6
Kunst der Nation
seiner Zeit, besah diese Liebe und eine unendliche Sehnsucht
nach Licht, bewegendem Leben und Farben, die ihm als
Gemütswerte und seelische Äußerungen galten. Aber wie es
bei dem ihm wahlverwandten und gleich ihm früh ge-
storbenen Novalis der Fall gewesen ist, hat er das Eigent-
liche seines Lebenswerkes nur im Fragment zu geben ver-
mocht. Von seinem Hauptwerk, den groß angelegten „Tages-
zeiten", wie er sie nennt: eine abstrakt malerische phan-
tastisch-musikalische Dichtung in Chören, eine Komposition
für alle drei Künste zusammen, wofür die Baukunst ein ganz
eigenes Gebäude errichten sollte, ist nur der „Morgen" be-
gonnen und auf seinen Wunsch nach seinem Tode zerschnitten
worden.
Immerhin beweisen diese jüngst wieder zusammen-
gesetzten Stücke und die Vorstufen zu diesem Werk, dazu
äußerst eindringliche Selbstbildnisse, Schilderungen von Men-
schen, die ihm nahestanden, Figurendarstellungen vor land-
schaftlichen Hintergrund, in denen die Farben rein und un-
vermischt sprechen, und vieles andere seiner Hand, daß dieser
Maler der Frühromantik, dem Brentano und Arnim be-
wegende dichterische Nachrufe widmeten, als einer der nur
wenigen nach Dürer den Ruhmestitel „deutscher Maler" mit
Ehren trägt. Von seinen Zeitgenossen verstanden nur einige
Auserwählte den besonderen Charakter, den faustischen Trieb,
das Geniale, Handwerkliche und Problematische dieser hohen
Kunst. Der dichterisch beschwingte, im tiefsten Wesensgrunde
immer etwas oberflächliche Tieck hielt sich mehr an das hiero-
glyphisch Arabeskenhafte, das Zeichnerische, das die mystische
Farbensymbolik Runges begleitete. Als der rheinische Samm-
ler Sulpiz Boisseree 1811 Goethe besuchte, hingen die Um-
rißstiche der „Tageszeiten" im Musiksaal. „Was, kennen
Sie das noch nicht?", fragte der Dichter, den theoretische
Studien über die Farben mit Runge verbunden haben. „Da
sehen Sie einmal, was das für Zeug ist, zum rasend werden,
schön und toll zugleich. Das will alles umfassen und ver-
liert sich darüber immer ins Elementarische, doch noch mit
unendlichen Schönheiten; da sehen Sie nur, was für Teufels-
zeug, und hier wieder, was da der Kerl für Anmut und
Herrlichkeit hervorgebracht,' aber der arme Teufel hat's
auch nicht ausgehalten, er ist schon hin, es ist nicht anders
möglich; was so auf der Klippe steht, muß sterben oder ver-
rückt werden, da ist keine Gnade!" Sie kannten ja mit weni-
gen Ausnahmen alle nur diese Umrißstiche und nicht jene
Jugendwerke, von denen bereits anläßlich der Berliner Jahr-
hundertausstellung von 1906 gesagt worden ist, daß sie mit
keinem einzigen Jugendwerk eines deutschen Malers der
neueren Zeit vergleichbar wären, selbst nicht mit dem, was
der junge Menzel geschaffen hat. Er ging andere Wege und
wagte sich im Alter von Runge auch nicht an so große Auf-
gaben heran. Boisserse hat den Stimmungsgehalt der Kunst
des Hamburger Meisters sehr fein erfaßt, als er vor den
,,Tageszeiten" an Beethovens Instrumentalmusik erinnert
wurde. Diese, der vollkommenste Ausdruck, den die deutsche
Frühromantik gefunden hat, ist der Malerei Runges durch-
aus verwandt. Ein Schicksal für die deutsche Kunst, daß der
Maler keine Vollendung und keinerlei Nachfolge fand.
Sein Vorbild bleibt dennoch unschätzbar. Durch sein
Dasein, das sich in Werken und Worten ausmirkte, gab er
dem Begriff Künstlertum einen neuen Inhalt.
T ü o r iv a l ck
Meres-Ungeheuer
F. H. Messcrschmidt (1732—83), Charakterkops
Leseprobe ans Kurt Karl Eberle in, Was
ist Deutsch in der deutschen Kunst? Verlag
E. A. Seemann, Leipzig 1933.
„Ausdruckskünstler waren alle großen deutschen Künstler,
aber diejenigen Maler, Bildhauer, Graphiker „Expressio-
nisten" zu nennen, die gerade in Verkennung und Zer-
störung deutscher Kunstabstammung und Kunstverwandtschaft
ohne Sorgfalt, Innigkeit, Ehrfurcht, Liebe, Beseelung, ohne
innere Musik, ohne dichterische Kraft und Gemüt, ohne Aus-
dauer und technisches Können der Natur wie Schnellmaler,
Holzhacker, Urneger gegenüberstehen und volkfern, blutfern,
artscrn für den unbekannten Eroßstadtkäufer ihre form-
zerhackten, breiverschmierten, angemalten Telegramme ab-
An die Maler Westdeutschlands!
Der erste Versuch, die schaffenden künstlerischen Kräfte
Westdeutschlands zusammenzufassen, ist mit der „Westfront
1933" unternommen. Man darf mit Recht sagen, daß dieser
Vorstoß zur Überwindung der künstlerischen Krisis gelungen
ist. Der wirtschaftliche Erfolg war über Erwarten gut.
Das erwachende Interesse weitester Volkskreise gibt sich in
der für eine Kunstausstellung gewaltigen Besucherzahl kund.
Es gilt nun, Anregungen zu geben und die Sache der deut-
schen Kunst energisch vorwärts zu bringen. Aus diesem
Grunde veranstaltet die „Westfront 1933", die vom Kampf-
bund für deutsche Kultur ins Leben gerufen wurde, ein Preis-
ausschreiben zur Erlangung einiger guter
Eltern- oder Familienbilder.
