Kunst der Nation
5
fällige in Formen, Farben, Anlage und Behand-
lung ist der einzig herrschende Charakter ihrer
zahlreichen Werke. Keiner der lebenden Maler
hat sie weder in der Anmut der Darstellung, noch
in Geschmack und der Fähigkeit, den Pinsel zu
handhaben, übertroffen." Malte sie doch, eine
„Dichterin mit dem Pinsel", allzuviel allegorisches
Zeug, rührselige Historienbilder und antike
Elegien, Tribute an den Geist ihrer Epoche, die
uns heute kaum noch interessieren. Wenn Klop-
stock ihren eleganten Kompositionen überschwäng-
lich huldigte, Leopold von Stolberg sich zu den
begeisterten Versen aufschwingt:
„Es umarmten die Unsterblichen dich,
Lehrten dich Weisheit und gaben deinen
Pinsel dir
Triefend von Leben und getaucht in
Morgenrot",
wenn Matthison betont, niemals sei ein Gegen-
stand von ihr behandelt worden, der „des bei-
fälligen Lächelns der Weisen und der Huld-
göttinnen unwert gewesen wäre", feiern sie das
was uns ganz fern liegt. Es wird in ihren Kreisen,
die nach dem taumelnden Rausch der Rokokozeit
mit ihren graziösen Pikanterien und betörenden
Reizmitteln in ein unschuldsvolles Zeitalter
zurückstrebten und einen Eklektiker wie Luini für
einen der größten Maler ansahen, nicht an geist-
vollen Gesprächen über Anmut und Würde der
Griechen gefehlt haben. Eine falsch verstandene
Antike ist auch hier Angelica Kauffmann Vorbild
gewesen. Mit dem ganzen Wollen ihrer zarten
Persönlichkeit beteiligte sie sich au dem Bestreben,
-ein goldenes Säkulum heraufzubeschwören.
Wer heute in Galerien auf diese mit starker
Hingabe und Sentimentalität gemachten Dinge
trifft, die der zum Klassizismus übergegangene
-Goethe für das Bedeutendste ihres Schaffens hielt,
geht schnell vorüber, weil sie nicht mehr vermögen,
uns diese Frau, die ihren künstlerischen Triumph-
zug bis nach England ausdehnte, lebendig zu
machen. Sie wirken leer und malerisch flau, diese
zu viel bewunderten und zu hoch gepriesenen
Bilder, die verschleierte Vestalin und die verlassene
Ariadne in Dresden, der Christus mit der
Samariterin in München, der Hermann in Wien
u. s. f. Sie rechtfertigen alle jenes Urteil eines
Zeitgenossen, des Weimarer Kunstmeyers, der
selber ein schwacher Könner, zuweilen jedoch ein
ausgezeichneter Kenner war: „Ihre Gestaltung
und Züge der Figuren haben wenig Abwechslung,
der Ausdruck der Leidenschaften keine Kraft, die
Helden sehen wie zarte Knaben oder verkleidete
Mädchen aus."
Immerhin gab es eine Zeit, in der sie Hervor-
ragendes schuf und ihre Kunst den Anschluß an
die Tradition gewann, der ihrer Begabung eine
Festigung verlieh, welche sie zu den eigentlichen
Leistungen innerhalb des ihr Möglichen bringen
sollte. Wir finden in Museen kaum etwas von
der Porträtmalerei ihrer fünfzehn Jahre in Lon-
don, wo sie zum Ehrenmitglied der Royal Akademie
ernannt wurde und ihr der berühmte Reynolds
vergeblich Hand und Reichtum anbot. Bis auf
wenige Proben, wie das Bildnis der Baronin
Krüdener im Louvre, ist das alles unzugänglich.
Vieles ist noch, alter Familienbesitz, in England,
Rußland und anderswo versteckt. Etwa drei-
hundert solcher Werke, die ein englischer Biograph
aufführte, sind nur zum geringsten Teil in
schlechten Nachbildungen bekannt geworden. Wie
stark diese Bildnisse ihren Ruf als Malerin recht-
fertigen, erfuhr auch einmal ein deutscher Kunst-
historiker in Neapel, wo er bei einem Bilder-
händler stöberte. Vor einem Porträt kam ihm die
Charakteristik so lebendig, die Farbengebung so
schmissig, und die ganze Auffassung so einfach vor,
daß er auf Goya riet und erst bei genauer Nach-
prüfung die Signatur Angelicas entdeckte.
