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Kunst der Nation — 1.1933

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Zeeck, Hans: Der Kunsthändler Dürer: die Sorge um das tägliche Brot
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Bremen, Carl von: Das Geschick eines Knaben im nordischen Krieg, [1]: Novelle
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Theunissen, Gert H.: Werk und Sinn: zum Schaffen des Bildhauers Anton Grauel
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Kunst der Nation

5

nichts gesehen, das mein Herz also erfreuet hat
als diese Ding. Denn ich hab darin gesehen
wunderliche künstliche Ding und hab mich ver-
wundert der subtilen Ingenia der Menschen in
fremden Landen."
Die Tatsache, daß sich mit dem ständig mehren-
den Absatz auch die Technik Dürers wandelt und
eine volle breitere Manier annimmt, wird einer
.Zeit, die noch unter den Nachwirkungen der so-
genannten Luxusdrucke steht und der der Begriff
des ganz beschrankten Auflagendruckes immer noch
irgendwie geläufig erscheint, ziemlich sonderbar
anmuten. Aber Dürer konnte von Kupfern, die
wie der so selten gewordene Stich von „Adam und
Eva" in zarter Manier ausgeführt waren, un-
möglich die ihm für den Verkauf notwendig er-
scheinenden Auflagen in guten Abdrucken von
einer derartig fein behandelten Platte erzielen.
Als echte Volkskunst wahrhaft begehrt waren
alle diese Bilder, welche die Gedanken, die in den
Besten der Zeit verkörpert waren, überall hin-
ckrugen. Sie verursachten Erbauung und Freude;
und selbst Fuhrknechte mochten zuweilen graphische
Blätter der Entlohnung vorziehen. Keineswegs
aber entstammten sie jener einsam-abgeschlossenen
Künstlerklause, wie sie sich die Romantiker er-
träumten, die ja auch noch manche Tafeln als
Dürerwerke bewunderten, von welchen für uns

kaum noch ein karger Abglanz seines Persönlich-
keitskreises ausgeht. Dürers Kunst war Quali-
tät, nicht Stimmungssache, sie war nicht so zeit-
abgcwandt und abseitig, wie sich der kunstsinnige
Klosterbruder der Tieck-Wackenroder das vorstellen
wollte. Wo immer das Volk zusammenkam, hatte
sie Wirkung und Absatz. Kolporteure brachten sie
auf die Märkte, Frau Agnes besuchte die Frank-
furter Messe damit, und wenn sich Dürer auf
Reisen befand, etwa in Italien oder in den
Niederlanden, führte er auch einen Posten „Ware"
mit sich.
Manchmal ist Wohl Klage darüber geführt
worden, daß Dürer schon auf der Höhe des Ruh-
mes so wenig für seine Blätter einnahm. Einem
Goldschmied in Brüssel überlieferte er für einen
Ring mit sechs Steinen, der sieben Gulden —
140 Mark in heutiger Währung — kosten sollte,
sein gesamtes Kupferstichwerk. Wenn er für 460
Blätter acht Gulden erhielt, bekam er im Durch-
schnitt 35 Pf. für das Blatt. Wie ein Händler,
nicht wie ein Künstler gab er seine Holzschnitte
und Kupferstiche in Bogen ab, von denen die
ganzen eine, die halben zwei und die viertel vier
Darstellungen enthielten. In Antwerpen zahlte
man ihm für die kleine Holzschnittpassion etwa
zwei Mark Pro Blatt, für „Apokalypse", große
Holzschnittpassion und Marienleben etwa 10 Mark