An Preisen sind ausgesetzt: 2000 M.
Letzter Einsendetermin: 28. Februar 1934.
Bedingungen für das Preisausschreiben sind mit dem
Katalog für die „Westfront 1933" zu haben.
Die Arbeiten werden als Ausstellung das neue Duis-
burger Museum weihen. Wir bitten die Maler, uns ihre
Beteiligungsabsichten bekanntzugeben.
Adresse: Kampfbund für deutsche Kultur,
G a u k u l t u r a b 1 e i l u n g , Essen, Rathaus
Rüttenscheid.
Jacob van Nuisdael, Landschaft bei Haarlem
senden, ihre Plastiken und Holzschnitte hacken — das ist
Sprachverwirrung! Diese gemalten Holzgötzen, Verbrecher,
Magenkranken, Südseeinsulaner, diese slawischrussischen
Bauern, Dorfidioten, Schizophrenen, diese ausgezogenen
Freibadindianer, ohne Seele, Herz, Rasse, diese Medien,
Huren und Zuhälter, diese zerfetzten, heimatlosen, seelen-
losen Landschaften mit Baumlappen, Seetüchern, Meer-
schüsseln, Hauswürfeln, Wolkenballen und Sonnenplittern
und dazu diese gottlosen Verbrecherjuden, die als Christus,
diese schwindsüchtigen Fürsorgenutten, die als Muttergottes
auftreten, all diese explosiven Wandbehänge, Plakate, Bett-
vorlagen, diese angemalten Holzschnittmuster, diese ge-
backenen, gehackten, gedrehten Worträtsel, das ist alles
weder Kunst noch deutsche Kunst, sondern Angstfieber, Alb-
traum, Kriegspsychose, Nevolutionsekstase, Fellachenmode und
Kunstersatz!"
Requisiten der Vergangenheit
Wilhelm Speyer: Ein Mantel, ein
Hut. ein Handschuh. Uraufführung
im Berliner Renaissance-Theater.
Wilhelm Speyers Schauspiel: Ein Mantel, ein
Hut, ein Handschuh, das das Berliner Renaissance-
Theater unter der Regie von Alfred Bernau ur-
aufführte, gibt Aufschluß darüber, daß in künst-
lerischen Dingen der Kampf gegen überlebte Re-
quisiten noch lange nicht gewonnen, ja daß er
vielleicht noch gar nicht in sein entscheidendes
Stadium eingetreten ist. Denn Thema, Problema-
tik und Figuren dieses der Voruntersuchung von
Alsberg nachfahrenden Stückes, das, wie man
schon nach den ersten Sätzen erkennt, von keinem
Dramatiker von Blutwcgen gestaltet, sondern von
einem bloßen Schriftsteller literarisch ersonnen
worden ist — hängen eigentlich heute bereits völlig
in der Luft und existieren nur noch in einer ein-
gebildeten Welt außerhalb des Neuen Deutschland.
Das Stück gehört zu einem Ende — nämlich zu
dem Ende der bürgerlichen Gesellschaft und hat
mit irgendwelchen neuen Anfängen und Ansätzen
auch nicht das Geringste zu tun. Man kann nur
feststellen, daß das Theatcrstadium, für das es
seinerzeit geschrieben worden ist, notwendig an
seiner eigenen Abwegigkeit, Unfruchtbarkeit und
Bolksentfremdung zugrunde gehen mußte. Es
ist nur sonderbar, daß man es für notwendig
hält, diese Unfruchtbarkeit noch einmal vor Augen
zu führen.
Der Liberalismus als Knochenerweichung der
Völker hat, das muß man an diesem Schauspiel
wieder fcststellen, wie jedes Handwerk auch
das Dramatische zugrunde gerichtet. Denn er
kennt ja keine Entschiedenheit, keine Strenge und
nicht die unerbittliche Selbstbescheidung, ohne die
keine Leistung gedeihen kann. Er kennt keine
geschlossenen Charaktere mehr, die sich in der Be-
grenzung erfüllen und Meister werden, — er
weiß nur um das Allerweltstier Mensch. Solche
„Menschen" beherrschen auch das Schauspiel von
Speyer. Damit fallen jedoch die natür-
lichen Spannungen und werden, da Spannung
zu jeder Art von wirklichem Leben, vor allem aber
zum Drama nötig ist, durch künstliche, mechanische,
in diesem Fall durch kriminalistische ersetzt. So
sind denn Mord und Schwnrgerichtsverhandlung
als symbolische Akte im bürgerlichen Schauspiel
auch charakteristisch für das Ende der bürgerlichen
Gesellschaft, deren Auflösung sie Widerspiegeln;
man kann sich auch des Gedankens nicht erwehren,
daß in dieser Vorliebe für den Gcrichtssaal die
großstädtische, entwurzelte „Gesellschaft" bereits
den eigenen Gerichtstag ahnt und ihn gleichsam
auf die Bühne verdrängen will. Aber der Ge-
richtstag, der am 30. Januar 1933 begonnen hat,
läßt sich nicht durch die Scheinwclt des Theaters
aufhaltcn uud verdrängen.
Man muß bei dieser Gelegenheit folgendes
sagen: Wenn das Publikum das Schauspiel von
Speyer uoch einigermaßen beifällig aufgenommen
hat, so kennzeichnet das die heutige Theater-
situation als eine ausgesprochene Übergangs-
situation, vor allem in Berlin. Es ist noch kein
neues Publikum da, es gibt noch kein wirkliches
deutsches Theatervolk, das unterdessen seiner
eigenen Theaterart bewußt geworden wäre. Da
ist also noch eine unermeßliche Arbeit zu leisten.
Es wird dabei freilich nicht genügen, gegen das
verflossene Zeitalter zu
polemisieren, was in-
zwischen mit Recht und
mit genügendem Nach-
druck geschehen ist; auch
programmatische Erklä-
rungen, die natürlich
notwendig waren, helfen
vorerst noch mehr den
Stückcschreibcrn als den
Dramatikern der Nation
— die Zeit ist jetzt ge-
kommen, da schlagkräftige
Gegenbeispiele
der neuen deut-
schen Dramatik ge-
geben werden müssen.
