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Kunst der Nation — 1.1933

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Lehrer an der Sowjet-Kunstakademie, [1]
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Benoit, Gerd: Neue Musik
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Urselmans, Gerhard: Alfred Partikel
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Renger-Patzsch, Albert: Kamera und Landschaftsfotografie
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Kunst der Nation

3

sondern muß schon mit ihr in weitem Maße in
Übereinstimmung sein, um sie wirklich aufnchmen
zu können. — Diese Musik ist jedoch zu sehr für
den Raum, für die Kirche geschrieben, wo sie sich
auch erst ganz offenbaren kann, als daß eine
Rundfunksendung ihr in jeder Weise gerecht wer-
den könnte, wie es auch hier trotz künstlerisch
hochwertiger Leistungen zu bemerken war.
Zur deutschen Messe von SPitta wird jeder
gleich Beziehung haben. Sie ist trotz ihres ernsten
Charakters von jener Heiterkeit erhellt, die wir bei
den alten Meistern so oft bewundern. Während
mancher Fernerstehendc bei der Musik von Simon
vielleicht noch etwas Quälendes empfinden mag,
ist hier alles zur einfachen musizierfreudigen Be-
wegung ausgeglichen, und der Weg zur neuen
Musik wird hier jedem Hörer leicht gemacht.
Beide Werke sind Bekenntnisse völlig verschie-
dener Menschen, zwei völlig verschiedener Land-
schaften, aber doch eines deutschen Wesens.
G. Benoit

Lehrer an der
Sowjet-Kunstakademie
Fortsetzung von Seite i
bourgeoisen Welt nehmen. Auf Kritiken in bür-
gerlichen deutschen Zeitungen wird bei der Be-
urteilung von Künstlern in Rußland der größte
Wert gelegt. Dies zeigte mir schon sehr bald, daß
auch die Sowjetrussen dieselben Russen geblieben
sind, wie sie es unter dem Zaren waren, die kul-
turell interessiert immer nach dem Westen schielen.
„Wie ist die Kunstakademie organisiert?"
— Die Kunstakademie ist in dem alten, von
Katharina II. errichteten wundervoll imposanten,
heute aber völlig verschmutzten und verkommenen
Akademiegebäude untergebracht. Sie wird von
etwa tausend Schülern besucht, von denen mehrere
Hundert auch im Institut wohnen und von denen
eine Reihe wegen ihrer Parteizugehörigkeit beson-
ders bevorzugter Schüler auch eigene, natürlich
sehr kleine Zimmer haben. In dem riesigen
Akademiegebäude hat die Kunstakademie selbst aber
viel zu wenig Platz, weil mindestens die Hälfte
der riesigen Räume die Büros von städtischen
Organisationen und allen möglichen Behörden
beherbergt. So sind die verschiedenen Abteilun-
gen für Bildhauerei, Architektur, Theaterdekora-
tion, Malerei, Reklame und Propaganda äußerst
beengt. Das schlimmste ist aber, daß alle von
diesem Mangel reden, aber in echt russischer Weise
nicht etwa faktisch dagegen etwas unternommen
wird.
„Wie leben die Lehrer an dieser Hochschule?"
— Das Leben der Lehrer ist wesentlich ab-
hängig von dem bezogenen Gehalt. Die Honorie-
rungen weichen aber durchaus voneinander ab.
Ich selbst bezog 300 Rubel, wovon aber gleich ein
erheblicher Teil für Zwangsanleihen für den
neuen Fünsjahresplan abgezogen wurde, so daß
mir als Restgehalt eigentlich nur 215 Rubel ver-