pro Blatt und für die Kupferstichpassion 4 Mark
pro Blatt. Tücher gibt 1515 für drei Exemplare
des „Hieronymus im Gehäus" und für die „Me-
lancholie" 1l4 Gulden. Es wird heute kaum noch
zu schätzen sein, was Dürer an Einnahmen bekam
für die mehr als ISO Stiche und 160 Holzschnitte,
von denen er mehrere hundert Abzüge herstellte,
verkaufte und vertauschte. Aber wir wissen von
ihm selbst, daß er auf seiner niederländischen Reise
zehn Pfennig für ein gebackenes Huhn zahlte und
daß er in Emmerich am Rhein zu drei Personen
eine „köstliche" Mahlzeit für drei Pfennig hielt.
Er war überhaupt ein genauer Buchhalter, wie
freigiebig er seine Graphik auch manchmal ver-
schenken mochte. Und wenn sich in seinen Briefen
und Tagebuchaufzeichnungen auch mancherlei
Klagen über soziale Nöte und engbrüstige Ver-
hältnisse finden, als Handwerk hatte seine Kunst
ihren goldenen Boden. Wie nun einmal in
diesem Leben, ist es auch bei ihm nicht ohne Ent-
täuschungen abgegangen. Aber vor einem hat ihn
seine graphische Produktion bewahrt, sie brachte
ihn nicht in das Abhängigkeitsverhältnis zum ein-
zelnen Besteller. Denn das Malhandwerk war in
den Tagen Dürers, wo für ein einziges Pfund
Ultramarin 2000 Mark in heutigem Gelde ge-
geben wurde, viel kostspieliger als in unseren
Tagen. Thorwald

Das Geschick eines Knaben
im nordischen Krieg
Novelle von Carl v. Bremen

i.
Siebzehnhundert und drei.
Hartgefrorene Erde ist furchtbar.
Der Knabe Carl Lechts ist zehn Jahre alt.
Er trägt zerrissene Schuhe — schlecht zu gehen —
und muß doch gehen — weit, durch dunkle Wälder
in die fremde Stadt.
Das Abendrot will heute kein Ende nehmen.
Überall im Umkreis brennen Höfe, Windmühlen,
Speicher und Scheunen. Wo der Russe hin-
kommt, schlägt er Brand an.
Das Vaterhaus des Knaben Woall stand zwölf
Stunden lang in Flammen. Die Glut war
mächtig und heiß und wärmte den Knaben. Er lag
unter einem Strauch und sah jeden einzelnen
Balken stürzen. Und er betete: Der Vater soll
kommen mit seinen Reitern, die Russen tot-
schlagen — verjagen.
Aber er kam nicht.
Kalmücken schleppten die Mutter weg.
Hartgefrorene Erde ist furchtbar. Nadelspitz
jeder Brocken Erde, der sich in die Sohle Preßt
und dann zuckt das Knie zusammen. Carl hat
brennende Füße und muß doch flüchten. Daß
bie Soldaten ihn nicht greifen. Moskowiter
streifen in Trupps zu zweien und dreien, schleifen
Beute herbei zum Lager.
Wenn Carl den Vater findet, der wird ihn
zu sich nehmen. Er wird ihm die Fahne zu
tragen geben. Dann reitet Carl Lechts mit der
Fahne des Königs von Schweden.
Der kämpft gegen die Polen. Er hat zu wenig
Soldaten. Oh, wie viele Russen es gibt!
*
Über dem Walde ganz nah qualmt grau-roter
Rauch.
Also auch Sauküll tief im Walde haben sie
gefunden. Carl schleicht über den Heuschlag im
Dunkeln zum Hof — steht hinter einer Birke.
Russische Soldaten lagern am Feuer und haben
es warm, singen Lieder.
Die Nacht wird kalt.
Ob die Brücke noch steht über den Fluß bei
Sauküll?
Sonst muß Carl durch das Wasser schwimmen
mit seinen Kleidern.
Wer von den Banern hat noch ein Boot? Wer
von den Bauern lebt noch und sagt, wo eine
Furt ist?
Der Sauküll-Fluß ist schon zugefroren. Man
sieht auf dem Eise die Sterue spiegeln — so kalt
ist es.
Carl ist gelaufen und hat es gar nicht ge-
merkt.
Es ist schon spät in der Nacht.
Er legt sich mit dem Bauch auf das Eis,
schiebt sich hinüber. Und wenn es bricht, das
Eis? Es bricht nicht. Es schwankt bloß, und
dann klirren Risse in die Seiten ans. Carl Lechts
ist leicht. Er läuft weiter.
*
Wo kann die Mutter sein? Wo Tuve, der
ältere Bruder?
Vielleicht läuft er auch nach der Stadt.
Carl Lechts hat seinen Bruder Tuve gefunden.
Er weiß selbst nicht, wie es geschah.
Er ging durch die Nacht und sah sich nicht um.
Als er den Fluß überquert hatte, wurde er Plötz-
lich müde. Er glaubte, Wölfe werden kommen
oder Bären. Er hatte Angst.
Aber dann wurde er mit eincmmal ganz ruhig
und froh und legte sich zum Schlafen in den
Wald. Er wollte nur von der Mutter träumen.
„Aber dann träumte ich, Tuve, daß du mich
riefst! Und ich stand auf und ging weiter. So
bin ich hierhergelangt, Tuve, ich ging Wohl im
Schlaf."
Die Brüder liegen im Stroh, dicht nebenein-
ander. Tuve hält den Kleinen im Arm.
„Wie heißt dieser Hof hier am Morast? Auch
du weißt es nicht, Tuve? Hast du zu essen?
Brot!
Wir wollen schlafen, Tuve, und dann später
wollen wir uns zwei Pferde suchen, zum Vater
reiten in die Stadt. Alle Soldaten kämpfen gegen
Zar Peter und den furchtbaren Marschall
Scheremetjew.