Als Wunderkind, welches, wenn auch nicht so
schlimm wie im Falle Anton Mengs, nach Unsitte
der damaligen Zeit von ihrem Vater, einer Durch-
schnittsbegabung, auf die Kunst förmlich dressiert
wurde, hat sich Angelica Kauffmann auch im
Porträtfach schon früh geübt. Das Selbstporträt
der Zwanzigjährigen hängt in den Uffizien. Jung
nach Rom gekommen, schuf sie uns, ein wenig
elegant, aber mit überzeugender Eindringlichkeit
-das Bildnis des großen Winckelmann, jenes
Schustersohnes aus Stendal in der Altmark, der
die antike Kunst als erster erforscht und dargestellt
hat. Ein Ausnahmefall in ihrer ersten römischen
Zeit, in der von der Höhe ihrer späteren Porträt-
es. Leh m b r u ck, Torso
kunst Wohl noch Wenig spürbar gewesen sein wird.
Goethe war mit seinem Konterfei höchst unzufrie-
den: „Es ist ein hübscher Bursche, doch keine Spur
von mir." Wenn die vielen Bewunderer von
ihren Werken sprachen, sie gäben alle den Ausdruck
ihrer „schönen Seele", ihre „schweigende sittliche
Grazie" wieder, stellt sich ganz unwillkürlich der
Gedanke ein, die Bildnisse wären der Malerin
ähnlicher als den Dargestellten gewesen. Wie so
viele künstlerisch veranlagte Frauen charakterisierte
sie nicht aus angeborener außerordentlicher Be-
gabung heraus. Man denkt an das, was Kant
1764 in seiner „Beobachtung über das Schöne und
Erhabene" sagte: „Das schöne Geschlecht hat eben-
sowohl Verstand als das männliche; nur ist es ein
„schöner" Verstand, der unsrige soll ein tiefer Ver-
stand sein."
Und dennoch hat ihr ein so unbestechlicher Sach-
kenner wie Karl Justi nachgerühmt, in einer
langen Zeit der großen Ebbe der Kunst sei sie die
einzige Malerin gewesen, die sich so auf eigene
Füße stellen, einen eigenen Stil und eine eigene
Kunstwelt schaffen konnte, ihr Beispiel hätte zu
dem Glauben beigetragen, „daß die wahren Künst-
ler nicht bloß zahlen müssen mit dem, was sie tun,
sondern auch mit dem, was sie sind". So ist sie,
zuletzt in ihrem berühmt gewordenen Atelier auf
dem Monte Pincio, das mit der Werkstätte des
Bildhauers Canova einen Hauptanziehungspunkt
der Rompilger, besonders der Deutschen, abgab,
unermüdlich wirksam gewesen und doch ganz Frau
geblieben, die in ihrem Dasein vielleicht nur-ein-
mal geliebt hat. Ein Verhängnis, daß sie sich,
der Neigung ihres Herzens folgend, heimlich in
London mit einem sogenannten Grafen Horn
trauen ließ, der später als Hochstapler und bereits
verehelichter Kammerdiener entlarvt wurde; ein
Akt der Vernunft ihre nachherige Verbindung mit
den: Historienmaler Antonio Zucchi aus Venedig.
Von diesem braven, etwas geizigen Ehemann, der
1795 vor ihr gestorben ist, spricht Herder, der sich
im Preise der „zarten Engelsfrau", seiner „ein-
zigen Trösterin in Rom", nicht genug tun konnte,
mit einem Anflug von Eifersucht als von einem
„venetiauischen Alten in der Komödie", nicht ganz
gerecht gegen die von allen bedeutenden Durch-
reisenden angeschwärmte Frau, die nach einen:
Ausspruch der Weimarer Herzogin von sehr feinem
Gefühl war und immer in ihren Schranken blieb.
Goethe nennt sie „das beste Wesen der Welt".
„Man hat keinen Begriff von einem solchen
Talent mit solcher Einfalt, Herzensgüte und echter
Bescheidenheit."
1807 ist sie sechsundsechzigjährig gestorben.
Ganz Ronr beteiligte sich am Leichenbegängnis.
Canova und Pagetti sowie die Direktoren der
französischen und Portugiesischen Akademie trugen
den Sarg. Ihre Büste wurde, als einziges Bild-
nis einer deutschen Frau, im Pantheon aufgestellt.
