeweile zu errichten, in der alle
Bilder die gleichmäßige Fassade eines wohltempe-
rierten Impressionismus zur Schau trugen. Ein
wirtschaftlicher Mittelstand ist wünschenswert,
nicht aber ein künstlerischer Mittelstand. Die
Zahl solcher Arbeiten, die uns vorgelegt wurden,
erwies eindeutig, daß sie nicht aus innerer Be-
rufung erwuchsen. So sehr wir nicht wünschen,
daß die öffentliche Kunstpflege sich niit Mittel-
mäßigkeiten begnügt, so wünschenswert erscheint
uns allerdings die private Malerei, da sie das
Verständnis für bedeutende Kunst vermehrt. Nur
soll sie nie von falschem Geltungsbedürfnis be-
gleitet sein.
Neben dieser Straße der Langeweile hätten
wir eine gleich ermüdende Parallele errichten
können. Da standen jene „genialischen" Arbeiten,
die aus dem Handgelenk nur so hingeworfen
waren, wie sie die Vorbilder Nolde, Schmidt-Rott-
luff, Heckel, Munch, Cezanne in ernsten, jahrelan-
gen Auseinandersetzungen schufen. Sie begannen
dort, wo andere aufhörten. In diesem Gehege
künstlerischer Don-Quichotterie ist eineui peinlich
zumute. Ungekonnt, aber anmaßend, liederlich
und sich tiefsinnig betuend, große Theorien, und
die praktische Arbeit eine fade Nichtigkeit. Auch
das fiel.
Eine andere Reihe von Arbeiten zeigten gute
Ansätze und ausgesprochene Begabung; es fehlte
ihnen aber an der inneren Reife. Hier war die
Ablehnung nicht grundsätzliche Verneinung, son-
dern es mußte aus erzieherischen Gründen abge-
lehnt werden. Unfertiges entwickelt sich am besten
in der Verborgenheit; die Natur in ihrem Schaf-
fen und Wirken gibt uns selbst diese Lehre. Wir
Tlieo aI> 0 »> vion KnrioiiwirNrbaft. „Westkrant 1988"
Gelassenheit seiner begnadeten Natur. In der
Kammer rückten die Dinge auf den alten Platz
zurück, bis auf das Bildnis, das vor Hunderi
Jahren vom Kloster Langheim als Fuhrmanns-
lohn bei der großen Verschleuderung zu den
Wenden gekommen war. Das hing jetzt dem
Bette gegenüber und trug den Schmuck der
gütigen Erde vom ersten Laub der Haselstaude
über das Büschelchen Ähren der Felder bis zu
den Strohblumen in trüben Wintertagen. Heiner
aber ging wie in der Legende von Nazareth den
stillen Weg einer Liebe, die jenseits der eigenen
Wünsche und dem Anrecht eitlen Begehrs in der
Sorge für sein Weib geborgen war.
In dieser Zeit der seelischen Stille war's, als
der Arzt auf einem Gang von einer, bei der es
auch hart zugcgangen war, in einem brummeligen
Selbstgespräch auf das Wcudenhaus zukam. Er
kam sich wie ein Sultan vor, an dem mit seinen
sechzig Jahren ein ganzer Harem lidschäftigen
Weiberzeugs hängen blieb, das eigentlich bei so
vielem brachliegenden Jungweibervolk überfällig
und für die Männer nur Treibholz war. Aber es
ging ihm ja selber so: er hing an seinem Harem
und war wild auf den Tod, wenn er ihm eine
nehmen wollte, und mußte plötzlich grimmig
lachen, weil in sein Gleichnis die Männer als die
Eunuchen eintraten, das Geheimnis allen Ge-
schehens vielleicht doch in einem höheren Sinn zu
hüten, von der die Weisheit der Außenstehenden
sich nichts träumen ließ. Und während sich dabei
die qualmende schwarze Zigarre noch aufgeregt in
den Mundwinkeln drehte, stand er im Hausflur,
der Anna Guten Morgen zu sagen und sie nach
ihrem Befinden in der vertrauten Art des Arztes
zu fragen, die andern Dingen zngedacht ist, als
wenn nur die Gepflogenheit über den Zaun hin
ein Paar freundliche Worte wechselt. Und weil
eine leichte Röte und das schalkhafte Leuchten in
den Augen ihm deutlich genug verriet, daß das
Blut wieder in Schuß gekommen und zu andern
Dingen aufgelegt war, als nur den Tag zu be-
wältigen mit seinem gefesselten Gang, wurde die
Zufälligkeit seiner Vorsprache bei ihr zum Ruf
einer schicksalhaften Notwendigkeit. Aber wie
damals die Worte des Arztes in der Befangenheit
ihrer Schwäche nur als das Gefühl einer Schuld
hängen blieben, so saßen sich heute zwischen
Kanapee und Ofenbank der Sultan und seine
Haremsfrau in gleicher Stärke gegenüber; denn
die Worte trafen diesmal auf die Hellhörigkeit des
Blutes mit seinem sicheren Sinn, so daß der
Faden des Gesprächs bald von Anna nur allein
noch aufgespult und festgehalten wurde, daß sich
der Doktor oft die Finger lecken mußte, dem
Wissen um ihr Weibtum nachzukommen, das
zwar noch töricht, doch von einer bannenden Weite
war. Und weil sie ihn schon einmal am Wocken
sitzen hatte, wollte sie auch weiterspinnen, was sie
schon immer heimlich bewegte, wie ihr geschehen
wäre bei dem Kaiserschnitt und warum der selt-
same Name Kaiserschnitt. Da Paffte der Doktor
bläuliche Rauchkringel in die Luft und setzte sich
wichtig zu einer Belehrung zurecht, die doch nur
Wort mit Wort vertauschte, daß Kaiser eigentlich
Cäsar hieße, wie sich die römischen Kaiser nach
einem HUdengeschlecht nannten, deren Hausname
Caesones, das heißt die Herausgeschnittenen war.