Ja, Scheremetjew, den Russengeneral, wollen
wir beide, du, Tuve, und ich gefangen nehmen und
ihn dann zwingen, daß er seinen Soldaten Be-
fehl gibt, Estland zu räumen. Und dann reiten
wir beide zum König Carl und zeigen ihm un-
seren Gefangenen General Graf Scheremetjew.
Tuve lacht.
„— Wie der Keller uns schützt vor der Kälte,
Tuve. In Woall mochte ich die Keller nicht
leiden; aber wie weit liegt Woall hinter uns,
Tuve."
Tuve steht auf:
„Ich hole Reisig. Wir machen Feuer, wärmen
uns."
„Ich fürchte, Tuve, der Rauch — niemand
darf ihn sehen! Sonst kommen Russen, schleppen
uns weg nach Moskau, bringen uns um.
Aber nein, ich habe keine Angst, wenn du bei
mir bleibst."
Der Bruder Tuve schlägt Feuer. Feuchter
Qualm zieht langsam durch den Raum.
Dieser Keller ist wie ein großes Bett, denkt
Carl — so geborgen bin ich in ihm. Tuve, der
gute, brachte mir ein Stück Eis. Mit dem kühl
ich die Fußwunden. Und dann werde ich ein-
schlafen, während mir Tuve erzählt.
„Und weißt du, Tuve, der festgestampfte
Lehm hier ist besser, als der gefrorene auf den
Straßen. Und dein Reisigfeuer, Tuve, das taut
uns auf wie im Sommer."
H.
Die flüchtenden Knaben haben die Stadt
Reval erreicht.
Tuve, der ältere, meldet sich sogleich beim
Kommandanten.
Carl Lechts, der jüngere, hat das Stadthaus
der Großmutter aufgefunden. Nun soll er hier
im Vorsaal warten.
Der Knabe steht am Fenster und sieht vom
Hause auf den Domberg hinunter in die Stadt.
Unten gehen, laufen und rotten sich schwedische
Soldaten, und weiter stehen feste Mauern, Türme
und Bastione.
Das alles sieht Carl von oben und ist ver-
wundert über die Ruhe im Hause.
Dann geht er durch den Saal. Er hält die
Hände auf dem Rücken. Vor einem Wandspiegel
bleibt er stehen. Er sieht sich darin und sieht,
daß er sich lange nicht gewaschen hat. Mit dem
Ärmel reibt er den Staub und Rauch und Ruß
aus dem Gesicht, — wiewohl er reibt, es bleibt
immer etwas nach.
Er erinnert sich, daß die Frau hier im Hause
gestreng ist. Und er sieht, wo er gegangen ist,
sind schwarze feuchte Flecken.
Der Knabe will nicht warten. Er hat Hunger,
will essen und schlafen. Er öffnet eine Tür und
steht einer Frau mit Weißen Haaren gegenüber.
Sie sieht ihn kaum, da fragt er schon:
„Seid Ihr Frau Magdalena Essen? — Ich
bin Eurer Tochter Anna Lechts Sohn. Ja, der
jüngste, Carl. Ich komme aus Woall. Tuve
ging zum Kommandanten. Er wird Soldat.
Wißt Ihr, daß die Moskowiter uns überfielen,
die Mutter verschleppten? Ganz nah streifen die
Russen vor Reval. Ihr wollt mich aufnehmen
bei Euch in der Stadt. Ich bin müde, bin weit
gegangen. Mehrere Tage und Nächte, Tuve und
ich. Reval hat feste Mauern — aber das Land
ist verheert."
*
Wenige Tage später begibt sich der Knabe Carl
Lechts auf den Weg zum Kommandanten der
Zitadelle. Die Straßen der Stadt Reval sind
eng. Carl weiß nicht, wohin auszuweichen, wenn
ein großer Wagen vorbeifährt.
Viel Volk steht umher, sieht auf die Flücht-
linge, die durch die Lehmpforte einströmen.
In der Zitadelle dröhnen die Gänge und
knarren Stufen unter den Tritten der Soldaten
und Offiziere. Einer nach dem andern will zu
Obrist Wrangel, dem schwedischen Stadtkomman-
danten.
Der zweite stößt den Vormann hinein in den