" Thorwald
Erinnerungen an meinen Vater
Von
Manfred Lehmbruck
Da ich beim Tode meines Vaters erst sechs
Jahre alt war, steht seine Gestalt in meiner Er-
innerung nicht in klaren, festen Umrissen, son-
dern sie löst sich aus dem Dunkel des inneren
Sehens gleichsam traumhaft, mehr Empfindung
als klare Form. Meine eigenen Erlebnisse ver-
banden sich in späteren Jahren mit dem Bilde,
das sich aus den Worten der Mcu-
unserer Mutter, sondern spontan kam in ihm das
väterliche Gefühl zum Durchbruch. Einmal
kehrte er gegen Mitternacht von seiner Arbeit nach
Hause zurück und schien Plötzlich Sehnsucht nach
uns Kindern zu haben. Als er hörte, daß wir
schon schliefen, war er höchst überrascht, holte
uns aber sofort aus den Betten, nahm uns auf
schen, die ihn liebten oder kannten,
aus seinen Briefen und vor allem
aus seinen Werken in mir formte,
zu einem starken und geschlossener!
Erleben.
Vor dem Erwachen des Bewußt-
seins liegt die Zeit, in der das
Kind dem Vater verbunden ist,
schicksalhaft, die Gemeinsamkeit
kaum ahnend. Ein so ausg».
sprochenes Künstlerleben, wie es
das meines Vaters war, mußte
uns schon früh hineinziehen in die
Rastlosigkeit und Seltsamkeit
seines Lebensweges. Kaum acht
Wochen alt, machte ich schon See-
fahrten auf dem hohen Meere mit,
und die vielen Reisen in frühester
Jugend ziehen in verschiedenen Bil-
dern au meinem Gedächtnis vorbei.
Dann tritt vor meine geistigen
Augen die Gestalt meines Vaters,
Weniger die Einzelheiten seiner
Züge als sein Wesen, wenn er um
uns war. Meist still und ruhig, in
sich verschlossen sah ich ihn damals.
Die Erinnerung eines herrlichen
Tages wird in mir wach — ich
glaube, es war Frühling —, da ich
meinen Vater schon von serne durch
die Gärten auf unser Haus zu-
kommen sehe mit seinem eigen-
artigen, etwas schweren, fast nach-
lässigen Gang; dieser Eindruck
wurde noch verstärkt durch einen
weit fallenden Mantel, dessen
Farbe man schwer, doch am besten
mit „grünlich" bezeichnen könnte
und dem mein Vater durch Jahre
treue Anhänglichkeit bewahrte.
Sein Kopf war leicht gesenkt, als
grüble er oder lausche den
Freudenklängen der Natur — ich
weiß es nicht.
Um uns Kinder sorgte er sich;
jedoch nicht so sehr mit der dauern-
den Liebe und Aufopferung W-Leh mb ruck, Junges Weib. ISI1
Das Geschick eines Knaben
im nordischen Krieg
Novelle von Carl v. Bremen
Fortsetzung aus Nr. 1
Nun ist Carl durch die Hand des Obristen
verwirrt und spricht schnell und viel und weiß im
Augenblick gar nicht recht, was er sagt.
Dann sieht er, wie die andere Hand des Kom-
mandanten auf dem Tisch, auf einem ausgebrei-
teten Papier hin und her fährt — Striche und
Kreuze markiert. Carl glaubt, daß Wrangel ihm
gar nicht zuhört — da werden seine Worte
stockend und brechen ganz ab.
Um so verwunderter ist der Knabe, als der
Offizier aufschaut, ihm zunickt und lächelt.
Aber dieses Lächeln ist nicht verheißnngsvoll.
Carl fühlt genau, was der Obrist denkt. Und da
sagt er es wirklich:
„Carl Lechts — du mußt noch warten — noch
ein paar Jahre — dann sollst du Fähnrich werden
bei uns."
Was hilft es jetzt, zu sagen, wieviel er, Carl
Lechts, ertragen kann. Wieviel Nächte er Schlaf
entbehren kann, wie weit er zu Fuß marschieren
kann?
Auf dem Heimweg beißt es ihn in der Gurgel.
Er sucht sich einen Weg zurecht durch die ver-
worrenen Straßen.
Die Großmutter, Frau Magdalena Essen,
empfängt ihn freundlich. Sie weiß, daß der große
Wille, zu leben, den zarten Knaben hinwcgträgt
über diese harten Jahre des Krieges. Er ist tat-
sächlich erst zehn Jahre alt, aber Frau Magdalena
Essen reicht ihm die Hand wie einem Mann und
sagt:
„Willst du hierbleiben — um die Mutter
deiner Mutter zu schützen?"
Kälte, Hunger, Seuchen — reißen Menschen
und Tiere zum Tod herab. — Menschen sind ge-
schwächt und anfällig — so beginnt das Sterben.