Doch was er dann erzählte von der Geburt jenes
großen römischen Feldherrn Scipio Afrikanus,
seiner himmlischen Mutter und dem Gott von
einem Vater, war wie leuchtende Wolke auf
blutigem Grund, aber die schönste Geschichte, die je
in Annas ganzes Wesen einsank und sie erfüllte
bis in alle Winkel des Leibes und der Seele.
Doch als der Doktor ihre Versunkenheit wie eine
Mahnung fühlte, polterte er schnell in seine alte
Rauheit zurück, sagte etwas von den Weibern
und dem Teufel im Leib und verließ mit einem
schnellen Gruß und Händedruck das Hans. Anna
aber brauchte noch lange, bis sie aus ihrer Ver-
sunkenheit zu sich kam und war erst wieder ganz
bei sich, als sie dem Aufruhr ihrer Seele das Tor
der Worte öffnen konnte, die sie vor sich hin-
sprach wie eine Offenbarung: auf Befehl des
Vaters aus dem Mutterleib geschnitten, und so
gab eine Sterbende den Kaisern der Welt ihre
Namen.
So ging Anna in den dritten Sommer ihrer
Ehe hinein und die Sonne mit dem tausend-
fältigen Duft der wachsenden Erde füllte ihr Blut
mit dem geheimnisvollen Geschehen allen Werdens
rings um sie, mit einer Fröhlichkeit, die dem
Körper das Gewicht der eigenen Schwere nahm,
weil die Seele trunken war vor lauter Kraft und
Fülle eines ahnungsvollen Glücks. Doch als sie
eines Tages durch das Schreien der jüngsten Kuh
in den Stall gerufen wurde, der Bläß, wie sie sie
nannte, das Kalb zum Säugen anzulegen, wurde
Anna unter dem drängenden Schmatzen und
schlürfenden Zuzeln des kleinen Tiers ihres bisher
schlafenden Weibtums wieder inne, das ihr in den
Brüsten und durch den Leib wie der unaufhalt-
same Strom einer betörenden Süßigkeit floß, so
daß sie sich mit benommenen Sinnen am Hals
des Muttertiers festhaltcn mußte, um nicht umzu-
sinken. Als Heiner sie fand, sah sie ihn mit
müden Augen an und sie ging auch früher zu
Bett als sonst. Doch fand sie keine Worte zum
Gebet und ihre Blicke hingen nur hilfeflehend im
Bilde der Madonna, bis die Dämmerung das
Bild überschattete und die Gottesmutter über dem
zerschnittenen Leib ein lächelndes Knäblein hielt.
Als Heiner die Haustüre abgesperrt hatte und in
die Kammer schlich, fand er Anna schlafend mit
einem seltsam heißen Glanz auf dem Gesicht, daß
er nur verwundert den Kopf schüttelte und behut-
sam unter die Decke kroch.
