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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Lützow, Carl von: Der neue "Correggio" des Städelschen Instituts
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0016

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Der neue „Correggio" des Städelschen Institus.

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im Privatbesitz, bis es in der Hinterlassenscbaft einer
Mrs. Gray, die ihre letzten Lebensjahre in einem
kleinen Orte der Lombardei verbrachte, auftauchte
und für Frankfurt erworben wurde." — Wir sind
in der Lage, die letzte Periode dieser Geschichte
durch einige authentische Mitteilungen zu vervoll-
ständigen. Die genannte englische Dame, welche in
Varese seit langen Jahren lebte, besass eine Anzahl
mittelmässigerBilder und darunter auch den fraglichen
„Correggio." Das Gemälde war keineswegs, wie Hr. Dir.
T. zu glauben scheint, den Augen der Kenner und
Forscher unbekannt geblieben. Wiederholt kamen
italienische Künstler und Gelehrte, welche in der
Kunst ihres Vaterlandes wohlbewandert, um die
Kritik der alten Meister hochverdient, in ganz Europa
als Autoritäten anerkannt sind, in die Lage, ihr Ur-
teil über das Bild abzugeben. Sowohl dem früheren
Direktor der Brera-Galerie, Molteni, als auch dem
jetzigen, Bertini, kam es zu Gesicht und beide zau-
derten nicht, es für ein sogen, pasticcio zu erklären.
Ganz derselben Meinung wurden Giov. Morelli, Gust.
Frizzoni und der treffliche Restaurator Cavenaghi,
als man das Bild nach Mailand schaffte, um es dort
unter den Hammer zu bringen. Als einmal Konsul
Weber in Hamburg bei Giov. Morelli von Nizza
aus anfragte, was er von dem Bilde halte, empfing
er selbstverständlich die gleiche Antwort mit dem
Beisatze, das Bild sei keine 500 Lire wert. Wenn
also Herr Dir. T. schreibt, dass „es für alle Kenner
italienischer Kunst, welche das Bild zu sehen Ge-
legenheit hatten, nicht einen Augenblick zweifelhaft
wäre, dass dasselbe ein echtes und sogar in hohem
Grade charakteristisches Werk Correggio's sei", —
so ist das ein uns unbegreiflicher Irrtum.

Aber nicht bloss, was die Geschichte und die
bisherige Beurteilung seines „Correggio" anbetrifft,
sondern auch über die Hauptsache, den Wert des
Bildes und seine kunstgeschichtliche Bedeutung, ent-
hält der Artikel T.'s höchst auffallende Behaup-
tungen. So heisst es darin z. B., dass der Kunst-
kenner von heute mit der Kritik des vorigen Jahr-
hunderts ganz einig darüber sein müsse, in der
„Madonna von Casalmaggiore" ein Jugendwerk Cor- j
reggios zu erkennen. Und wenige Zeilen weiter
lesen wir, dass der „heil. Sebastian" in Dresden das-
jenige Bild sei, „dem nach Stil, Komposition und
Ausdruck unter allen Werken Correggio's das Frank-
furter Bild am nächsten steht." Ja, wie ist uns
denn? Seit wann zählt der Dresdener „heil.
Sebastian" zu den „Jugendwerken" des Correggio?
Wir schlagen unsern Meyer nach: da finden wir ihn

unter den Altartafeln aus der „Zeit der höchsten
Entwicklung" des Künstlers aufgezählt, und soviel
wir wissen, hat überhaupt noch niemand an der
Überlieferung gerüttelt, dass dieses berühmte Bild
1525 bestellt und 1526 vollendet ist. Unter die
Jugend werke rechnen wir die Madonna mit dem
heil. Franciscus in Dresden, die kleine Madonna bei
Herrn Dr. Frizzoni, ein Bild im Museo Municipale
in Mailand und andere diesen stilverwandte Werke.
Der Verfasser des Artikels im Feuilleton der Frankf.
Zeitung Avird also wohl die eine seiner Behauptungen
aufgeben müssen: entweder die, dass seine Madonna
dem heil. Sebastian gleichalterig sei oder die, dass
sie zu des Malers Jugendwerken gehöre.

Aber er bringt noch eine andere Meinung vor,
die uns fast noch verwunderlicher vorkam, als die
bisher gehörten. Er sagt: „Das Bild giebt uns in
beredtester Weise Aufschluss über eine Zeit in der
Entwicklung des Meisters, über die wir bisher nur
ungenügend unterrichtet waren, die Zeit, in welcher
er unter dem Einflüsse Lionardo's da Vinci stand."
Als diese Zeit wird dann weiter „etwa das Jahr
1517 oder 1518" angegeben. Also die Epoche, in
welcher die „Flucht nach Ägypten" in den Uffizien
imd die verschollene Madonna von Albinea ent-
standen, soll die Zeit von Lionardo's Einfluss auf
Correggio sein. Zwei bis drei Jahre nach Lionardo's
Abreise nach Frankreich soll sich, nach T., Correggio
„direkt den grossen in Mailand thätigen Florentiner
zum Vorbilde genommen" haben. Und dies beweist
die Frankfurter Madonna: „Dieselbe ist durchaus
lionardesk!"

Wir gestehen, die letztere Behauptung war
für uns, die wir von allen diesen geheimnisvollen
Beziehungen zwischen Lionardo und Correggio gar
keine Idee hatten, von fascinirender Wirkung. Einen
lionardesken Correggio, der zugleich Jugendwerk ist
und alle Reize der reifsten Zeit des Meisters an sich
trägt, den mussten wir mit eigenen Augen sehen.

Wir nahmen uns also ein Billet von Wien nach
Frankfurt und kamen an einem der schönen, jüngst-
verflossenen Septembertage in der freundlichen Main-
stadt an. Das zum neuen Reich bekehrte Frankfurt
mit seinem wirtschaftlichen Aufschwung, seinem
grandiosen Bahnhof, den lieblichen Anlagen, reizen-
den Villen und dem Neubau seines ehrwürdigen
Städelschen Instituts muss jede kunstfreundliche
Seele weich und empfänglich stimmen. Die Samm-
lungen des Instituts, in ihrem klassischen Verein
von alter und neudeutscher Kunst, machen einen
weihevollen, befreienden Eindruck. Selbst die
 
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