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Ein unerkannter Rembrandt in der Dresdener Galerie.
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gebracht. Die den gleichen Meister verratenden
Übereinstimmungen in beiden Gemälden sind:
Der Goldgrund, dessinirt auf dem Wiener Bilde
in stofflicher Art, auf dem Bilde in Graz (infolge
einer späteren Umänderung von 1663) erst nach-
träglich gemalt mit Wolkenbildungen und schwe-
benden Engeln; die Stellung der drei Kreuze, deren
mittleres mit dem Querbalken bis zur oberen Bild-
kante sehr nahe heranreicht.
Die Art der Annagelung der Schacher, deren
Hände nach rückwärts über den Querbalken der
Kreuze gebogen, auf deren unterer Fläche mit den
Nägeln befestigt sind.
Die höchst durchsichtig gemalten Schanitücher,
deren Eigentümlichkeit schon von Schnaase auf dem
Wiener Bilde hervorgehoben wurde.
Die individuelle Zusammenziehung des Unter-
leibes der Gekreuzigten; die Darstellung eines auf
einem weißen Maulesel reitenden, mit einem roten
Mantel und weißen, ausgezackten Pelzkragen be-
kleideten Hohenpriesters mit feistem Gesichte unter
dem Kreuze Christi.
Die Art, die Pferde alle mit plumpen, dicken
Füßen, über kleinen Ohren und gerne mit offenen
Mäulern darzustellen.
Die vollständig gleiche Placirung eines Reiters
vor .das Kreuz des Heilandes so, dass der Hinterteil
des Pferdes mit gleich gezeichneter, gleich mit
Schellen behängter Satteldecke (auf der der Name,
das Datum und Motto des Malers — „als ich chun"
— im Wiener Bilde stehen), mit gleich aufgebun-
denem Schiveife, gleich plump gezeichneten Füßen in
den ersten Vordergrund hereinragt.
Die dicht gedrängte, whre Menge der Bewaff-
neten, welche die Kreuzgruppe umgeben und deren
Helme gehäuft sich absetzen von dem Goldgrund, in
den sehr gleichartig geformte Spieße und Fähnchen
hinaufragen.
Das Datum, dort 1449, hier 1457, auf dem Fähn-
chen links vom Kreuze.
Die Wiederkehr mehrerer Physiognomien, z. B.
eines aufwachenden Kerls mit rotem bartlosen Ge-
sichte und weiß verbrämter Mütze (links vom Kreuze
des rechten Schachers in Wien), eines solchen mit
zum Staunen weit aufgerissenem Munde und kegel-
förmigem Hute (rechts vom Kreuze des linken
Schachers in Graz, links vom Kreuz des Heilandes
am Ende der Gruppe in Wien).
Die Frauengruppe, die Mutter Jesu, ohnmächtig
zusammensinkend in der Mitte mit eigentümlich
^konventionell zusammengezogenen Brauen" (Schnaase).
Die Art, weiße Hündchen mit schafmäßig herab-
hängenden Ohren im Vordergrunde zu malen.
Das Kolorit selbst, sowohl an den Gewändern
als auch in den Gesichtern, an denen, so weit es die
Feinde Christi betrifft, ein Rotglühen häufig erscheint.
Das sind aus den vielen gleichen Zügen beider
Bilder nur einige der auffallendsten, welche jedem
Beschauer derselben es nahe legen müssen, dass wir
es mit einem und demselben Meister zu thun haben,
dem beide Werke, das eine freilich noch hinter dem
letzteren zurück in der Durchbildung, entstammen.
Besonders das Grazer ehemalige Hochaltarbild zeigt
Pfenning als einen tüchtigen Meister von wohlüber-
legtem Naturstudium der menschlichen Physiogno-
mien und Ausdrucks weisen; dem Kaiser Friedrich IV.
war er sicherlich sehr empfohlen (vielleicht eben
durch die Ausführung des Wiener Kreuzigungsbildes),
so dass er auch zur Herstellung des wichtigsten Ein-
richtungsstückes seines Grazer Hofkirchenbaues aus-
ersehen ward.') Möge diese Veröffentlichung dazu
beitragen, die Werke des Meisters und seine Wür-
digung um ein Stück zu mehren!
