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fehlerfrei, cibcr demungeachtet von großer Wichtigkeit als
eine der wenigen Quellen, die über Holbein existiren; es
brancht schr gewichtiger Gründe, wenn man seine Angaben
in irgend einem Punkte widerlegen will. Noch einen sehr
deutlichen äußeren Beweis für die Urheberschaft Holbein's
bietet der kleine Knabe neben der Venns. Schon Waagen
(Künstler und Kunstwerke in Dentschland II, S. 277)
machte auf dessen Aehnlichkeit mit dem jüngsten Kinde
Holbein's aufmerksam, das wir auf deni Familienbilde des
Meisters ini Baseler Mnseum sehen. Und nicht nur
zwischen diesen beiden Kindern besteht eine Aehnlichkeit,
sondern auch mit dem Christuskinde in den Armen der
heiligen Jungfran auf seinem Hauptwerk, dcr Madonna
des Bürgermeisters Meyer, und zwar in beiden Exemplaren
dieses Bildes, dem Darmstädter wie deni Dresdener. Gauz
identisch hiermit scheint endlich ein nacktes sitzendes Kuäblein
zu sein, das sich in einem Nebenraume des Baseler Mu-
seums befindet und nach dem Amerbach'schen Jnventar
cine Kopie von Hans Bock nach Holbein ist. Jm Ba-
seler Museum, wo auch eine gnte Kopie der Dresdener
Madonna hängt, habe ich gemeinschaftlich niit Herrn
His-Heusler diese verschiedencn Kinder genau mit einander
verglichen und wir kamen übercinstimniend zu dem Schluß,
daß die Familicnähnlichkeit zwischen allcn ganz unver-
kennbar sei. Nichts ist für Holbein's realistischen Sinn
bezeichnender, als daß er sein eigenes Kind, mag es auch
keiueswegs schön sein, sich ohne weiteres für deu Christus-
knaben wie für den kleinen Liebesgott znm Modell nimmt.
Holbein's Arbeiten auS seiner Baselcr Epoche zeigeu
manches Abweichende unter einander, was daher kommt, daß
er damals verschiedenartige Eindrücke cmpfangen und ver-
arbeitethat. Waagenerkennt in der „Lais" und „Benus"
Niederländischcn Einfluß. Zch kann mich dieser Ansicht
nicht anschließen, mag sie von noch so kompetenter Seite
ausgesprochen sein. Die Zartheit des warmgelblichen
Lokaltons, den stärkeren Gebrauch der Lasuren, die größere
Weiche der Umrisse führt Waagen (Handbuch I, S. 266)
zur Bekräftigung an. Gerade dieser warmgelbliche Ton
ist aber von dem feinen röthlichen Fleischton, wie ihn der
größte Niederländische Kolorist der Zeit, Quentin Massh s
zeigt, verschieden. Einfluß der mailändischen Schule
verrathen die beiden Gemälde, hier kaun Holbein die
größere Weichheit der Umrisse und den Gebrauch der
Lasuren gelernt haben. Und bringen wirklich manche
Niederländische Bilder, zum Beispiel Arbeiten des Bernard
van Orley, vielfach cinen verwandten Eindruck hervor,
so kommt es daher, daß sich auch in ihnen Jtalienische
Einwirkungen offenbaren. Daß Holbein in der Lombar-
dei war, muß man ja auch aus andern Gründen annehmcn.
Mögeu auch keine historischen Nachrichten darüber vor-
handen sein, so ist dies doch bei der Nähe des mailändischen
Gebietcs wahrschcinlich. Es ist kaum zufällig — Mr.
Wornum macht mit Recht darauf anfmerksam (S. 164),
— daß in dem Baseler Rathschreiben vom Jahre 1538,
welches Holbcin, wcnn er heimkchre, ein Jahrgehalt bietet,
„Franckrich, Engclland, Meylannd vnnd Niderland" als
die Länder genannt werden, in welchen Holbein mit des
Rathcs Vergunst reisen und seine „Kunststücke" fremden
Herren zuführen möge. Und dies sogar „im Jar einmal,
zwey oder drü". Man sieht, in welchcm Grade für den
Maler das Wanderleben Gebrauch war. — Ein eben
solches Lächeln, wie es LionardodaVinci undseineNach-
folger uni die Lippen jngendlickier Frauenköpfe spielen
lassen, hat Holbeiu seiner „Venus" gegeben. Der Aus-
druck der Lais verläugnet ebenfalls das Vorbild des großen
Jtalienischen Meisters nicht, doch hier stehtHolbein bereits
dem Mailändischen Typus freier gegenüber, während die
Anmuth, welche aus diesen Zügen redet, noch zarter uud
entzückender ist. Solche Feinheit der Auffassnng bei
vollster Naturwahrheit haben damals in Jtalien nur Lio-
nardo und Rassael, im Norden Holbein in ihren Bildnissen
gezeigt. Auch darin, wie sie die Hände mitreden und in dieseu
kaum minder, als in den Zügen selbst, den Charakter der
bestimmten Persönlichkeit sich aussprechen lassen, sind
Lionardo und Holbcin sich verwandt. Das kann man
nirgend deutlicher sehen als bei der Lais. Die großen
malerischen Vorzüge des Originals giebt nun Weber's
Kiipferstich trefflich wieder, welcher die zarteste Behandlung
zeigt. Die Modellirung ist meisterhaft, das Haar und
die Stoffe sind wirkungsvoll behandelt, namentlich ist aber
das Autlitz schön, in welchem wir ganz jene feine Nüan-
cirung des AusdruckeS wiederfinden, welche uns beim Ge-
mälde entzückt. Weber weiß uns die Vorzüge der deut-
schen und französischen Technik im Kupferstich in glücklicher
Vereinigung zu bieten.