Es ist eine Schuld der
einstmals maßgebenden
Theaterstadt Berlin, daß
sie in dieser Beziehung
heute völlig versagt und
den Geist von gestern
nicht auszutreiben ver-
mag — denn außer
dem Schlageter vou
Hanns Johst, der ein
nationalpolitisches Auf-
brnchsdrama war, ist kein
dichterisches Gegenbei-
spiel aus dem Theater
gegeben worden.
Die Aufführung des
Speyerschen Schauspiels
mit Friedrich Ulmer uud
Hilde Kocrber hat sich
sehen lassen können — es war guter Durchschnitt
von gestern. Wann aber merkt man auf den
Berliner Theatern am Stil der Abende, daß
ein neues Zeitalter für Deutschland ange-
brochen ist? Milb. v. 8ebramm
Reue italienische Musik
Es erweckt höchstes Vertrauen in die Situation
der modernen Musik im faschistische« Staat, wenn
er in der Lage ist, in dem kurzen Zeitraum von
etwa vierzehn Tagen an drei Abenden so aus-
gezeichnete Proben seiner jungen Komponisten
zur Diskussion zu stellen. Vergegenwärtigen wir
uns die Situation der italienischen Musik zu Be-
ginn der faschistischen Revolution: unbeschränkte
Alleinherrscherin ist — nach dem wahrhaft glanz-
vollen Jahrhundert der Oper (mit Verdi als
leuchtendem Mittelpunkt) — die veristische Oper.
Diese Abart aber, das typisch bürgerliche Musik-
drama, trug dadurch, daß sie die gute italienische
Operntradition verließ, bereits den Todcskeim in
sich. Stand noch die Opcrnmusik des 18. Jahr-
hunderts ihrem Gehalt nach durchaus aus der
Höhe der sinfonischen Musik, so erniedrigte sich
die Musik des Berismo zu einem form- und
Physiognomiclosen Dienst am Text. Die daneben
laufende Linie der sinfonischen Musik — vertreten
etwa durch Martucci und Sgambati — blieb in
der großen Tradition der deutschen Vorbilder be-
sangen und konnte daher keinen rechten Einfluß
gewinnen. Immerhin hat sie das Verdienst ge-
habt, die jungen italienischen Komponisten sich in
ihre eigene große Tradition versenken zu lassen,
und es ist lehrreich, zu beobachten, wie ihnen aus
diesen starken Wurzeln neue Kraft strömt. Wir
erleben mit Erstaunen, daß sich das junge Italien
auf dem Gebiet der absoluten Musik, bis jetzt die
Domäne der Deutschen, einen neuen, eigenwilligen
und klaren Stil geschaffen hat. So, wie Musso-
linis Revolution aus italienischem Geist geboren
ist, der sich den Forderungen der Zeit augepaßt
hat, so hat die junge italienische Musik typisch
italienische Formen in die Tonsprachc unserer
Zeit übersetzt. Italien hat damit eine Musik, die
cs mit Stolz als nur ihm gehörig bezeichnen kann.
Ottorino Respighi, der in der Berliner Phil-
harmonie selbst für sein Werk eintrat, wurde seinerzeit von
Mussolini durch die Berufung in die Akademie ausgezeichnet.
Er gilt als der repräsentative Vorkämpfer jung-italienischer
Musik. Es gibt wohl kein Gebiet instrumentalen Schaffens,
das dieser bewegliche Geist sich nicht untertänig gemacht
hätte. Er ist derjenige, welcher noch am intensivsten die
Verbindung mit der großen Tradition anderer Länder
(Rich. Strauß - Cl. Debussy) aufrechterhalten hat. Er Hal
denn auch leichter bei uns Fuß zu fassen vermocht. Seine
„Pini di Roma" und noch mehr die „Fontane di Roma"
sind gerne bei uns aufgesührte und gehörte Orchesterwerke.
Problematischer ging es an dem von Piccardi diri-
gierten Abend im Berliner Funkhaus zu: neben Werken ge-
mäßigter Richtung von Massimo und Veretti liest
da eine Partita von Dallapiccola aufhorchen, wäh-
rend eine Konzertouvertüre von Petrassi, ein von
rhythmischer Energie geladenes und sehr eigenwilliges Stück,
uns eine direkte geistige Verwandtschaft mit Paul Hindemith
aufzuweisen scheint.
Es spricht für den erfreulich verjüngten Geist der Ber-
liner Staatsoper, wenn ein so hervorragender Vertreter der
unter faschistischer Kulturpolitik geförderten und blühenden
Moderne wie Alfredo Casella ihr sein Konzert op. 56
zur Uraufführung anvertraut. Hier ist so ein Werk, das
altitalienische Formen mit neuem Leben füllt. Es ist noch
gar nicht so lange her, daß Casella angefeindet wurde wie
wenige. Der heute 50jährige macht es uns auch jetzt durch-
aus nicht leicht. Das Adagio dieses Konzerts bleibt in
seinen Stimmungswerten zwischen gefühlsmäßigen und paro-
distischen Elementen unentschieden. Dagegen glitzern die
stilistisch auf Rossini und Scarlatti zurückgehenden Ecksätze
von Geist und humorvollem Übermut. Casella hat durch
die ernsten und kühnen Werke seiner Frühzeit zu einer un-
beschwerten Heiterkeit hingefunden. Es ist damit ein Werk
entstanden, das sich, wie Casella selbst sagt, an einen „weiten
Kreis" wendet. „Der Zuhörer soll nicht über die Natur
irgendwelcher Probleme und deren Lösung durch den Kom-
ponisten nachdenken, sondern die Musik unbefangen auf sich
wirken lassen . . ." W. n 6 6 r k>
Hans Mim
kündet von deutscher Seele
Ob cs nun ein schöner Zufall oder weiser
Vorbedacht war, daß Pfitzncrs romantische
Kantate „Von deutscher Seele" gerade in der
Woche nach den: überwältigenden Wahlbekenntnis
des deutschen Volkes und am Tage nach der Grün-
dung der Reichskulturkammer zu Gehör kam:
jedenfalls bleibt cs dcr großzügigen Initiative der
Berliner Funkstnnde zu danken, daß sie dem Kom-
ponisten mit dem wundervollen Apparat des
Philharmonischen Orchesters und des Bruno-
Kittclschen Chors die einwandfreie Aufführung
des schwierigen Werkes ermöglichte. Es war zwar
nicht so bezeichnet, aber cs wurde in Wahrheit
eine „Stunde der Nation". Es war am Applaus
nicht zu überhören, daß das Volk (sprich:
Publikum) begriffen hatte, daß da jemand ge-
sprochen hatte, der wie nur einer berechtigt war,
von deutscher Seele zu singen. Darf die Hoff-
nung dämmern, daß Pfitzner, der bisher etwa als
„letzter Romantiker" und (im besten Sinne) „un-
zeitgemäß" galt, die ihm im deutschen Musikleben
gebührende Stellung einnehmen wird?
