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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Feddersen, Martin: Über polychrome Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0105

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Über polychrome Plastik.

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die man ihrem Andenken widmet, und sich im übri-
gen mit der Büste begnügen, um das Bild des Be-
treffenden aufzubewahren, die dann an irgend einem
passenden Orte, in Schulen und Museen, auch auf
öffentlichen Plätzen aufgestellt werden mag.

Es ist merkwürdig, was doch die Gewohnheit
thut; denn obgleich Dr. Treu aufs wärmste für die
Polychromie eintritt, so bleibt er doch in seinen Aus-
führungen an so vielem hängen, er bringt doch
solche Bedenken und Einschränkungen in der An-
wendung der Polychromie vor, dass dadurch wieder
die ganze Sache als ein zweifelhaftes Experiment er-
scheint. Die Hauptsache bei der Beweisführung
muss doch sein, dass die Notwendigkeit der Be-
malung unzweifelhaft herauskommt. So sagt Dr. Treu
zu Anfang seines Vortrags:

„Doch wir haben zunächst zu erörtern, in wel-
chem Sinne und Umfang, aus welchen Gründen wir
diese Angelegenheit überhaupt zur Verhandlung
stellen. Wir suchen dabei gleich hier an der Schwelle,
drohenden Missverständnissen nach Möglichkeit zu
wehren.

Zunächst ist jene Fragestellung nicht so ge-
meint, als ob nun irgend jemand im Ernste wünschte,
plötzlich auf Markt und Straße lauter farbige Sta-
tuen auftauchen zu sehen. Davor werden uns Nord-
länder Regen, Schnee und Kohlenstaub wohl für alle
Zeiten bewahren, auch wenn es nicht schon die Rück-
sicht auf den grauen Hintergrund unserer grämlichen
Häuserreihen thäte. Auf diesem Gebiet also zum
mindesten, und voraussichtlich weit über dasselbe
hinaus, wird das dauerhafte, ungefärbte Material
unserer Monumentalplastik schon aus äußeren Grün-
den und mit Recht seinen Platz behaupten, selbst wenn
es weniger fest in den Gewohnheiten unseres Ge-
schmackes Wurzel geschlagen hätte, als dies der Fall
ist. Eine Kunstweise, die ein Michelangelo durch
seine Thätigkeit geweiht, die auch in den Werken
der modernen großen Bildhauer unsere plastische
Phantasie vollständig beherrscht, gewissermaßen
ausrotten zu wollen, wäre Wahnwitz. Es handelt
sich selbstverständlich lediglich darum, der Plastik
unserer Tage durch die Farbe neue Wirkungsweisen,
neue Darstellungssebiete neben den alten zu er-
obern, um sie dauernd auf ihrem Wege zu fordern.-

Ich glaube, durch solche Bedenken werden wir
nicht viel weiter kommen. Was sind das für merk-
würdige Begründungen, die hier vorgebracht werden.
Warum sollen nicht „plötzlich* und so plötzlich wie
nur möglich auf Markt und Straßen farbige Statuen
aufgestellt werden? — Wenn die Polychromie über-

haupt eingeführt werden soll, so dünkt mich, ist es
doch notwendig, dass sie gerade in die Öffentlichkeit
getragen wird, denn nichts trägt mehr dazu bei, den
Sinn für die Kunst im Volke zu heben, als dass es
sich eben immer, wohin es blickt, von Kunstwerken
umgeben sieht. Ich kann daher auch-dem nicht bei-
pflichten, wenn Dr. Treu weiter sagt:

»Im allgemeinen freilich wird es ja immer wahr
bleiben, dass wir in unserem unwirtlichen Klima
keinen farbigen Süden sollen erheucheln wollen.
Aber im Inneren unserer Wohnungen, unserer Fest-
räume., wo das Farbenbedürfnis unseres Auges sich
ungestraft genug thun kann, wo es sich erquicken
und erholen will von der grauen Aussenwelt, was
sollte uns hier denn wohl hindern, auch unsere Pla-
stik mit Farbe zu sättigen?"

Die Polychromie muss nach meiner Ansicht
gerade dort bei den Werken der Plastik angewendet
werden, für welche das Volk immer das meiste In-
teresse hat, also bei den öffentlichen Denkmälern.
Wie der reiche Mann seine Wohnung dekorirt, da-
von hat das Volk herzlich wenig, weil es diese
Räume doch nicht zu sehen bekommt. Die Kunst
muss ins Volk hineingetragen werden, und das kann
sie nur durch die Öffentlichkeit. Die Museen sind
soweit ganz gut und Nutzen bringend, haben aber
doch immer etwas Exklusives; aber das, was auf
dem Markt oder an den Wänden der Häuser steht
woran das Volk täglich vorbei laufen muss, das wirkt
auf das Volk, wenn es sich dieser Wirkung vielleicht
auch selber nicht bewusst ist.

So lange die Kunst nicht auf den Markt und
die Straße gebracht wird, wird sie nie Allgemein-
gut und allgemeinverständlich werden, sie wird nur
immer etwas sein, das sich die sogenannten besseren
Stände leisten können. Unsere Kunst kann auch
ferner nur dadurch, dass sie auf den Markt getragen
wird, ich möchte sagen, wieder zu Kräften, d. h. zu
einer großen kräftigen Ausdrucksweise kommen,
denn auf Markt und Straßen kann sie den lispeln-
den nichtssagenden Konversationston nicht anschla-
gen, den sie in den Salons, wofür sie jetzt arbeitet,
anschlagen muss.

Regen und Wind, und sogar die Rücksicht auf
den grauen und grämlichen Hintergrund unserer
Häuserreihen sollen uns davor bewahren, bemalte
plastische Werke im Freien zu sehen? Nehmen
wir doch lieber diese Rücksicht nicht. Können diese
Häuserreihen denn nicht lustiger, farbenreicher ge-
macht werden? Dr. Treu weist ja selbst darauf bin,
wenn er sagt:
 
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