Und doch strömen immer weiter neue Menschen
vom Lande, elend geflüchtet, in die Festung Reval,
dort Rettung erhoffend.
Und die Soldaten kommen mit Beutcschlitten.
Schwedische Soldaten rauben die Bauern- und
Edelhöfe aus — um den Russen die Beute nicht
zu überlassen — und verprassen den Raub in der
Stadt.
Der Knabe Carl Lechts nagt die Lippen in
Ohnmacht und Scham, daß die Schweden ebenso
zügellos sind wie Moskowiter.
*
Bisweilen kommt Nachricht von des jungen
König Carl xii. Siegen in Polen. — Einen
Augenblick jauchzt das Land, wehen die
Standarten. — Und dann sinkt alles um — in
bitterer Hoffnungslosigkeit.
Die Einfälle der Russen mehren sich — es gibt
keine Wehr. Sie werden dreister und dreister.
Sie schleifen die Städte, stampfen die Güter ein,
vernichten die Kornkammer Schwedens — Livland
und Estland.
Dann aber stehen wieder die Festungen fest
und grau und überhören den Angstschrei des
Landes.
Die Offiziere des schwedischen Königs schließen
die Kragen hoch, werden noch länger und magerer.
Gebieten Ruhe und Ordnung. Im Kampf sind
sie die ersten, begeistern so die müden Soldaten,
haben sie wieder fest in der Hand. Und diese
— meist Knaben und Veteranen — kämpfen
wieder wie Löwen, stets einer wider viele Gegner.
Die Bastionen werden erweitert, die schwedischen
Schanzen. Die Führer erkennen, wie nötig es ist,
Arbeit zu schaffen, da Müßiggang die Truppe zer-
frißt.
III.
Frau Magdalena Essen ist gestorben an der
Pest.
Sie ist eines der ersten Opfer aus dem Adel.
Und die Menschen sehen hin auf ihre Bahre und
horchen auf.
Jemand hat gesagt:
Auf den Friedhöfen gibt es keinen Platz für
neue Gräber. Da beschließen die Toten, aufzu-
stehen und den anderen — vornehmlich den Sol-
daten — Platz zu machen auf den Friedhöfen in
der Nähe der Kirchen.
Und eines Nachts wälzen die Toten ihre Grab-
steine von den Hügeln und versammeln sich vor-
der Kirche.
Da tritt der Teufel aus dem Hinterhalt und
sagt:
„Ich bin der Engel Gabriel, der Euch führen
soll."
Und der Teufel führt den Totenzug in die
Kirche, führt sie hinauf zum Turm und riegelt
die Tür hinter sich zu.
Dann weist der Teufel aus den Fensterluken
auf das Land und sagt: „Heute ist Friede ge-
schlossen, läutet die Glocken, bis ich Euch weiter-
führe."
Und die Toten, die selbst nichts sehen und nur
den Engel zu hören glauben — reißen an den
Stricken der Glocken, hängen sich fest an den
Tauen.
Satan aber hat zuvor die Stricke der Friedens-
glocke zernagt. So reißen die Toten die Sturm-
und die Totenglocke allein.
Der Teufel entweicht aus dem Fenster des
Turmes. Uber dem Meer wirft er den Schlüssel
des Kirchturms von St. Olai ins Wasser.
Die Menschen entsetzen sich über das Toten-
geläute in der Nacht. Der Pförtner kann den
Schlüssel nicht finden zum Turm. Er sieht durch
die Ritzen, wie die Toten selbst die Glocken
schlagen.
Die Soldaten aber, die die Tür zu sprengen
bestimmt sind, sterben zuvor.
*
Zur selben Zeit sieht die Schloßwache nachts
— mitten in der Nacht dunkle Gestalten in der
Luft fliegen über den Häusern. Die haben Fisch-
gestalt und Flügel.
Aber die Flügel — das haben viele genau ge-
sehen — sind nichts anderes als Zangen, lange
Feuerzangen, wie aus rostigem Eisen. Und diese
Flügelzangen klappern unaufhörlich. In ihnen
haken rote Schleier — wie Soldatendirnen sie
tragen.
Immer neue Fischvögel fliegen, zerren die
Schleier über die ganze Stadt und einen Teil des
Landes. Es nimmt gar kein Ende. — Und dann
sehen sie ganz deutlich: im Schleiertuch viele
schwarze Flecken. Die werden gelblich-grün, fallen
herunter auf die Häuser.
Am nächsten Tag ist in Reval die Pest.