Die Kantate wurde vor 12 Jahren komponiert, also in
Kmderbildms von Wilhelm Leibl
Das Kindcrbildnis Wilhelm Leibls
entstand um 1872. Es hat etwas rührend
Kindliches an sich in der Art, wie dieser
Maler die Person charakterisiert, wie er
das Kind in seiner Jugendschönc und
Jugendkrast zu einem Abbild gesunden
Lebens schafft.
Von den kleinen farbigen Flecken um
Stirne, Wange, Oberlippe, Kinn fluten
die Strahlen des Kolorits über das ganze
Köpfchen, und lassen es aus dem Dunkel
magisch aufleuchtcn als ein Meisterwerk
von rein malerischem Reiz. Die Durch-
sichtigkeit der Farbe gibt dem Gesichtchen
tiefe Räumlichkeit, obwohl die Zeichnung
in dem samtenen Dunkel versinkt.
ilbcr die farbige Harmonie und Zart-
heit bei so viel Frische und Stärke hinaus
aber ist das Geheimnis der Kinderseele
gelöst. Der Mund wie im ersten Ernst
geschlossen, die Augen schauen tief und
still noch unbewußt, ihre Blickrichtung er-
reicht kein sichtbares Ziel, doch ahnt man
die Kraft des bäuerlichen Willens hinter
der jungen Stirn.
Reinen Genuß bereitet der Anblick,
der uns verjüngt und wieder zurück-
versetzt in die Zeit, da wir selbst Kinder
waren, in die Zeit der Jugend.
einer Zeit tiefster Not und Erniedrigung. Ursprünglich lag.
dem Komponisten jede Tendenz fern. Das Werk entstand,
wie Pfitzner selbst sagt, „wie alles andere, was ich bisher
gemacht habe, aus einem Gestaltungstrieb, der im Grunde
nichts ist als ein höherer Spieltrieb". Er wollte ursprüng-
lich nur zu verschiedenen Zeiten entstandene Eichendorff-
Lieder durch orchestrale Zwischenspiele verbinden. Aber unter
der Hand, „wie von selbst wuchs ihm das kleine Werk ins
Große. Aus dem „höheren Spieltrieb" wurde ein tiefgrün-
diges Kunstwerk, das der Meister „Von deutscher Seele"
nannte, weil er „keinen besseren und zusammenfassenderen
Ausdruck fand für das, was aus diesen Gedichten an Nach-
denklichem, übermütigem, Tiefernstem, Zartem, Kräftigem
und Heldischem der deutschen Seele spricht". So wuchs der
Musiker, indem er von seiner Seele sang, zum Künder
der Nation. Seit Reger starb, ist Pfitzner neben dem seinem
Wesen diametral entgegengesetzten Richard Strauß der Re-
präsentant einer nach innen gerichteten, rein deutschen Musik.
Pfitzner macht es allerdings seinen Hörern nicht gerade
leicht: ein Orchesterstück, wie etwa gleich zu Beginn „Dcr
Tod als Postillon", gehört in seiner schauerlichen Phantastik
zum kühnsten, was in der Modernen Musik überhaupt ge-
schrieben wurde. Er ist heute, nach 12 Jahren, noch unerhört
verwegen, nur, daß es bei aller „Atonalität" enorm gekonnt
ist. Oder eine Stelle wie das Lhor-Furioso im 2. Teil „Der
jagt dahin, daß die Rosse schnauben . . .", die mit ihrer
atemraubenden Dämonie vorbeirast. Pfitzncrs eigenste Do-
mäne aber ist der „Liederteil". Jeder Takt läßt hier eine
Naturverbundenheit erahnen und beweist ein Vermögen,
zarteste Stimmungen und hintergründigste Gedanken in Musik
einzufangen, das einsam in unserer Zeit steht. Ist Pfitzner
wirklich der „letzte Romantiker"? Jedenfalls hat er uns mit
seiner „romantischen Kantate" ein Werk geschenkt, das wahr-
haft aus den Tiefen der deutschen Seele schöpft, und das
daher gerade heute tiefgehende Wirkungen überall da aus-
lösen muß, wo es mit der gleichen Liebe und Sorgfalt, fast
möchte ich sagen: zelebriert wird, wie das durch den Kom-
ponisten in der Aufführung der Funkstunde geschah. VV.
Schriftleitung: Otto-Andreas Schreiber; verantwortlich: Otto-Andreas Schreiber, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation G. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. — Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst dcr
Nation zu richten. Anzeigenannahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet, vaftung für unverlangt eingesandte
Manuskripte wird nicht übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung, abgelehnt. Druck H. S. Hermann E. m. b. H., Berlin SW 19.
Nr. 3 rechtsverbindliche Auflage 500V Stück.