blieben. Das Höchstgehalt eines Lehrers erreicht
400 Rubel.
— Da tatsächliche Angaben in Deutschland
interessieren dürsten, will ich auf die Unkosten der
Lebenshaltung etwas näher eingehen. Für die
Wohnung zahlte ich mit meiner Frau zusammen,
das heißt für ein Zimmer, etwa 15 Rubel monat-
lich. Nachdem meine Frau wieder nach Deutsch-
land zurückgekehrt war, mußte ich für denselhen
Raum 20 Rubel bezahlen, weil ich als Allein-
bewohner schon über mehr Quadratmeter ver-
fügte, als nur eigentlich zustanden. Für das
Heizmaterial muß man schon Monate vorher Geld
deponieren. Das Holz für die Wintermonate
kostete insgesamt 30 Rubel, dazu kamen aber noch
die Unkosten sür das Löschen am Kai, sür An-
fahren und Kleinmachen mit 40 Rubel. Im
übrigen konnte ich in einem Auslandsgeschäft
kaufen, wobei aber zu bemerken ist, daß die Ver-
sorgung des einzelnen sehr vom Zufall abhängig
ist, denn die Geschäfte auch gleicher Kategorie sind
sehr voneinander verschieden in der Art, wie sie
versorgt werden und selbst wieder versorgen
können.
— Ich gehörte der ersten Versorgungskategorie
an, die für GPU-Beamte, wissenschaftliche Ar-
beiter, Ingenieure und Techniker, zu denen auch
qualifizierte Arbeiter gehören, bestimmt ist. Tat-
sächlich war auch mein relativ gutes Gehalt trotz
allerbescheidenster Ansprüche nicht auskömmlich,
und ich mußte, um einigermaßen noch menschen-
würdig durchzukommen, Kleidungsstücke und
Werkzeuge verkaufen. Natürlich kommen auch
kleine, allerdings recht harmlose Schiebungen

dauernd vor, indem viele im Versorgungsgeschäft
irgendwelche Sachen, die sie nicht brauchen, kaufen
und dann weiter verkaufen oder gegen Dinge, die
sie brauchen, eintauschen.
„Erzählen Sie doch, wie die Studenten der
Akademie leben."
— Die Lebenshaltung der Schüler ist schreck-
lich. Die meisten bekommen Stipendien, die im
ersten Jahr durchschnittlich 35 Rubel betragen und
bis zu 75 Rubel im vierten Jahr aufsteigen.
Davon werden ihnen aber gleich 30 Rubel für
Essen und einige Rubel sür Wohnung in der Aka-
demie abgezogen. Die Kleidungsfrage wird dem
Teufel überlassen, der im entgotteten Rußland
auch von den Bolschewisten dauernd im Munde
geführt wird. Da schon ein Stück Seife auf dem
Markt fünf bis sechs Rubel kostet, irgendwelche
Anschaffungen überhaupt nicht auf normalem
Wege gemacht werden können, so laufen die
Schüler völlig abgerissen, ungewaschen und kör-
perlich verwahrlost herum. Da das Prinzip
herrscht, daß die Akademie jedem zugänglich sein
soll, kann kein Schüler sich an seinem Platz im
Atelier überhaupt rühren, und die Schlassäle sind
überfüllt und vollgestopft. Da man in Rußland
im Oktober die Fenster für den ganzen Winter,
das heißt bis Mai, verkittet, kann man sich vor-
stellen, in was sür einer Luft die Jungen schlafen.