Raum, in dem Obrist Wrangel, an die Tischkante
gelehnt, empfängt und Befehle gibt.
Carl Lechts steht zehn Schritte vor dem
Obristen. Wrangel winkt ihn herbei und legt
eine Hand auf seinen Kopf. Das bringt Carl aus
der Fassung.
Er wollte ganz straff und kurz den Obrist
bitten, ihn einzureihen in eins der Regimenter.
Er will die Heimat verteidigen, will kämpfen
gegen die Russen, wie sein Bruder Tuve.
Fortsetzung folgt

Werk und Sinn
Zum Schassen des Bildhauers Anton Gräuel
Anton Gräuel ist 1897 in Bad Soden bei
Salmünster geboren. Die Weise seines Arbeitens
bestimmten Kolbe und Richard Scheibe, dessen
Schüler Gräuel war. Es mag lauge Zeit ge-
dauert haben, bis er die Vorbilder überwand, um


A. Grauet, Bronze

sich selbst im Eigenen zu finden. Das Sich-selbst-
verstehen und die Geschlossenheit der Plastiken
Kolbes und Scheibes hätten einen weniger zähen
Künstler und unermüdlichen Handwerker un-
weigerlich zum Epigonen gemacht; es bedurfte
einer hellsichtigen und feinncrvigen Wachheit, das
eigene Können über die Gestaltung der Meister-
arbeiten hinauszuführen, nicht im Sinne einer
Wertung, sondern der Entfaltung der Eigenheit
und Eigenschaft.
Was es in Hoch-Zeiten der Kunst immer gab:
die Bildung einer Schule, die Sammlung alles
handwerklichen und künstlerischen Wissens in der
Persönlichkeit des Meisters und die dadurch be-
dingte Gewährleistung einer sorgfältigen Inne-
haltung von Regel und Gesetz, Einheit und Ge-
folgschaft, kurz: die Entstehung und Behauptung
einer künstlerischen Kultur -— das ist wieder in
dem Verhältnis Gräuels zu Scheibe und Kolbe

möglich geworden. Be-
sonders in Deutschland
wurde diese Verbun-
denheit unterschätzt
und als erzwungen
oder sogar als nn-
schöpfcrisch-hilflos ge-
brcmdmarkt. Man
übersah die Bedeu-
tung des künstlerischen
Erbes. Daher kam es
auch, daß immer wie-
der mit dem Tode des
Meisters auch die
Zeugungskraft der
Form erstarb und die
Einsamkeit des Künst-
lers mehr noch durch
das Losgerissensein
vom meisterlichen Vor-
bild, als durch das
Unverständnis der
Allzuvielen ins Uner-
trägliche wuchs. Dann
erst, wenn man ein-
sehen wird, daß die
Kunst aus der Ge-
meinschaft der Künst-
ler, oder treffender:
aus dem Verhältnis
von Lehrerschaft und Schiilcrkreis leben muß, ist
die Vorbedingung für eine gesunde Kunst aus der
Nation heraus erfüllt. Das heißt: nicht Clique, son-
dern Schule, nicht akademischer Stundenplan, son-
dern Hingabe an das Ziel freier Entschließung.
Dem Ruf nach der Gemeinschaft des Volkes darf
sich das Ohr des Künstlers nicht verschließen. Wo-
anders denn fände der Grundsatz vom Führertum
welttiefere und schönere Erfüllung!
Und alle diese Forderungen finden wir im
Werke Anton Gräuels anerkannt. Wie aber
unterscheidet er sich denn letzthin von den Meistern,
die ihm — vor allen anderen — Kolbe und
Scheibe waren, ihm, der selbst heute ein Meister
ist? So verhalten und schweigend und so gar
nicht marktschreierisch seine Werke sind, so subtil
und verborgen ist das Geheimnis dieser Unter-
scheidung im schöpferischen Urgrunde. Man
möchte sagen, Gräuel habe das Geistige, das
heißt doch das Erkennende dem Eros hinzu-
gefügt, nein: einverleibt. Die uns bedrängende
Frage nach dem metaphysischen Sinn der Ge-
schlechter wirft Kolbe nicht auf; das Glück der