Kunst der Nation
seiner Zeit, besah diese Liebe und eine unendliche Sehnsucht
nach Licht, bewegendem Leben und Farben, die ihm als
Gemütswerte und seelische Äußerungen galten. Aber wie es
bei dem ihm wahlverwandten und gleich ihm früh ge-
storbenen Novalis der Fall gewesen ist, hat er das Eigent-
liche seines Lebenswerkes nur im Fragment zu geben ver-
mocht. Von seinem Hauptwerk, den groß angelegten „Tages-
zeiten", wie er sie nennt: eine abstrakt malerische phan-
tastisch-musikalische Dichtung in Chören, eine Komposition
für alle drei Künste zusammen, wofür die Baukunst ein ganz
eigenes Gebäude errichten sollte, ist nur der „Morgen" be-
gonnen und auf seinen Wunsch nach seinem Tode zerschnitten
worden.
Immerhin beweisen diese jüngst wieder zusammen-
gesetzten Stücke und die Vorstufen zu diesem Werk, dazu
äußerst eindringliche Selbstbildnisse, Schilderungen von Men-
schen, die ihm nahestanden, Figurendarstellungen vor land-
schaftlichen Hintergrund, in denen die Farben rein und un-
vermischt sprechen, und vieles andere seiner Hand, daß dieser
Maler der Frühromantik, dem Brentano und Arnim be-
wegende dichterische Nachrufe widmeten, als einer der nur
wenigen nach Dürer den Ruhmestitel „deutscher Maler" mit
Ehren trägt. Von seinen Zeitgenossen verstanden nur einige
Auserwählte den besonderen Charakter, den faustischen Trieb,
das Geniale, Handwerkliche und Problematische dieser hohen
Kunst. Der dichterisch beschwingte, im tiefsten Wesensgrunde
immer etwas oberflächliche Tieck hielt sich mehr an das hiero-
glyphisch Arabeskenhafte, das Zeichnerische, das die mystische
Farbensymbolik Runges begleitete. Als der rheinische Samm-
ler Sulpiz Boisseree 1811 Goethe besuchte, hingen die Um-
rißstiche der „Tageszeiten" im Musiksaal. „Was, kennen
Sie das noch nicht?", fragte der Dichter, den theoretische
Studien über die Farben mit Runge verbunden haben. „Da
sehen Sie einmal, was das für Zeug ist, zum rasend werden,
schön und toll zugleich. Das will alles umfassen und ver-
liert sich darüber immer ins Elementarische, doch noch mit
unendlichen Schönheiten; da sehen Sie nur, was für Teufels-
zeug, und hier wieder, was da der Kerl für Anmut und
Herrlichkeit hervorgebracht,' aber der arme Teufel hat's
auch nicht ausgehalten, er ist schon hin, es ist nicht anders
möglich; was so auf der Klippe steht, muß sterben oder ver-
rückt werden, da ist keine Gnade!" Sie kannten ja mit weni-
gen Ausnahmen alle nur diese Umrißstiche und nicht jene
Jugendwerke, von denen bereits anläßlich der Berliner Jahr-
hundertausstellung von 1906 gesagt worden ist, daß sie mit
keinem einzigen Jugendwerk eines deutschen Malers der
neueren Zeit vergleichbar wären, selbst nicht mit dem, was
der junge Menzel geschaffen hat. Er ging andere Wege und
wagte sich im Alter von Runge auch nicht an so große Auf-
gaben heran. Boisserse hat den Stimmungsgehalt der Kunst
des Hamburger Meisters sehr fein erfaßt, als er vor den
,,Tageszeiten" an Beethovens Instrumentalmusik erinnert
wurde. Diese, der vollkommenste Ausdruck, den die deutsche
Frühromantik gefunden hat, ist der Malerei Runges durch-
aus verwandt. Ein Schicksal für die deutsche Kunst, daß der
Maler keine Vollendung und keinerlei Nachfolge fand.
Sein Vorbild bleibt dennoch unschätzbar. Durch sein
Dasein, das sich in Werken und Worten ausmirkte, gab er
dem Begriff Künstlertum einen neuen Inhalt.
T ü o r iv a l ck
Meres-Ungeheuer
F. H. Messcrschmidt (1732—83), Charakterkops
Leseprobe ans Kurt Karl Eberle in, Was
ist Deutsch in der deutschen Kunst? Verlag
E. A. Seemann, Leipzig 1933.
„Ausdruckskünstler waren alle großen deutschen Künstler,
aber diejenigen Maler, Bildhauer, Graphiker „Expressio-
nisten" zu nennen, die gerade in Verkennung und Zer-
störung deutscher Kunstabstammung und Kunstverwandtschaft
ohne Sorgfalt, Innigkeit, Ehrfurcht, Liebe, Beseelung, ohne
innere Musik, ohne dichterische Kraft und Gemüt, ohne Aus-
dauer und technisches Können der Natur wie Schnellmaler,
Holzhacker, Urneger gegenüberstehen und volkfern, blutfern,
artscrn für den unbekannten Eroßstadtkäufer ihre form-
zerhackten, breiverschmierten, angemalten Telegramme ab-
An die Maler Westdeutschlands!
Der erste Versuch, die schaffenden künstlerischen Kräfte
Westdeutschlands zusammenzufassen, ist mit der „Westfront
1933" unternommen. Man darf mit Recht sagen, daß dieser
Vorstoß zur Überwindung der künstlerischen Krisis gelungen
ist. Der wirtschaftliche Erfolg war über Erwarten gut.
Das erwachende Interesse weitester Volkskreise gibt sich in
der für eine Kunstausstellung gewaltigen Besucherzahl kund.
Es gilt nun, Anregungen zu geben und die Sache der deut-
schen Kunst energisch vorwärts zu bringen. Aus diesem
Grunde veranstaltet die „Westfront 1933", die vom Kampf-
bund für deutsche Kultur ins Leben gerufen wurde, ein Preis-
ausschreiben zur Erlangung einiger guter
Eltern- oder Familienbilder.