In diesem Sommer war mit Anna eine Ver-
wandlung vor sich gegangen und ihr ganzes Wesen
erfüllte eine Unrast und ein Drang nach Ände-
rungen und Neuerungen überall. Und was sie
bei Heiner Heuer nicht mehr erreichen konnte, für
das verschaffte sie sich die Zusage für das nächste
Jahr. Auch wollte sie alles um sich fertig haben,
wie sie manchmal ganz unwirsch betonte, und so
wurde Heiner mehr geschoben, weil ihm die schick-
salhafte Kinderlosigkeit seiner Ehe zu einem be-
denkenlosen Zustand geworden war, der ihm den
Auftrieb der Wandlung seines Daseins nahm, —
und ließ Anna aus seinem dunklen Gefühl heraus
gewähren, wie er selbst in seiner Tätigkeit bei
seinem Herrn immer mehr zu einem Träger des
ganzen Betriebs geworden war. So gingen beide
in den abgegrenztcn Bezirken ihrer Tätigkeit mehr
nebeneinander her, nur daß der Gleichmut ihrer
Liebe zueinander von Annas Seite her durch Aus-
brüche heißer Leidenschaft und innigster Ergeben-
heit immer mehr bedroht und für Heiner zum
Aufruhr seiner Mannheit wurde. Doch war es
diesmal er, der einem Willen unterlag, dessen
geheimnisvolle Feuer die Dürftigkeit menschlicher
Bedenken zerbrannten.
Heiner hatte sich in Anna wiedergefunden, weil
er in der unbesorgten Fröhlichkeit ihres Blutes
zu einem Geschenk ohne Vorbehalt für sie ge-
worden war und dieses Frohsein erfüllte wieder
den Tag mit all seinen geschäftigen Stunden.
Und als Anna ihres Muttertums wieder inne
wurde, war die Heiligkeit dieses Gefühls so groß
und von einer solchen Sicherheit erfüllt, daß sie
nur noch um die Benedeinng der Frucht ihres
Leibes beten konnte und jeden Gedanken an sich
vergaß, weil sie das Gefäß dieser Andacht der
Fleischwerdung war. Das Beispiel jener römi-
schen Mutter wuchs als ein unbeirrbarer Wille
im Blute ihrer Mutterschaft groß und die
Madonna würde ihr beiftehen, das heraus-
geschnittene Leben an der Brust zu haben wie sie.
Sie war zu einem Wissen nm sich selbst geworden,
das der Sorge um sie die Türen versperrte mit
dem Riegel der Einfalt des Herzens. So half es
dem Doktor auch nichts, daß er polternd sakra-
mentierte, als er ihres Zustands gewahr wurde
und mit all seinen Verantwortungsgründen nur
das Lächeln einer unbeirrbaren Sicherheit fand.
Als sie ihre Zeit gekommen sah, saß Anna mit
dem qualmenden Doktor im Wagen und weil er
gar so still und grillig in die Landschaft schaute,
sagte sie plötzlich so vor sich hin: das Schönste an
der Geschichte von jenem großen Feldherrn sei
doch dieses, daß er sich den Herausgeschnittenen
heißen ließ und stolz auf seinen Namen war. Da
wandte sich erstaunt der Arzt ihr zu und sah eine
Frau von erhabener Schönheit breit in den
Polstern sitzen. Er griff gerührt nach ihrer Hand
und hielt sie fest, bis der Wagen in das Tor ein-
fuhr, wo weiße Schwestern ihrer harrten.
Und wenn auch sie, wie allen, die da kamen,
die schwere Bangigkeit des Wartens überfiel, so
war sie doch wieder ganz bei sich, als sie gefesselt
im blinkenden Gestänge des Operationstisches als
unabwendbares Opfer ihrer Mutterschaft lag.
Und in den wenigen Minuten der Wachheit zwi-
schen Leben und Tod wandelte sich der Raum mit
dem Geblinke und Geblitze all der Dinge, die
menschlicher Geist erschuf, dem Sensenmann die
Beute abzuringen, zu einem Heiligtum, darin die
Weißen Männer und Frauen nur Diener eines
Hochamts waren, das Kindlein unversehrt ihr aus
dem Leib zu heben. So sprach sie auch kein Wort
und es war still um sie wie in der Kirche, wenn
das Herz voll Andacht und die Seele schon jenseits
im Wesen der heiligen Handlung war. Und als
der erste der Arzte wie ein Priester ihr noch
Worte des Muts in die Umschaltung der Sinne
sagen wollte, floß von ihrem unbeirrbaren
Lächeln eine Segnung in seine Hände über, daß
er die Opferung auf dem Altar der Mensch-
werdung nur noch als Werkzeug eines höheren
Willens mit der Sicherheit seiner Berufung voll-
brachte.
Am siebenten Tag, dem Feste Mariä Himmel-
fahrt, gab die Schwester der Mutter zum ersten-
mal das Knäblein an die Brust, weil sie so in-
ständig darum flehte und es so haben wollte.
Da öffnete sich sachte die Tür und Heiner stand
wortlos staunend im Wunder seines Lebens.
Madonna mit dem zerschnittenen Leib aber
lächelte glückselig, weil sie das überirdische Wissen
in sich trug, daß ihr Kind ein leibhaftiger Kaiser
und sie eines Kaisers Mutter war.