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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Vom Christmarkt
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115

Vom Christmarkt.

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Meininger"l) uns vorführt, in letzter Linie sein Da-
sein. So gut die Zeichnungen von C. W. Allers
sind, die uns die glänzende Gesamtheit vorführen,
die wir unter diesem Namen kennen: als letzter
Ahschiedsgruss der reisenden Mustertruppe möchten
sie uns eher trübe als heiter stimmen. Dass diese
Kunstwanderungen nicht mehr statt haben sollen,
ist ein einigerinassen beweglicher Gedanke, und un-
möglich können uns die bunten Scenen der Allers-
schen Mappe auch nur entfernt dafür entschädigen.
Vielleicht, dass der materielle Erfolg, den die
Meininger in der letzten Zeit hatten, zu sehr ins
Negative geriet; in der That, die Menge sucht ja
immer mehr die Erschütterung des Zwerchfells im
Theater, statt die des Her-
zens. Aber die Alltäglich-
keit der Bühne ist selbst
daran schuld. Man komme
weniger oft, um öfter will-
kommenzusein! Das Theater
kann nur gehoben werden
wenn es sich rar macht.
Man lasse es nicht nur
musterhaft, sondern auch
selten sein, und es wird sich
bezahltmachen. Doch genug
von der Schauspielkunst
an sich, die ja im Sinne
dieses Blattes keine »bil-
dende" ist, wenngleich der
Schauspieler dennoch bildet
und der Zuhörer womöglich
dadurch gebildet werden soll.

Allers hat uns in diesem Werke zum erstenmale etwas
enttäuscht. Sieht man von der glänzenden Etikette ab,
die ja den Erfolg schon verbürgt, so wird man bemer-
ken, dass der treffliche Künstler nicht immer zu jener
feinen Durchbildung gelangt ist, die seine früheren
Cyclen auszeichnet; vor allem vermissen wir ein wenig
jenen selbständigen Humor, der bei der Thätigkeit
des Zeichners sonst fast allenthalben sich zu ent-
falten pflegte. Wir sehen auch hier die »bunte Welt",
aber jene souveräne Betrachtungsweise, die Allers
in den Cirkus- und Mikadobildern verriet, ist hier
ein wenig zurückgetreten, wenngleich man zu-
gestehen muss, dass die Blätter zeichnerisch kaum
einen Rückschritt bemerken lassen. Ganz den alten
jovialen Schilderer des Kleinstädtischen in der Gross-
stadt finden wir dagegen in der grösseren Mappe,

Aus Wolffs „Lurlei"-

1) Leipzig, F. Conrad. M. 20. -

die den Titel „Die silberne Hochzeit"x) trägt. Hier
war der Künstler offenbar kein Fremder, sondern
ganz zu Hause. Auf dem Titelblatte überrascht
uns gleich die aufgeklebte silbergeränderte Einla-
dungskarte, an der am 10. Januar stattfindenden
Feier der silbernen Hochzeit des Herrn Heinrich
Battelmann und seiner Gattin, Hamburg, Steckel-
hörn 3, teilzunehmen. Alsdann sehen wir Frau
Battelmann, die eigenhändig die Einladungen adres-
sirt. Wir lesen sogar auf der einen Adresse, dass der
Verleger, Herr C. Boysen in Hamburg, auch mit
einer Aufforderung bedacht wurde; erscheint indessen
abgesagt zu haben, da er im Festgewühl später
nicht auftaucht. Nun werden die Teilnehmer des Festes

vorgestellt, umfassende Vor-
bereitungen getroffen, denen
wir überall zusehen dürfen,
endlich werden die einzelnen
Stadien des Tages selbst mit
kostbarem Humor geschil-
dert, bis wir schliesslich mit
den letzten Gästen befriedigt
Abschied von der lustigen
Gesellschaft nehmen. Sogar
die Tafellieder, die Texte
der kleineren Aufführungen
und der grossen Tischrede
des Jubilars dürfen wir mit-
geniessen, und aus alle
diesem erwächst schliesslich
|eine Art menschlichen An-
(Beriin, Grate.) te;is an den Persönlichkeiten,

die bei der Festlichkeit auf-
treten, wozu unter anderm die Familie Allers selbst ge-
hört. Dieses gemütliche Element macht die Betrachtung
der Mappe sehr anziehend. Kurzum das Werk ist ein
treffliches Seitenstück zum »Klub Eintracht" und
wird wie dieser allenthalben lebhaften Beifall finden.
So wohl wie zwischen den vier Wänden des
Battelniannsehen Paares kann es uns freilich nicht
werden, wenn wir mit den Berliner Künstlern und
Plauderern uns in dem Gewühl der Weltstadt an
der Spree herumtreiben, das in dem Werke „Ber-
liner Pflaster"2) sich uns offenbart. Im Gegensatz zu
Allers, der uns Individuen vorführt, schwirren hier
Typen, Gattungsfiguren aller Art durcheinander, bei
Tage, bei Nacht, zu Lande, zu Wasser, bei der
Arbeit, beim Vergnügen, zu Fuss, zu Pferde, in

1) Hamburg, Boysen M. :?0. —

2) Berlin, Dr. W. Pauli. M. 20. -
 
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