An Preisen sind ausgesetzt: 2000 M.
Letzter Einsendetermin: 28. Februar 1934.
Bedingungen für das Preisausschreiben sind mit dem
Katalog für die „Westfront 1933" zu haben.
Die Arbeiten werden als Ausstellung das neue Duis-
burger Museum weihen. Wir bitten die Maler, uns ihre
Beteiligungsabsichten bekanntzugeben.
Adresse: Kampfbund für deutsche Kultur,
G a u k u l t u r a b 1 e i l u n g , Essen, Rathaus
Rüttenscheid.
Jacob van Nuisdael, Landschaft bei Haarlem
senden, ihre Plastiken und Holzschnitte hacken — das ist
Sprachverwirrung! Diese gemalten Holzgötzen, Verbrecher,
Magenkranken, Südseeinsulaner, diese slawischrussischen
Bauern, Dorfidioten, Schizophrenen, diese ausgezogenen
Freibadindianer, ohne Seele, Herz, Rasse, diese Medien,
Huren und Zuhälter, diese zerfetzten, heimatlosen, seelen-
losen Landschaften mit Baumlappen, Seetüchern, Meer-
schüsseln, Hauswürfeln, Wolkenballen und Sonnenplittern
und dazu diese gottlosen Verbrecherjuden, die als Christus,
diese schwindsüchtigen Fürsorgenutten, die als Muttergottes
auftreten, all diese explosiven Wandbehänge, Plakate, Bett-
vorlagen, diese angemalten Holzschnittmuster, diese ge-
backenen, gehackten, gedrehten Worträtsel, das ist alles
weder Kunst noch deutsche Kunst, sondern Angstfieber, Alb-
traum, Kriegspsychose, Nevolutionsekstase, Fellachenmode und
Kunstersatz!"
Requisiten der Vergangenheit
Wilhelm Speyer: Ein Mantel, ein
Hut. ein Handschuh. Uraufführung
im Berliner Renaissance-Theater.
Wilhelm Speyers Schauspiel: Ein Mantel, ein
Hut, ein Handschuh, das das Berliner Renaissance-
Theater unter der Regie von Alfred Bernau ur-
aufführte, gibt Aufschluß darüber, daß in künst-
lerischen Dingen der Kampf gegen überlebte Re-
quisiten noch lange nicht gewonnen, ja daß er
vielleicht noch gar nicht in sein entscheidendes
Stadium eingetreten ist. Denn Thema, Problema-
tik und Figuren dieses der Voruntersuchung von
Alsberg nachfahrenden Stückes, das, wie man
schon nach den ersten Sätzen erkennt, von keinem
Dramatiker von Blutwcgen gestaltet, sondern von
einem bloßen Schriftsteller literarisch ersonnen
worden ist — hängen eigentlich heute bereits völlig
in der Luft und existieren nur noch in einer ein-
gebildeten Welt außerhalb des Neuen Deutschland.
Das Stück gehört zu einem Ende — nämlich zu
dem Ende der bürgerlichen Gesellschaft und hat
mit irgendwelchen neuen Anfängen und Ansätzen
auch nicht das Geringste zu tun. Man kann nur
feststellen, daß das Theatcrstadium, für das es
seinerzeit geschrieben worden ist, notwendig an
seiner eigenen Abwegigkeit, Unfruchtbarkeit und
Bolksentfremdung zugrunde gehen mußte. Es
ist nur sonderbar, daß man es für notwendig
hält, diese Unfruchtbarkeit noch einmal vor Augen
zu führen.
Der Liberalismus als Knochenerweichung der
Völker hat, das muß man an diesem Schauspiel
wieder fcststellen, wie jedes Handwerk auch
das Dramatische zugrunde gerichtet. Denn er
kennt ja keine Entschiedenheit, keine Strenge und
nicht die unerbittliche Selbstbescheidung, ohne die
keine Leistung gedeihen kann. Er kennt keine
geschlossenen Charaktere mehr, die sich in der Be-
grenzung erfüllen und Meister werden, — er
weiß nur um das Allerweltstier Mensch. Solche
„Menschen" beherrschen auch das Schauspiel von
Speyer. Damit fallen jedoch die natür-
lichen Spannungen und werden, da Spannung
zu jeder Art von wirklichem Leben, vor allem aber
zum Drama nötig ist, durch künstliche, mechanische,
in diesem Fall durch kriminalistische ersetzt. So
sind denn Mord und Schwnrgerichtsverhandlung
als symbolische Akte im bürgerlichen Schauspiel
auch charakteristisch für das Ende der bürgerlichen
Gesellschaft, deren Auflösung sie Widerspiegeln;
man kann sich auch des Gedankens nicht erwehren,
daß in dieser Vorliebe für den Gcrichtssaal die
großstädtische, entwurzelte „Gesellschaft" bereits
den eigenen Gerichtstag ahnt und ihn gleichsam
auf die Bühne verdrängen will. Aber der Ge-
richtstag, der am 30. Januar 1933 begonnen hat,
läßt sich nicht durch die Scheinwclt des Theaters
aufhaltcn uud verdrängen.
Man muß bei dieser Gelegenheit folgendes
sagen: Wenn das Publikum das Schauspiel von
Speyer uoch einigermaßen beifällig aufgenommen
hat, so kennzeichnet das die heutige Theater-
situation als eine ausgesprochene Übergangs-
situation, vor allem in Berlin. Es ist noch kein
neues Publikum da, es gibt noch kein wirkliches
deutsches Theatervolk, das unterdessen seiner
eigenen Theaterart bewußt geworden wäre. Da
ist also noch eine unermeßliche Arbeit zu leisten.
Es wird dabei freilich nicht genügen, gegen das
verflossene Zeitalter zu
polemisieren, was in-
zwischen mit Recht und
mit genügendem Nach-
druck geschehen ist; auch
programmatische Erklä-
rungen, die natürlich
notwendig waren, helfen
vorerst noch mehr den
Stückcschreibcrn als den
Dramatikern der Nation
— die Zeit ist jetzt ge-
kommen, da schlagkräftige
Gegenbeispiele
der neuen deut-
schen Dramatik ge-
geben werden müssen.