Alfred


Der Maler Partikel bei der Gartenarbeit
Wer kennt denn schon diesen kleinen Ort
Goldap in Ostpreußen?! Dort wurde der Maler
Alfred Partikel geboren, oder, wie man im Falle
eines Malers Wohl nicht schöner sagen kann: dort
erblickte er das Licht der Welt. Goldap ist seine
Welt, die Rominter Heide, in der er aufwuchs,
liegt weitab von Paris, ohne das eine ganze
Künstlergeneration nicht auszukommen glaubte.
Nicht das Paris der Franzosen ist gemeint, son-
dern das der Amerikaner, nicht die Stadt des
Maßes und der Klarheit, sondern des Rummels.
In Ostpreußen haben die Dinge des Lebens einen
anderen Geschmack; das
Brot ist körniger, das
Wasser frischer. Partikel
ist der Versuchung des
Städtischen, des Lärmes
und der Buntheit, nicht
erlegen. Denn überall ist
ja für ihn Goldap.
Seine Arbeiten kennen
nicht die Deformationen
alles dessen, was den
Stadtgeborenen unter den
kraftlosen Händen zer-
brach, als der Horizont
Europas sich mit Gewit-
terwolken des Hasses um-
zog. Frühling und Som-
mer, Herbst und Winter
sind die großen Verzückun-
gen seiner Bilder, Gleich-
nisse seiner Landschaft,
Gleichnisse seiner selbst.
Immer wiederkehrende
Wandlungen, die er beim
Namen ruft, und siehe:
sie gehorchen dem Wort
der Farbe. Er spricht in
Farben, und er denkt in
Formen. Alle Bäume und Wege, alle Blätter,
die müde auf die Erde fallen, jede Knospe, die der
letzte Schnee erwärmt, sind ihm Beispiele für das
Glück der einen großen Stille, die keine Erklärung
verlangt. Nur die Stille ist vollkommen. In ihr
gibt es keinen Irrtum, denn der Wind, der übers
Land fegt, ist ein Gott, und die Erde, die sich der
samcnstreuenden Hand des Ackermannes öffnet, ist
die Frau des großen Hauses, die das Brot be-
reitet und Menschen, Tieren und Pflanzen das
Leben schenkt. Was kümmert es denn schon den
Handsesten, wetterstarken Maler namens Partikel,
wenn irgendwo in einem Berliner Cafs eine neue
Richtung entdeckt wird und wenn die wortbrünsti-
gen Zeitungsschreiber sich nicht genug an der Ver-
störung der Leser laben können! So lebt man am
billigsten vom später le bourxsois. Denn der
Bürger hat Furcht; der Mann, da draußen in
seiner Kate, hat Angst. Diesen Unterschied ver-
steht nur der, welcher in die Stille lauscht, die noch
keucht zwischen zwei Böen, nur der, dem das Wun-
der der Wolken den Atem verschlägt. Es ist die
Angst des Frühlings und des Herbstes, des Wer-
dens und Vergehens. Besser, als sich wegen des
Untergangs des Abendlandes die Haare auszu-
raufen, ist es, den Kartoffelsack und den Spaten
zu nehmen und aufs Feld zu ziehen, das Strohdach
des Hauses zu flicken oder mit den Kindern des
Dorfes sich herumzubalgen. Mitten in den
Dingen stecken, nicht loslassen von
ihnen, das ist alles. Das Werk wird so
immer auch der Mensch sein, der es erschuf. Die

Es ist um so schlimmer, als die Beköstigung sehr
schlecht ist, so daß die Menschen in jeder Be-
ziehung verkommen. Daß jeder Ungeziefer hat, ist
selbstverständlich.
— Eines Tages kam ein Schüler zu mir ins
Zimmer, zog seinen Mantel aus und suchte einen
Haken. Ich sagte: „Hängen Sie Ihren Mantel
doch dahin, an meine Garderobe." Zu meinem
Erstaunen aber antwortete er: „Nein, das möchte
ich nicht. Wir haben alle Ungeziefer und ich
möchte Ihnen keines ins Haus bringen".
— Fast alle Schüler müssen sich entschließen,
auf eigene Faust Fabrik- und Erdarbeiten
zwischendurch zu suchen, um überhaupt ab und zu
einmal die notwendigsten Mittel für kleine An-
schaffungen in die Hand zu bekommen. Ein leich-
teres Leben haben diejenigen Schüler, die der Re-
gierungspartei angehören. Sie können damit
rechnen, daß sie nach vier Jahren schon anfangen,
feste Aufträge zu bekommen, und auch schon wäh-
rend des Studiums genießen sie Erleichterungen
bei der Beschaffung von Material, und dürfen
sogar auch abends, was den anderen nicht erlaubt
ist, in den Ateliers arbeiten. Diese Parteizugehö-
rigen aber sind bei den anderen Studenten sehr
unbeliebt, weil man in ihnen stets Schleicher,
Kriecher und womöglich Spitzel vermutet, und
dies nicht mit Unrecht. Fortsetzung folgt