Fortsetzung folgt
5
fällige in Formen, Farben, Anlage und Behand-
lung ist der einzig herrschende Charakter ihrer
zahlreichen Werke. Keiner der lebenden Maler
hat sie weder in der Anmut der Darstellung, noch
in Geschmack und der Fähigkeit, den Pinsel zu
handhaben, übertroffen." Malte sie doch, eine
„Dichterin mit dem Pinsel", allzuviel allegorisches
Zeug, rührselige Historienbilder und antike
Elegien, Tribute an den Geist ihrer Epoche, die
uns heute kaum noch interessieren. Wenn Klop-
stock ihren eleganten Kompositionen überschwäng-
lich huldigte, Leopold von Stolberg sich zu den
begeisterten Versen aufschwingt:
„Es umarmten die Unsterblichen dich,
Lehrten dich Weisheit und gaben deinen
Pinsel dir
Triefend von Leben und getaucht in
Morgenrot",
wenn Matthison betont, niemals sei ein Gegen-
stand von ihr behandelt worden, der „des bei-
fälligen Lächelns der Weisen und der Huld-
göttinnen unwert gewesen wäre", feiern sie das
was uns ganz fern liegt. Es wird in ihren Kreisen,
die nach dem taumelnden Rausch der Rokokozeit
mit ihren graziösen Pikanterien und betörenden
Reizmitteln in ein unschuldsvolles Zeitalter
zurückstrebten und einen Eklektiker wie Luini für
einen der größten Maler ansahen, nicht an geist-
vollen Gesprächen über Anmut und Würde der
Griechen gefehlt haben. Eine falsch verstandene
Antike ist auch hier Angelica Kauffmann Vorbild
gewesen. Mit dem ganzen Wollen ihrer zarten
Persönlichkeit beteiligte sie sich au dem Bestreben,
-ein goldenes Säkulum heraufzubeschwören.
Wer heute in Galerien auf diese mit starker
Hingabe und Sentimentalität gemachten Dinge
trifft, die der zum Klassizismus übergegangene
-Goethe für das Bedeutendste ihres Schaffens hielt,
geht schnell vorüber, weil sie nicht mehr vermögen,
uns diese Frau, die ihren künstlerischen Triumph-
zug bis nach England ausdehnte, lebendig zu
machen. Sie wirken leer und malerisch flau, diese
zu viel bewunderten und zu hoch gepriesenen
Bilder, die verschleierte Vestalin und die verlassene
Ariadne in Dresden, der Christus mit der
Samariterin in München, der Hermann in Wien
u. s. f. Sie rechtfertigen alle jenes Urteil eines
Zeitgenossen, des Weimarer Kunstmeyers, der
selber ein schwacher Könner, zuweilen jedoch ein
ausgezeichneter Kenner war: „Ihre Gestaltung
und Züge der Figuren haben wenig Abwechslung,
der Ausdruck der Leidenschaften keine Kraft, die
Helden sehen wie zarte Knaben oder verkleidete
Mädchen aus."
Immerhin gab es eine Zeit, in der sie Hervor-
ragendes schuf und ihre Kunst den Anschluß an
die Tradition gewann, der ihrer Begabung eine
Festigung verlieh, welche sie zu den eigentlichen
Leistungen innerhalb des ihr Möglichen bringen
sollte. Wir finden in Museen kaum etwas von
der Porträtmalerei ihrer fünfzehn Jahre in Lon-
don, wo sie zum Ehrenmitglied der Royal Akademie
ernannt wurde und ihr der berühmte Reynolds
vergeblich Hand und Reichtum anbot. Bis auf
wenige Proben, wie das Bildnis der Baronin
Krüdener im Louvre, ist das alles unzugänglich.
Vieles ist noch, alter Familienbesitz, in England,
Rußland und anderswo versteckt. Etwa drei-
hundert solcher Werke, die ein englischer Biograph
aufführte, sind nur zum geringsten Teil in
schlechten Nachbildungen bekannt geworden. Wie
stark diese Bildnisse ihren Ruf als Malerin recht-
fertigen, erfuhr auch einmal ein deutscher Kunst-
historiker in Neapel, wo er bei einem Bilder-
händler stöberte. Vor einem Porträt kam ihm die
Charakteristik so lebendig, die Farbengebung so
schmissig, und die ganze Auffassung so einfach vor,
daß er auf Goya riet und erst bei genauer Nach-
prüfung die Signatur Angelicas entdeckte.