Es ist eine Schuld der
einstmals maßgebenden
Theaterstadt Berlin, daß
sie in dieser Beziehung
heute völlig versagt und
den Geist von gestern
nicht auszutreiben ver-
mag — denn außer
dem Schlageter vou
Hanns Johst, der ein
nationalpolitisches Auf-
brnchsdrama war, ist kein
dichterisches Gegenbei-
spiel aus dem Theater
gegeben worden.
Die Aufführung des
Speyerschen Schauspiels
mit Friedrich Ulmer uud
Hilde Kocrber hat sich
sehen lassen können — es war guter Durchschnitt
von gestern. Wann aber merkt man auf den
Berliner Theatern am Stil der Abende, daß
ein neues Zeitalter für Deutschland ange-
brochen ist? Milb. v. 8ebramm
Reue italienische Musik
Es erweckt höchstes Vertrauen in die Situation
der modernen Musik im faschistische« Staat, wenn
er in der Lage ist, in dem kurzen Zeitraum von
etwa vierzehn Tagen an drei Abenden so aus-
gezeichnete Proben seiner jungen Komponisten
zur Diskussion zu stellen. Vergegenwärtigen wir
uns die Situation der italienischen Musik zu Be-
ginn der faschistischen Revolution: unbeschränkte
Alleinherrscherin ist — nach dem wahrhaft glanz-
vollen Jahrhundert der Oper (mit Verdi als
leuchtendem Mittelpunkt) — die veristische Oper.
Diese Abart aber, das typisch bürgerliche Musik-
drama, trug dadurch, daß sie die gute italienische
Operntradition verließ, bereits den Todcskeim in
sich. Stand noch die Opcrnmusik des 18. Jahr-
hunderts ihrem Gehalt nach durchaus aus der
Höhe der sinfonischen Musik, so erniedrigte sich
die Musik des Berismo zu einem form- und
Physiognomiclosen Dienst am Text. Die daneben
laufende Linie der sinfonischen Musik — vertreten
etwa durch Martucci und Sgambati — blieb in
der großen Tradition der deutschen Vorbilder be-
sangen und konnte daher keinen rechten Einfluß
gewinnen. Immerhin hat sie das Verdienst ge-
habt, die jungen italienischen Komponisten sich in
ihre eigene große Tradition versenken zu lassen,
und es ist lehrreich, zu beobachten, wie ihnen aus
diesen starken Wurzeln neue Kraft strömt. Wir
erleben mit Erstaunen, daß sich das junge Italien
auf dem Gebiet der absoluten Musik, bis jetzt die
Domäne der Deutschen, einen neuen, eigenwilligen
und klaren Stil geschaffen hat. So, wie Musso-
linis Revolution aus italienischem Geist geboren
ist, der sich den Forderungen der Zeit augepaßt
hat, so hat die junge italienische Musik typisch
italienische Formen in die Tonsprachc unserer
Zeit übersetzt. Italien hat damit eine Musik, die
cs mit Stolz als nur ihm gehörig bezeichnen kann.
Ottorino Respighi, der in der Berliner Phil-
harmonie selbst für sein Werk eintrat, wurde seinerzeit von
Mussolini durch die Berufung in die Akademie ausgezeichnet.
Er gilt als der repräsentative Vorkämpfer jung-italienischer
Musik. Es gibt wohl kein Gebiet instrumentalen Schaffens,
das dieser bewegliche Geist sich nicht untertänig gemacht
hätte. Er ist derjenige, welcher noch am intensivsten die
Verbindung mit der großen Tradition anderer Länder
(Rich. Strauß - Cl. Debussy) aufrechterhalten hat. Er Hal
denn auch leichter bei uns Fuß zu fassen vermocht. Seine
„Pini di Roma" und noch mehr die „Fontane di Roma"
sind gerne bei uns aufgesührte und gehörte Orchesterwerke.
Problematischer ging es an dem von Piccardi diri-
gierten Abend im Berliner Funkhaus zu: neben Werken ge-
mäßigter Richtung von Massimo und Veretti liest
da eine Partita von Dallapiccola aufhorchen, wäh-
rend eine Konzertouvertüre von Petrassi, ein von
rhythmischer Energie geladenes und sehr eigenwilliges Stück,
uns eine direkte geistige Verwandtschaft mit Paul Hindemith
aufzuweisen scheint.
Es spricht für den erfreulich verjüngten Geist der Ber-
liner Staatsoper, wenn ein so hervorragender Vertreter der
unter faschistischer Kulturpolitik geförderten und blühenden
Moderne wie Alfredo Casella ihr sein Konzert op. 56
zur Uraufführung anvertraut. Hier ist so ein Werk, das
altitalienische Formen mit neuem Leben füllt. Es ist noch
gar nicht so lange her, daß Casella angefeindet wurde wie
wenige. Der heute 50jährige macht es uns auch jetzt durch-
aus nicht leicht. Das Adagio dieses Konzerts bleibt in
seinen Stimmungswerten zwischen gefühlsmäßigen und paro-
distischen Elementen unentschieden. Dagegen glitzern die
stilistisch auf Rossini und Scarlatti zurückgehenden Ecksätze
von Geist und humorvollem Übermut. Casella hat durch
die ernsten und kühnen Werke seiner Frühzeit zu einer un-
beschwerten Heiterkeit hingefunden. Es ist damit ein Werk
entstanden, das sich, wie Casella selbst sagt, an einen „weiten
Kreis" wendet. „Der Zuhörer soll nicht über die Natur
irgendwelcher Probleme und deren Lösung durch den Kom-
ponisten nachdenken, sondern die Musik unbefangen auf sich
wirken lassen . . ." W. n 6 6 r k>
Hans Mim
kündet von deutscher Seele
Ob cs nun ein schöner Zufall oder weiser
Vorbedacht war, daß Pfitzncrs romantische
Kantate „Von deutscher Seele" gerade in der
Woche nach den: überwältigenden Wahlbekenntnis
des deutschen Volkes und am Tage nach der Grün-
dung der Reichskulturkammer zu Gehör kam:
jedenfalls bleibt cs dcr großzügigen Initiative der
Berliner Funkstnnde zu danken, daß sie dem Kom-
ponisten mit dem wundervollen Apparat des
Philharmonischen Orchesters und des Bruno-
Kittclschen Chors die einwandfreie Aufführung
des schwierigen Werkes ermöglichte. Es war zwar
nicht so bezeichnet, aber cs wurde in Wahrheit
eine „Stunde der Nation". Es war am Applaus
nicht zu überhören, daß das Volk (sprich:
Publikum) begriffen hatte, daß da jemand ge-
sprochen hatte, der wie nur einer berechtigt war,
von deutscher Seele zu singen. Darf die Hoff-
nung dämmern, daß Pfitzner, der bisher etwa als
„letzter Romantiker" und (im besten Sinne) „un-
zeitgemäß" galt, die ihm im deutschen Musikleben
gebührende Stellung einnehmen wird?