Partikel
Kunsttheoretiker reden von „Einfühlung" und be-
reiten damit den wirklichen Künstlern einen fa-
mosen Spaß. Zu diesen Lachern gehört Partikel.
Nur einmal ist ihm
das Lachen vergangen.
Das war während des
Krieges, der das Ant-
litz der Landschaft ent-
stellte und Unordnung
brachte in das Ge-
deihen des Werkes und,
wie Partikel selbst sagte:
„ohne dabei zu merken,
wie sehr man sich
selbst bei dem vielen
Knoten und Wiederan-
knüpfen in ein Netz
verstrickte". Aber da war
schon eigentlich der Krieg
vorüber. Die Hände
waren leer geworden,
in den Augen stand
noch der Widerschein des
Grauens. Besinnung auf
sich selbst konnte nur
die Erde der Heimat
wiedergeben. Sie empfing
ihn und hatte sich
nicht verändert. Par-
tllol gründete eine Fa-
milie und baute sein
Haus. Er versammelte Schüler um sich, denen er
Lehrer sein durfte. Akademieprofessor muß ihm
wie Hohn geklungen haben. Doch ist es ein schöner

Mit vollem Recht konnte man gespannt sein
auf die erste fotografische Ausstellung im neuen
Staate, die „Kamera" in den Berliner Aus-
stellungshallen. Daß die Erwartungen auf Be-
sonderes nicht enttäuscht wurden, daran hatte
größten Anteil der Gedanke, die Empfangshalle mit

Partikel, Landschaft 1928. Aachen, Slg. Dr. Walbaum
Vergrößerungen aus der nationalsozialistischen
Bewegung auszustatten. Eine gefährliche An-
gelegenheit, wenn man bedenkt, daß da Platten
von 9/12 oder 13/18 cm Flächenmaß Räume von
40 qm und mehr füllen sollen. Es ist das beson-
dere Verdienst Niemanns, diese Vergrößerungen in
einer bisher noch nie gesehenen Vollkommenheit,


G. Marcks, Bildnis Partikel

Gedanke, Lehrer ohne Eitelkeit zu besitzen. Unauf-
hörlich entnimmt er Werk für Werk der reichen
Kargheit seiner Landschaft. Aber auch ihm fiel
nichts unerkämpft in den Schoß. Die alten Hol-
länder haben ihn sehen gelehrt, in deutschen Mei-
stern, wie Blechen und Rohlfs, mußte er Ver-
wandtes spüren. Und Italien, in dem er eine

Zeitlang weilte, beirrte ihn nicht, sondern machte
ihn nur noch wacher auf der Spur nach dem
Norden. Gerhard Urselmans

Brillanz und Schärfe hergestellt zu haben. Sie
sind nicht nur ihrer inhaltlichen Bedeutung wegen,
sondern auch aus fotografisch-technischen Gründen
der unbestrittene Höhepunkt der im übrigen sehr
interessanten Ausstellung.
Die eigentliche Veranlassung zu diesem kleinen

Aufsatz gibt mir aber eine Beobachtung, die ich bei
der Durchsicht nicht nur der ausgestellten, sondern
auch der eingereichten Bilder zu meinem aller-
größten Staunen machen mußte. Das war das fast
völlige Fehlen von deutschen Landschaftsauf-
nahmen. Während das deutsche Volksgesicht in
einer geschlossenen Serie höchst eindrucksvoller


P a rti k el, Sommerabend. 1927

P « rLi: e 1, Silbers!ist-Zeichnung


Kamera und Landschafissotograsie
Von
Renger-Patzsch
 
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