Als Wunderkind, welches, wenn auch nicht so
schlimm wie im Falle Anton Mengs, nach Unsitte
der damaligen Zeit von ihrem Vater, einer Durch-
schnittsbegabung, auf die Kunst förmlich dressiert
wurde, hat sich Angelica Kauffmann auch im
Porträtfach schon früh geübt. Das Selbstporträt
der Zwanzigjährigen hängt in den Uffizien. Jung
nach Rom gekommen, schuf sie uns, ein wenig
elegant, aber mit überzeugender Eindringlichkeit
-das Bildnis des großen Winckelmann, jenes
Schustersohnes aus Stendal in der Altmark, der
die antike Kunst als erster erforscht und dargestellt
hat. Ein Ausnahmefall in ihrer ersten römischen
Zeit, in der von der Höhe ihrer späteren Porträt-
es. Leh m b r u ck, Torso
kunst Wohl noch Wenig spürbar gewesen sein wird.
Goethe war mit seinem Konterfei höchst unzufrie-
den: „Es ist ein hübscher Bursche, doch keine Spur
von mir." Wenn die vielen Bewunderer von
ihren Werken sprachen, sie gäben alle den Ausdruck
ihrer „schönen Seele", ihre „schweigende sittliche
Grazie" wieder, stellt sich ganz unwillkürlich der
Gedanke ein, die Bildnisse wären der Malerin
ähnlicher als den Dargestellten gewesen. Wie so
viele künstlerisch veranlagte Frauen charakterisierte
sie nicht aus angeborener außerordentlicher Be-
gabung heraus. Man denkt an das, was Kant
1764 in seiner „Beobachtung über das Schöne und
Erhabene" sagte: „Das schöne Geschlecht hat eben-
sowohl Verstand als das männliche; nur ist es ein
„schöner" Verstand, der unsrige soll ein tiefer Ver-
stand sein."
Und dennoch hat ihr ein so unbestechlicher Sach-
kenner wie Karl Justi nachgerühmt, in einer
langen Zeit der großen Ebbe der Kunst sei sie die
einzige Malerin gewesen, die sich so auf eigene
Füße stellen, einen eigenen Stil und eine eigene
Kunstwelt schaffen konnte, ihr Beispiel hätte zu
dem Glauben beigetragen, „daß die wahren Künst-
ler nicht bloß zahlen müssen mit dem, was sie tun,
sondern auch mit dem, was sie sind". So ist sie,
zuletzt in ihrem berühmt gewordenen Atelier auf
dem Monte Pincio, das mit der Werkstätte des
Bildhauers Canova einen Hauptanziehungspunkt
der Rompilger, besonders der Deutschen, abgab,
unermüdlich wirksam gewesen und doch ganz Frau
geblieben, die in ihrem Dasein vielleicht nur-ein-
mal geliebt hat. Ein Verhängnis, daß sie sich,
der Neigung ihres Herzens folgend, heimlich in
London mit einem sogenannten Grafen Horn
trauen ließ, der später als Hochstapler und bereits
verehelichter Kammerdiener entlarvt wurde; ein
Akt der Vernunft ihre nachherige Verbindung mit
den: Historienmaler Antonio Zucchi aus Venedig.
Von diesem braven, etwas geizigen Ehemann, der
1795 vor ihr gestorben ist, spricht Herder, der sich
im Preise der „zarten Engelsfrau", seiner „ein-
zigen Trösterin in Rom", nicht genug tun konnte,
mit einem Anflug von Eifersucht als von einem
„venetiauischen Alten in der Komödie", nicht ganz
gerecht gegen die von allen bedeutenden Durch-
reisenden angeschwärmte Frau, die nach einen:
Ausspruch der Weimarer Herzogin von sehr feinem
Gefühl war und immer in ihren Schranken blieb.
Goethe nennt sie „das beste Wesen der Welt".
„Man hat keinen Begriff von einem solchen
Talent mit solcher Einfalt, Herzensgüte und echter
Bescheidenheit."
1807 ist sie sechsundsechzigjährig gestorben.
Ganz Ronr beteiligte sich am Leichenbegängnis.
Canova und Pagetti sowie die Direktoren der
französischen und Portugiesischen Akademie trugen
den Sarg. Ihre Büste wurde, als einziges Bild-
nis einer deutschen Frau, im Pantheon aufgestellt.