A. Gräuel, Bronze


ein idlstionalsorislist dsrk irAsndvie bensck-
teiltet vcrdcn, weit er sick nickt ru einer
bestimmten lUsubensriektunx oder Uonkession
oder veil er sick ru iiberksupt keiner Lon-
kessien bekennt. Der (Hauke ist eines jeden
eigenste VnAeiexenbeit, die er nur vor seinem
Uevissen ?u verantvorten bst. Kevissens-
svsnS dsrk nickt sus^eübt verden.
Rudolf kiek

vegetativen Fraglosigkeit ist ganz eingefangen in
die Anmut der tänzerischen Gebärde. Damit ver-
harrt Kolbe im zeitlosen Raum des Nur-Weib-
lichen, das kein forschender, vom Abenteuer der
existenziellen Gefährdung besessener Geist auf-
bricht. Diese Frauengestalten sind aus dem
Reiche der Mütter; sie lockt das Männliche nicht,
das ihre Gebärden lähmen und ihr Antlitz der
Unruhe der Zeit gewaltsam zukehren würde. Sie
verlangen nicht mehr Raum, als ihre Körper ein-
nehmen. Gräuels Akte aber greifen in den frem-
den Raum, sie wollen die Begegnung mit dem
Anderen und Fremdfeindlichen einbeziehen. Und
während es diese Frauen in solcher unsinnlichen
Weise nach dem Geist der Erkenntnis und Ent-
rätselung verlangt, treten sie aus dem Bannkreis
ihres Geschlechtes in die Sphäre des anderen Ge-
schlechtes und werden auf eine seltsame Art
Künderinnen ihrer Gegenwart; sie müssen es
werden, denn sie gehören der Zeit ja mit ihrem
aufgebrochenen Wesen an. Was keiner Philo-
sophie, keiner Dialektik in der heutigen Stunde
möglich zu sein scheint, den Geist gestalthaft vom
Intellekt zu scheiden, das gelingt der Kunst des
Plastikers Anton Gräuel. G. H. Th.

Meeres-Ungeheuer
Aus der Kunstkritik des vorigen
Jahrhunderts
. . . Nach der hergebrachten Schablone ist das
Gemälde Emil Striemers, „Friedrich mit der
gebissenen Wange läßt auf der Flucht, von Fein-
den umringt, sein Kind von einer Bäuerin
tränken", welches außerdem sehr ungünstig
hängt . . .
Berliner Börsenzeitung, 2. Mai 1883
... Die Fluth der Malerinnen steigt bei uns
in jedem Jahr . . .
Vossischo Zeitung, 22. Juni 1883
. . . G. Pflugradt zeigt uns in zwei Bil-
dern, wie helläugig er die Lebenspulse der Natur
belauschen kann . . .
Berliner Tageblatt, 1883

„Willst Du der Menge Beifall Dir erzwingen,
Kann Dir's auf neue Weise nur gelingen.
Erschaffe neue Meeresungeheuer,
Und wüste, mißgestalte Abenteuer;
Wenn solch ein Untier Dir die Pfote reicht,
Wird Dir der Schlaf um Mitternacht verscheucht.
Ein Wahnsinn, solche Bilder uns zu malen,
Die zu vergessen Geld man möchte zahlen.
Mozart und Rafael, die einst geschätzt,
Sind jetzt durch Wagner und Böcklin ersetzt."
Heinrich Kruse, Der treue Maler
(Stralsunder Zeitung, 26. Mai 1889)
 
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