Die Kantate wurde vor 12 Jahren komponiert, also in
Kmderbildms von Wilhelm Leibl
Das Kindcrbildnis Wilhelm Leibls
entstand um 1872. Es hat etwas rührend
Kindliches an sich in der Art, wie dieser
Maler die Person charakterisiert, wie er
das Kind in seiner Jugendschönc und
Jugendkrast zu einem Abbild gesunden
Lebens schafft.
Von den kleinen farbigen Flecken um
Stirne, Wange, Oberlippe, Kinn fluten
die Strahlen des Kolorits über das ganze
Köpfchen, und lassen es aus dem Dunkel
magisch aufleuchtcn als ein Meisterwerk
von rein malerischem Reiz. Die Durch-
sichtigkeit der Farbe gibt dem Gesichtchen
tiefe Räumlichkeit, obwohl die Zeichnung
in dem samtenen Dunkel versinkt.
ilbcr die farbige Harmonie und Zart-
heit bei so viel Frische und Stärke hinaus
aber ist das Geheimnis der Kinderseele
gelöst. Der Mund wie im ersten Ernst
geschlossen, die Augen schauen tief und
still noch unbewußt, ihre Blickrichtung er-
reicht kein sichtbares Ziel, doch ahnt man
die Kraft des bäuerlichen Willens hinter
der jungen Stirn.
Reinen Genuß bereitet der Anblick,
der uns verjüngt und wieder zurück-
versetzt in die Zeit, da wir selbst Kinder
waren, in die Zeit der Jugend.
einer Zeit tiefster Not und Erniedrigung. Ursprünglich lag.
dem Komponisten jede Tendenz fern. Das Werk entstand,
wie Pfitzner selbst sagt, „wie alles andere, was ich bisher
gemacht habe, aus einem Gestaltungstrieb, der im Grunde
nichts ist als ein höherer Spieltrieb". Er wollte ursprüng-
lich nur zu verschiedenen Zeiten entstandene Eichendorff-
Lieder durch orchestrale Zwischenspiele verbinden. Aber unter
der Hand, „wie von selbst wuchs ihm das kleine Werk ins
Große. Aus dem „höheren Spieltrieb" wurde ein tiefgrün-
diges Kunstwerk, das der Meister „Von deutscher Seele"
nannte, weil er „keinen besseren und zusammenfassenderen
Ausdruck fand für das, was aus diesen Gedichten an Nach-
denklichem, übermütigem, Tiefernstem, Zartem, Kräftigem
und Heldischem der deutschen Seele spricht". So wuchs der
Musiker, indem er von seiner Seele sang, zum Künder
der Nation. Seit Reger starb, ist Pfitzner neben dem seinem
Wesen diametral entgegengesetzten Richard Strauß der Re-
präsentant einer nach innen gerichteten, rein deutschen Musik.
Pfitzner macht es allerdings seinen Hörern nicht gerade
leicht: ein Orchesterstück, wie etwa gleich zu Beginn „Dcr
Tod als Postillon", gehört in seiner schauerlichen Phantastik
zum kühnsten, was in der Modernen Musik überhaupt ge-
schrieben wurde. Er ist heute, nach 12 Jahren, noch unerhört
verwegen, nur, daß es bei aller „Atonalität" enorm gekonnt
ist. Oder eine Stelle wie das Lhor-Furioso im 2. Teil „Der
jagt dahin, daß die Rosse schnauben . . .", die mit ihrer
atemraubenden Dämonie vorbeirast. Pfitzncrs eigenste Do-
mäne aber ist der „Liederteil". Jeder Takt läßt hier eine
Naturverbundenheit erahnen und beweist ein Vermögen,
zarteste Stimmungen und hintergründigste Gedanken in Musik
einzufangen, das einsam in unserer Zeit steht. Ist Pfitzner
wirklich der „letzte Romantiker"? Jedenfalls hat er uns mit
seiner „romantischen Kantate" ein Werk geschenkt, das wahr-
haft aus den Tiefen der deutschen Seele schöpft, und das
daher gerade heute tiefgehende Wirkungen überall da aus-
lösen muß, wo es mit der gleichen Liebe und Sorgfalt, fast
möchte ich sagen: zelebriert wird, wie das durch den Kom-
ponisten in der Aufführung der Funkstunde geschah. VV.
Schriftleitung: Otto-Andreas Schreiber; verantwortlich: Otto-Andreas Schreiber, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation G. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. — Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst dcr
Nation zu richten. Anzeigenannahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet, vaftung für unverlangt eingesandte
Manuskripte wird nicht übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung, abgelehnt. Druck H. S. Hermann E. m. b. H., Berlin SW 19.
Nr. 3 rechtsverbindliche Auflage 500V Stück.