Graz. JOHANN GRAUS.
EIN UNERKANNTER REMBRANDT IN DER
DRESDENER GALERIE.
Das Bildchen Nr. 1719 der Dresdener Galerie,
eine Zeitung lesende Alte darstellend, galt bis jetzt
unbestritten als ein Gemälde Gerard Dou's und
außerdem als eins der vielen von diesem Künstler
gemalten Bildnisse von Rembrandts Mutter. Die
Benennung der dargestellten Person halte ich für
durchaus richtig, ich habe aber Gründe für die
Annahme, dass die Greisin in diesem Fall nicht
von Rembrandts erstem Schüler Dou, sondern von
Rembrandt selbst gemalt worden ist.
Noch vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren
wäre jeder, der die Behauptung aufgestellt hätte,
dass eine Verwechselung Rembrandts, dieses Meisters
des Helldunkels, mit Dou, dem Oberhaupte der Lei-
dener Feinmalerschar möglich sei, einfach ausge-
lacht worden. Es ist das Verdienst Bode's dies geän-
dert, uns über die Jugendperiode von Rembrandts
1) Leider war es bisher nicht möglich, die Herkunft
des Wiener Bildes, welches erst im Anfange unseres Jahr*
hunderte der Galerie einverleibt wurde, zu ermitteln. Ei"
wähnt mag hier noch sein, dass nach dem Tode des Meisters
Puchsbaum am St. Stefan in Wien 1454, neben andern *U0h
Meister Lor<n\ Pftnnning von Dresden die Bauleitung über-
nahm, augenscheinlich ein naher Verwandter unseres Malers-
(TselrUehka, Der St. Stefansdom. Wien, 1832. S. I.)
Ein unerkannter Rembrandt in der Dresdener Galerie.
562
gebracht. Die den gleichen Meister verratenden
Übereinstimmungen in beiden Gemälden sind:
Der Goldgrund, dessinirt auf dem Wiener Bilde
in stofflicher Art, auf dem Bilde in Graz (infolge
einer späteren Umänderung von 1663) erst nach-
träglich gemalt mit Wolkenbildungen und schwe-
benden Engeln; die Stellung der drei Kreuze, deren
mittleres mit dem Querbalken bis zur oberen Bild-
kante sehr nahe heranreicht.
Die Art der Annagelung der Schacher, deren
Hände nach rückwärts über den Querbalken der
Kreuze gebogen, auf deren unterer Fläche mit den
Nägeln befestigt sind.
Die höchst durchsichtig gemalten Schanitücher,
deren Eigentümlichkeit schon von Schnaase auf dem
Wiener Bilde hervorgehoben wurde.
Die individuelle Zusammenziehung des Unter-
leibes der Gekreuzigten; die Darstellung eines auf
einem weißen Maulesel reitenden, mit einem roten
Mantel und weißen, ausgezackten Pelzkragen be-
kleideten Hohenpriesters mit feistem Gesichte unter
dem Kreuze Christi.
Die Art, die Pferde alle mit plumpen, dicken
Füßen, über kleinen Ohren und gerne mit offenen
Mäulern darzustellen.
Die vollständig gleiche Placirung eines Reiters
vor .das Kreuz des Heilandes so, dass der Hinterteil
des Pferdes mit gleich gezeichneter, gleich mit
Schellen behängter Satteldecke (auf der der Name,
das Datum und Motto des Malers — „als ich chun"
— im Wiener Bilde stehen), mit gleich aufgebun-
denem Schiveife, gleich plump gezeichneten Füßen in
den ersten Vordergrund hereinragt.