" Thorwald
Erinnerungen an meinen Vater
Von
Manfred Lehmbruck
Da ich beim Tode meines Vaters erst sechs
Jahre alt war, steht seine Gestalt in meiner Er-
innerung nicht in klaren, festen Umrissen, son-
dern sie löst sich aus dem Dunkel des inneren
Sehens gleichsam traumhaft, mehr Empfindung
als klare Form. Meine eigenen Erlebnisse ver-
banden sich in späteren Jahren mit dem Bilde,
das sich aus den Worten der Mcu-
unserer Mutter, sondern spontan kam in ihm das
väterliche Gefühl zum Durchbruch. Einmal
kehrte er gegen Mitternacht von seiner Arbeit nach
Hause zurück und schien Plötzlich Sehnsucht nach
uns Kindern zu haben. Als er hörte, daß wir
schon schliefen, war er höchst überrascht, holte
uns aber sofort aus den Betten, nahm uns auf
schen, die ihn liebten oder kannten,
aus seinen Briefen und vor allem
aus seinen Werken in mir formte,
zu einem starken und geschlossener!
Erleben.
Vor dem Erwachen des Bewußt-
seins liegt die Zeit, in der das
Kind dem Vater verbunden ist,
schicksalhaft, die Gemeinsamkeit
kaum ahnend. Ein so ausg».
sprochenes Künstlerleben, wie es
das meines Vaters war, mußte
uns schon früh hineinziehen in die
Rastlosigkeit und Seltsamkeit
seines Lebensweges. Kaum acht
Wochen alt, machte ich schon See-
fahrten auf dem hohen Meere mit,
und die vielen Reisen in frühester
Jugend ziehen in verschiedenen Bil-
dern au meinem Gedächtnis vorbei.
Dann tritt vor meine geistigen
Augen die Gestalt meines Vaters,
Weniger die Einzelheiten seiner
Züge als sein Wesen, wenn er um
uns war. Meist still und ruhig, in
sich verschlossen sah ich ihn damals.
Die Erinnerung eines herrlichen
Tages wird in mir wach — ich
glaube, es war Frühling —, da ich
meinen Vater schon von serne durch
die Gärten auf unser Haus zu-
kommen sehe mit seinem eigen-
artigen, etwas schweren, fast nach-
lässigen Gang; dieser Eindruck
wurde noch verstärkt durch einen
weit fallenden Mantel, dessen
Farbe man schwer, doch am besten
mit „grünlich" bezeichnen könnte
und dem mein Vater durch Jahre
treue Anhänglichkeit bewahrte.
Sein Kopf war leicht gesenkt, als
grüble er oder lausche den
Freudenklängen der Natur — ich
weiß es nicht.
Um uns Kinder sorgte er sich;
jedoch nicht so sehr mit der dauern-
den Liebe und Aufopferung W-Leh mb ruck, Junges Weib. ISI1
Das Geschick eines Knaben
im nordischen Krieg
Novelle von Carl v. Bremen
Fortsetzung aus Nr. 1
Nun ist Carl durch die Hand des Obristen
verwirrt und spricht schnell und viel und weiß im
Augenblick gar nicht recht, was er sagt.
Dann sieht er, wie die andere Hand des Kom-
mandanten auf dem Tisch, auf einem ausgebrei-
teten Papier hin und her fährt — Striche und
Kreuze markiert. Carl glaubt, daß Wrangel ihm
gar nicht zuhört — da werden seine Worte
stockend und brechen ganz ab.
Um so verwunderter ist der Knabe, als der
Offizier aufschaut, ihm zunickt und lächelt.
Aber dieses Lächeln ist nicht verheißnngsvoll.
Carl fühlt genau, was der Obrist denkt. Und da
sagt er es wirklich:
„Carl Lechts — du mußt noch warten — noch
ein paar Jahre — dann sollst du Fähnrich werden
bei uns."
Was hilft es jetzt, zu sagen, wieviel er, Carl
Lechts, ertragen kann. Wieviel Nächte er Schlaf
entbehren kann, wie weit er zu Fuß marschieren
kann?
Auf dem Heimweg beißt es ihn in der Gurgel.
Er sucht sich einen Weg zurecht durch die ver-
worrenen Straßen.
Die Großmutter, Frau Magdalena Essen,
empfängt ihn freundlich. Sie weiß, daß der große
Wille, zu leben, den zarten Knaben hinwcgträgt
über diese harten Jahre des Krieges. Er ist tat-
sächlich erst zehn Jahre alt, aber Frau Magdalena
Essen reicht ihm die Hand wie einem Mann und
sagt:
„Willst du hierbleiben — um die Mutter
deiner Mutter zu schützen?"
Kälte, Hunger, Seuchen — reißen Menschen
und Tiere zum Tod herab. — Menschen sind ge-
schwächt und anfällig — so beginnt das Sterben.
