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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 2.1867

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Meyer, Bruno: Das deutsche Gewerbemuseum zu Berlin, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4906#0147

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schleunigen Aneignungjedes neusichdarbietendenVortheiles
drängenden Konkurrenz kann es nicht fehlen, daß das
Gewerbe stets und überall mit dem neuesten Stande der
Wissenschaften auf gleicher Höhe bleibt. Dem einzelnen
Arbeiter Alles wissenschaftlich deutlich machen wollen, heißt
eine Danaidenarbeit beginnen, deren zweifelhaftes oder
wenigstens unmerkliches Fortschreiten keinen oder sicher
keinen irgend verhältnißmäßigen Erfolg verspricht. Das
fürsein WerkErforderliche erfährt und weiß jeder Arbeiter,
die für ihn nöthige Theorie lernt er mit der Praxis, für
Ausbildung der wissenschaftlichen Techniker ist gesorgh
hier also ist kein Bedürfniß zu erkenncn. Und zeigt denn
die Erfahrung, daß hier etwas gethan werden mnß? Wo
hinkt das Gewerbe um Decennien, oder auch nur um
Jahre hinter der wissenschaftlichen Aufhellung seiner Stoffe,
Processe, Manipulationen her? Die wissenschaftliche
Hebung und Verbesserung der Arbeit ist ja aber anch kein
originaler schöpferischer Akt, der in jedem Augenblicke neu
nnd selbständig wieder gethan werden müßte; sondcrn sic
besteht im Aufstellen von Regeln und Gesetzen, die einfach
den bisher bekannten angereiht und gleich ihnen oder an
ihrer Statt beobachtet werden. Das erheischt keine geistige
Bethätigung, und also auch keine specielle Ausbildung des
einzelnen Mannes, das kann erreicht werden beider weitest-
getriebenen Theilung der Arbeit, d. h. der Degradatio»
der Menschenhaud zu mechanisch geistloser Einerleipro
duktion.

Fast jedes Handwerk oder Gewerbe bringt aber in den
höchsten Manifestationen scines Könnens etwas deni
Knnstwerk Analoges, ja wirkliche Knnstwerke hervor, nicht
durch übertriebenes, an's Unglaubliche grenzcndes tech-
nisches Geschick, nicht durch staunenerregende, raffinirte
Bändignng des Materials, dessen Kapricen eine höchst ge-
steigerte Erkenntniß unschädlich gemacht, sondern durch
freie Zuthat des Geistes, der das Werk des Gebrauches
geläutert und erhoben hat zum Adel der Form. Und da
hier ein Riß, eine Kluft, ein Sprung undenkbar ist, so
folgt, daß an dieser künstlerischen Qualität in höherem
oder geringerem Grade jedes technische Produkt Antheil
hat; in der That weist denn auch jedes in seiner Form
Elemente auf, die durch die Bedingungen des Zweckes
keine Erklärun-g finden, in deuen die Nothwendigkeit „mit
Grazie umspielt" wird.

Dieses künstlerische Elcment ist der schwache Punkt
dcr modernen Jndustrie. Die abstrakle Wisscnschaft und
die Maschine hat nur das Gute und Nntzliche bestehen
lassen, aber das Schöne nicht gefördert. Hierin allein
stellt uns das Gewerbe aller Zeiten bis herab auf die
heute so oft mit vornehmer Geringschätzung betrachtete
Zopfzeit tief in Schatten. Hier nnd einzig hier ist die
Stellc, wo energische Hülfe dringend noth thut, wo sie
nicht durch Einzelne besonders Ausgebildete gebracht werden
kann, sondern wo jeder, der die Hand an's Werk legt,

i mit lebendigem Gefühl und geläutertem Geschmack aus-
gerüstet sein muß, um wirklich Gutes zu leisten. Denn
die Schönheit ist keinen mcchanischen Regeln unterworfen,
sie kann nicht gedankenlos nach feststehenden Recepten
dargestellt werdcn, sondern jedcs schöne Ding will als eine
ureigene Schöpfung aus dem Geiste des Urhebers ent-
springen, mit individuellem Charakter und dem unnach-
ahmlichen und nnverfälschbaren Stempel geistiger Weihe
versehen sein.

Hier kann nnr die häufige, die stete Anschaunng, die
nachdenkende Betrachtung alles Besten die Norm für das
eigene Schaffen geben, und je vielseitiger eine solche
kuustindustrielle Mustersammlung ist, um so besser.
Denn auch darin besteht zwischen dem technisch-wissen-
schaftlichen nnd dem technisch-künstlerischen Jnteresse ein
großer Unterschied, daß jcnes keineswegs alle Zweige der
Produktion gleichmäßig umfaßt: die Bielheit hat keinen
Nutzen. Was kümmert es den Knopfmacher, daß auch der
Anilinfärbcr ein hohes Jnteressc an dcr Steinkohle hat?
Ganz anders hier. Erst durch die größte Mannichfaltigkeit
der Stoffe, der Bearbeitungsarten, der Zwecke tritt das
immer klarer hervor, was hier Gegenstand des Erkeunens
sein soll, der Stil. Die unwandelbaren Gesetze der
Schönheit machen sich dann erst in ihrer ganzen Strenge
geltend, wenn sie bei den vcrschiedensten Mitteln sich als
immer dominirend, wenii auch immer in modificirter Form
zu Tage tretend bewähren. Jedes Gewerbe lernt hier
von dem anderen, jedes lernt seine Sphäre ermessen, er-
kennt seine Fähigkeiten, aber auch seine Schranken, und
in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister: das ist
nirgends so richtig, wie im Schönen.

Aus diesen, wie mir scheint, einleuchtenden Betrach-
tungen ergiebt sich nun nnmittelbar, woranf es bei einem
Jnstitnt znr Förderung der Judnstrie durch Vorbilder nnd
Unterricht hauptsächlich, ja fast ausschließlich aukommt.
Die praktische und theoretische Erkenntniß vvm
Wesen stilvollcr Formenschönheitmuß alsZielpnnkt
aller Bcstrebungen in's Auge gefaßt werden. Darnach einzig
und allein ist auch die Anordnung der Sammlungen zn be-
stimmen. Stellt es sich heraus, was ich durchaus nicht
in Abrede stellen will, daß der Zustand der modernen Jn-
dustrie hierbei eine Bcrücksichtigung auch des Technisch-
Wissenschaftlichen verlangt, dann muß es allerdings in den
Organismus der Anstalt aufgenommen werden, aber nie
anders, denn als untergeordnetes, dienendes, gewisser-
maßen verschwindendes Element, niemals darf es in die
erste Linic oder auch nur dem Künstlerischen an die Scite
gestellt werden.

Werfen wir nun einen Blick auf den „Plan der
Sammlung", wie er dem deutschen Gewerbemnseum zu
Berlin lant ausdrücklichen Beschlusses der Generalvew
sammlung zu Grunde gelegt werden soll, so verschwindet
darin das küustlerische Element beinahe gänzlich und kommt
 
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