Diese doppelte Darstellung der reizenden Dame, ein-
mal als Göttin der Liebe, das zweite Mal durch die ganze
Auffassung und den daruntcr geschriebenen Namen einer
berühmten Buhlerin des Alterthums als eine käufliche
Schönheit gekennzeichnet, muß uns natürlich den Wunsch
erwecken, etwas Näheres über die Abgebildete zu erfahren.
Das Amerbach'sche Jnventar nennt sie eine „Ofsenburgin",
das heißt aus dem berühmten Baseler Patriciergeschlecht
der Osfenburg. Aus historischen Nachforschungen hatte
sich^ als der erste Band meines Buches „Holbein und seine
Zeit" erschien, nicht das Mindeste für die Feststellung
dieser Persönlichkeit gewinnen lassen. Seitdem ist aber
durch die unermüdlichen Untersuchungen, welche Herr
E. His-Heusler, Direktor des Baseler Museums, in
den dortigeu Archiven anstellt, eine Spur an das Licht
getreten. Unter den Urkunden der in Klein-Basel gelegenen
Karthause kommt ein Testaments-Codicill der Frau
Maria Zscheckapürlin, Wittwe des Morand von
Brunn, vom Jahre 1523vor, in dem es heißt: „Und als
sy ouch angesechen vnd geordnet hat, das die drü kinder
Jrer mutcr Jr lebenlang Hundert gulden Jr lybdingswys
fehlerfrei, cibcr demungeachtet von großer Wichtigkeit als
eine der wenigen Quellen, die über Holbein existiren; es
brancht schr gewichtiger Gründe, wenn man seine Angaben
in irgend einem Punkte widerlegen will. Noch einen sehr
deutlichen äußeren Beweis für die Urheberschaft Holbein's
bietet der kleine Knabe neben der Venns. Schon Waagen
(Künstler und Kunstwerke in Dentschland II, S. 277)
machte auf dessen Aehnlichkeit mit dem jüngsten Kinde
Holbein's aufmerksam, das wir auf deni Familienbilde des
Meisters ini Baseler Mnseum sehen. Und nicht nur
zwischen diesen beiden Kindern besteht eine Aehnlichkeit,
sondern auch mit dem Christuskinde in den Armen der
heiligen Jungfran auf seinem Hauptwerk, dcr Madonna
des Bürgermeisters Meyer, und zwar in beiden Exemplaren
dieses Bildes, dem Darmstädter wie deni Dresdener. Gauz
identisch hiermit scheint endlich ein nacktes sitzendes Kuäblein
zu sein, das sich in einem Nebenraume des Baseler Mu-
seums befindet und nach dem Amerbach'schen Jnventar
cine Kopie von Hans Bock nach Holbein ist. Jm Ba-
seler Museum, wo auch eine gnte Kopie der Dresdener
Madonna hängt, habe ich gemeinschaftlich niit Herrn
His-Heusler diese verschiedencn Kinder genau mit einander
verglichen und wir kamen übercinstimniend zu dem Schluß,
daß die Familicnähnlichkeit zwischen allcn ganz unver-
kennbar sei. Nichts ist für Holbein's realistischen Sinn
bezeichnender, als daß er sein eigenes Kind, mag es auch
keiueswegs schön sein, sich ohne weiteres für deu Christus-
knaben wie für den kleinen Liebesgott znm Modell nimmt.