Und doch strömen immer weiter neue Menschen
vom Lande, elend geflüchtet, in die Festung Reval,
dort Rettung erhoffend.
Und die Soldaten kommen mit Beutcschlitten.
Schwedische Soldaten rauben die Bauern- und
Edelhöfe aus — um den Russen die Beute nicht
zu überlassen — und verprassen den Raub in der
Stadt.
Der Knabe Carl Lechts nagt die Lippen in
Ohnmacht und Scham, daß die Schweden ebenso
zügellos sind wie Moskowiter.
*
Bisweilen kommt Nachricht von des jungen
König Carl xii. Siegen in Polen. — Einen
Augenblick jauchzt das Land, wehen die
Standarten. — Und dann sinkt alles um — in
bitterer Hoffnungslosigkeit.
Die Einfälle der Russen mehren sich — es gibt
keine Wehr. Sie werden dreister und dreister.
Sie schleifen die Städte, stampfen die Güter ein,
vernichten die Kornkammer Schwedens — Livland
und Estland.
Dann aber stehen wieder die Festungen fest
und grau und überhören den Angstschrei des
Landes.
Die Offiziere des schwedischen Königs schließen
die Kragen hoch, werden noch länger und magerer.
Gebieten Ruhe und Ordnung. Im Kampf sind
sie die ersten, begeistern so die müden Soldaten,
haben sie wieder fest in der Hand. Und diese
— meist Knaben und Veteranen — kämpfen
wieder wie Löwen, stets einer wider viele Gegner.
Die Bastionen werden erweitert, die schwedischen
Schanzen. Die Führer erkennen, wie nötig es ist,
Arbeit zu schaffen, da Müßiggang die Truppe zer-
frißt.
III.
Frau Magdalena Essen ist gestorben an der
Pest.
Sie ist eines der ersten Opfer aus dem Adel.
Und die Menschen sehen hin auf ihre Bahre und
horchen auf.
Jemand hat gesagt:
Auf den Friedhöfen gibt es keinen Platz für
neue Gräber. Da beschließen die Toten, aufzu-
stehen und den anderen — vornehmlich den Sol-
daten — Platz zu machen auf den Friedhöfen in
der Nähe der Kirchen.
Und eines Nachts wälzen die Toten ihre Grab-
steine von den Hügeln und versammeln sich vor-
der Kirche.
Da tritt der Teufel aus dem Hinterhalt und
sagt:
„Ich bin der Engel Gabriel, der Euch führen
soll."
Und der Teufel führt den Totenzug in die
Kirche, führt sie hinauf zum Turm und riegelt
die Tür hinter sich zu.
Dann weist der Teufel aus den Fensterluken
auf das Land und sagt: „Heute ist Friede ge-
schlossen, läutet die Glocken, bis ich Euch weiter-
führe."
Und die Toten, die selbst nichts sehen und nur
den Engel zu hören glauben — reißen an den
Stricken der Glocken, hängen sich fest an den
Tauen.
Satan aber hat zuvor die Stricke der Friedens-
glocke zernagt. So reißen die Toten die Sturm-
und die Totenglocke allein.
Der Teufel entweicht aus dem Fenster des
Turmes. Uber dem Meer wirft er den Schlüssel
des Kirchturms von St. Olai ins Wasser.
Die Menschen entsetzen sich über das Toten-
geläute in der Nacht. Der Pförtner kann den
Schlüssel nicht finden zum Turm. Er sieht durch
die Ritzen, wie die Toten selbst die Glocken
schlagen.
Die Soldaten aber, die die Tür zu sprengen
bestimmt sind, sterben zuvor.
*
Zur selben Zeit sieht die Schloßwache nachts
— mitten in der Nacht dunkle Gestalten in der
Luft fliegen über den Häusern. Die haben Fisch-
gestalt und Flügel.
Aber die Flügel — das haben viele genau ge-
sehen — sind nichts anderes als Zangen, lange
Feuerzangen, wie aus rostigem Eisen. Und diese
Flügelzangen klappern unaufhörlich. In ihnen
haken rote Schleier — wie Soldatendirnen sie
tragen.
Immer neue Fischvögel fliegen, zerren die
Schleier über die ganze Stadt und einen Teil des
Landes. Es nimmt gar kein Ende. — Und dann
sehen sie ganz deutlich: im Schleiertuch viele
schwarze Flecken. Die werden gelblich-grün, fallen
herunter auf die Häuser.
Am nächsten Tag ist in Reval die Pest.
Fortsetzung folgt