Die dicht gedrängte, whre Menge der Bewaff-
neten, welche die Kreuzgruppe umgeben und deren
Helme gehäuft sich absetzen von dem Goldgrund, in
den sehr gleichartig geformte Spieße und Fähnchen
hinaufragen.
Das Datum, dort 1449, hier 1457, auf dem Fähn-
chen links vom Kreuze.
Die Wiederkehr mehrerer Physiognomien, z. B.
eines aufwachenden Kerls mit rotem bartlosen Ge-
sichte und weiß verbrämter Mütze (links vom Kreuze
des rechten Schachers in Wien), eines solchen mit
zum Staunen weit aufgerissenem Munde und kegel-
förmigem Hute (rechts vom Kreuze des linken
Schachers in Graz, links vom Kreuz des Heilandes
am Ende der Gruppe in Wien).
Die Frauengruppe, die Mutter Jesu, ohnmächtig
zusammensinkend in der Mitte mit eigentümlich
^konventionell zusammengezogenen Brauen" (Schnaase).
Die Art, weiße Hündchen mit schafmäßig herab-
hängenden Ohren im Vordergrunde zu malen.
Das Kolorit selbst, sowohl an den Gewändern
als auch in den Gesichtern, an denen, so weit es die
Feinde Christi betrifft, ein Rotglühen häufig erscheint.
Das sind aus den vielen gleichen Zügen beider
Bilder nur einige der auffallendsten, welche jedem
Beschauer derselben es nahe legen müssen, dass wir
es mit einem und demselben Meister zu thun haben,
dem beide Werke, das eine freilich noch hinter dem
letzteren zurück in der Durchbildung, entstammen.
Besonders das Grazer ehemalige Hochaltarbild zeigt
Pfenning als einen tüchtigen Meister von wohlüber-
legtem Naturstudium der menschlichen Physiogno-
mien und Ausdrucks weisen; dem Kaiser Friedrich IV.
war er sicherlich sehr empfohlen (vielleicht eben
durch die Ausführung des Wiener Kreuzigungsbildes),
so dass er auch zur Herstellung des wichtigsten Ein-
richtungsstückes seines Grazer Hofkirchenbaues aus-
ersehen ward.') Möge diese Veröffentlichung dazu
beitragen, die Werke des Meisters und seine Wür-
digung um ein Stück zu mehren!
Graz. JOHANN GRAUS.
EIN UNERKANNTER REMBRANDT IN DER
DRESDENER GALERIE.
Das Bildchen Nr. 1719 der Dresdener Galerie,
eine Zeitung lesende Alte darstellend, galt bis jetzt
unbestritten als ein Gemälde Gerard Dou's und
außerdem als eins der vielen von diesem Künstler
gemalten Bildnisse von Rembrandts Mutter. Die
Benennung der dargestellten Person halte ich für
durchaus richtig, ich habe aber Gründe für die
Annahme, dass die Greisin in diesem Fall nicht
von Rembrandts erstem Schüler Dou, sondern von
Rembrandt selbst gemalt worden ist.
Noch vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren
wäre jeder, der die Behauptung aufgestellt hätte,
dass eine Verwechselung Rembrandts, dieses Meisters
des Helldunkels, mit Dou, dem Oberhaupte der Lei-
dener Feinmalerschar möglich sei, einfach ausge-
lacht worden. Es ist das Verdienst Bode's dies geän-
dert, uns über die Jugendperiode von Rembrandts
1) Leider war es bisher nicht möglich, die Herkunft
des Wiener Bildes, welches erst im Anfange unseres Jahr*
hunderte der Galerie einverleibt wurde, zu ermitteln. Ei"
wähnt mag hier noch sein, dass nach dem Tode des Meisters
Puchsbaum am St. Stefan in Wien 1454, neben andern *U0h
Meister Lor<n\ Pftnnning von Dresden die Bauleitung über-
nahm, augenscheinlich ein naher Verwandter unseres Malers-
(TselrUehka, Der St. Stefansdom. Wien, 1832. S. I.)