Holbein's Arbeiten auS seiner Baselcr Epoche zeigeu
manches Abweichende unter einander, was daher kommt, daß
er damals verschiedenartige Eindrücke cmpfangen und ver-
arbeitethat. Waagenerkennt in der „Lais" und „Benus"
Niederländischcn Einfluß. Zch kann mich dieser Ansicht
nicht anschließen, mag sie von noch so kompetenter Seite
ausgesprochen sein. Die Zartheit des warmgelblichen
Lokaltons, den stärkeren Gebrauch der Lasuren, die größere
Weiche der Umrisse führt Waagen (Handbuch I, S. 266)
zur Bekräftigung an. Gerade dieser warmgelbliche Ton
ist aber von dem feinen röthlichen Fleischton, wie ihn der
größte Niederländische Kolorist der Zeit, Quentin Massh s
zeigt, verschieden. Einfluß der mailändischen Schule
verrathen die beiden Gemälde, hier kaun Holbein die
größere Weichheit der Umrisse und den Gebrauch der
Lasuren gelernt haben. Und bringen wirklich manche
Niederländische Bilder, zum Beispiel Arbeiten des Bernard
van Orley, vielfach cinen verwandten Eindruck hervor,
so kommt es daher, daß sich auch in ihnen Jtalienische
Einwirkungen offenbaren. Daß Holbein in der Lombar-
dei war, muß man ja auch aus andern Gründen annehmcn.
Mögeu auch keine historischen Nachrichten darüber vor-
handen sein, so ist dies doch bei der Nähe des mailändischen
Gebietcs wahrschcinlich. Es ist kaum zufällig — Mr.
Wornum macht mit Recht darauf anfmerksam (S. 164),
— daß in dem Baseler Rathschreiben vom Jahre 1538,
welches Holbcin, wcnn er heimkchre, ein Jahrgehalt bietet,
„Franckrich, Engclland, Meylannd vnnd Niderland" als
die Länder genannt werden, in welchen Holbein mit des
Rathcs Vergunst reisen und seine „Kunststücke" fremden
Herren zuführen möge. Und dies sogar „im Jar einmal,
zwey oder drü". Man sieht, in welchcm Grade für den
Maler das Wanderleben Gebrauch war. — Ein eben
solches Lächeln, wie es LionardodaVinci undseineNach-
folger uni die Lippen jngendlickier Frauenköpfe spielen
lassen, hat Holbeiu seiner „Venus" gegeben. Der Aus-
druck der Lais verläugnet ebenfalls das Vorbild des großen
Jtalienischen Meisters nicht, doch hier stehtHolbein bereits
dem Mailändischen Typus freier gegenüber, während die
Anmuth, welche aus diesen Zügen redet, noch zarter uud
entzückender ist. Solche Feinheit der Auffassnng bei
vollster Naturwahrheit haben damals in Jtalien nur Lio-
nardo und Rassael, im Norden Holbein in ihren Bildnissen
gezeigt. Auch darin, wie sie die Hände mitreden und in dieseu
kaum minder, als in den Zügen selbst, den Charakter der
bestimmten Persönlichkeit sich aussprechen lassen, sind
Lionardo und Holbcin sich verwandt. Das kann man
nirgend deutlicher sehen als bei der Lais. Die großen
malerischen Vorzüge des Originals giebt nun Weber's
Kiipferstich trefflich wieder, welcher die zarteste Behandlung
zeigt. Die Modellirung ist meisterhaft, das Haar und
die Stoffe sind wirkungsvoll behandelt, namentlich ist aber
das Autlitz schön, in welchem wir ganz jene feine Nüan-
cirung des AusdruckeS wiederfinden, welche uns beim Ge-
mälde entzückt. Weber weiß uns die Vorzüge der deut-
schen und französischen Technik im Kupferstich in glücklicher
Vereinigung zu bieten.
Diese doppelte Darstellung der reizenden Dame, ein-
mal als Göttin der Liebe, das zweite Mal durch die ganze
Auffassung und den daruntcr geschriebenen Namen einer
berühmten Buhlerin des Alterthums als eine käufliche
Schönheit gekennzeichnet, muß uns natürlich den Wunsch
erwecken, etwas Näheres über die Abgebildete zu erfahren.
Das Amerbach'sche Jnventar nennt sie eine „Ofsenburgin",
das heißt aus dem berühmten Baseler Patriciergeschlecht
der Osfenburg. Aus historischen Nachforschungen hatte
sich^ als der erste Band meines Buches „Holbein und seine
Zeit" erschien, nicht das Mindeste für die Feststellung
dieser Persönlichkeit gewinnen lassen. Seitdem ist aber
durch die unermüdlichen Untersuchungen, welche Herr
E. His-Heusler, Direktor des Baseler Museums, in
den dortigeu Archiven anstellt, eine Spur an das Licht
getreten. Unter den Urkunden der in Klein-Basel gelegenen
Karthause kommt ein Testaments-Codicill der Frau
Maria Zscheckapürlin, Wittwe des Morand von
Brunn, vom Jahre 1523vor, in dem es heißt: „Und als
sy ouch angesechen vnd geordnet hat, das die drü kinder
Jrer mutcr Jr lebenlang Hundert gulden Jr lybdingswys