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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Springer, Anton: Die Aufgaben der graphischen Künste, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0160

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Die Aufgaben der graphischen Künste.

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hunderte, waren diese Personen getrennt. Die Rubens-
stecher, die mit Recht berühmten Meister der fran-
zösischen Schule, geben in der Regel fremde Kom-
positionen, von anderer Hand geschaffene Gemälde
wieder. Aber auch dann wahren sie sich ihre künst-
lerische Selbständigkeit. Sie ahmen nicht mit ängst-
licher Treue und peinlicher Sorgfalt die Vorlage
nach, sondern bieten dem Auge eine freie Über-
tragung derselben. Mit künstlerischer Empfindung
suchen sie das Gemälde als Ganzes zu erfassen und
dessen Wirkungen mit ihren Mitteln wiederzugeben.
So erringt der Kupferstich eine vom Vorbilde un-
abhängige künstlerische Bedeutung. Audrans Stiche
nach Lebrun bieten ein gutes Beispiel für diese Art
künstlerischer Arbeit. Erst in unserem Jahrhundert
begnügten sich bekanntlich die Kupferstecher mit
einer bescheideneren Rolle. Sie verzichteten auf das
Recht freier Übersetzung, hielten an dem Grund-
satze gewissenhafter Treue vorzugsweise fest. Sie
drängten die eigene freie Thätigkeit in den Hinter-
grund und machten den Wert ihres Werkes vielfach
von der künstlerischen Bedeutung der Vorlage ab-
hängig. In dem Einzelnen wahr, in den Linien und
Umrissen genau, bleiben sie doch in der Gesamt-
wirkung gegen die ältere Weise der Wiedergabe
zurück. Nicht der Stich an sich, sondern die Richtig-
keit der Reproduktion geben den Maßstab für das Ur-
teil ab. Die trockene Gewissenhaftigkeit hat zu-
weilen über die freie Künstlerschaft den Sieg er-
rungen. Solche Stiche sind gewiss unschätzbar für
das Studium, für die wissenschaftliche Erkenntnis
der Meister, welche nachgebildet werden; in den
Mappen der Sammler aber, wo das persönlich künst-
lerische Verdienst des Stechers entscheidet, nehmen
sie keinen hervorragenden Platz ein.

Man möchte beinahe glauben, dass sich hier be-
reits leise und unbewusst die Richtung vorbereitet,
welche in der Auffassung und in der Wiedergabe
der äußeren Erscheinungen auf die Wahrheit den
Nachdruck legt. Jedenfalls wird auf diese Art dem
photomechanischen Verfahren der Weg gebahnt, dem
in weiten Kreisen verbreiteten Urteile über die rich-
tigste Weise der Reproduktion reiche Unterstützung
geboten. Eine Einschränkung, aber durchaus nicht
eine Vernichtung des Kupferstiches wird die Zu-
kunft herbeiführen. Dass sich die Sache so ver-
halten und der Kampf so ausfallen werde, dafür
liefert uns die Gegenwart eine ausreichende Sicher-
heit. Wir sind Zeugen eines merkwürdigen Schau-
spiels geworden. Während zahlreiche Glieder der
Stechergemeinde mit Grund über eine wenig be-

friedigende Thätigkeit klagen, häufig genug vom
Wohlwollen der Regierungen und Vereine abhängen,
während sich ferner der Verbrauch der Stiche z. B.
als Wandsehmuck merklich vermindert hat, erfreuen
sich einzelne Kupferstecher eines immer steigenden
Ansehens, einer wachsenden Beliebtheit und sammelt
sich um ihre Werke ein weiter Kreis bewundernder
Verehrer. Das sind jene Stecher, welche die tech-
nische Leistung von der künstlerischen Schöpfung
nicht trennen, mit ihrer ganzen Persönlichkeit für
das Werk einstehen, den Grabstichel, ebenso wie der
Maler den Pinsel, als das unmittelbare Werkzeug
der Phantasie führen. Als Beispiel mögen die Por-
trätstiche des Ferdinand Gaillard in die Erinnerung
zurückgerufen werden. Mühsam musste er sich die
Anerkennung erkämpfen. Seine Stichweise stand
nicht im Einklang mit den überlieferten Regeln, mit
dem als Gesetz anerkannten Herkommen. Auch
fehlte ihm noch die vollkommene Herrschaft über
das Werkzeug. Allmählich verlor dieses für ihn
alle Sprödigkeit und Härte, es schmiegte sich völlig
seinen Absichten an und gab diese vollkommen
wieder. Scheinbar regellos und willkürlich, jeder
Definition spottend, erscheinen diese Striche und
Punkte, diese Linien und Ritze, wenn man die Ge-
samtwirkung in das Auge fasst, durchaus zweck-
mäßig und notwendig. Strenger in der Form als
die Mehrzahl seiner Fachgenossen — daher ihm die
Maler des 15. Jahrhunderts so sympathisch waren
— wusste er doch den Köpfen eine wunderbar
packende Lebensfülle einzuhauchen; das war aber
nur möglich, weil er während der scheinbar mecha-
nischen Arbeit nicht nur dachte, sondern auch
empfand, weil er mit Begeisterung an das Werk
schritt und es verstand, diese Begeisterung bis zum
Schlüsse der Arbeit festzuhalten. Hier ist der Punkt,
der die sicherste Gewähr gegen den unbedingten
Sieg der mechanischen Wiedergabe leistet. Von der
Hingabe der Persönlichkeit an die Arbeit, so dass
jene aus der letzteren klar spricht, wurde die künst-
lerische Wirkung einer Reproduktion abhängig ge-
macht. Der persönliche Anteil an dem Werke heißt
aber so viel wie Begeisterung für das Werk. Es ist hier
nicht die Rede von der Strohflamme, die bei einem
geistreichen Einfalle plötzlich aufflackert, um alsbald
wieder zu verlöschen, sondern von jenem eindringlichen,
nachhaltigen Enthusiasmus, der die fleißige Hand
fieberhaft bewegt, die Seele in einen Zustand zittern-
der Unruhe versetzt, die Phantasie ausschließlich mit
einem Gegenstande erfüllt und das Werk schließlich
zu einer persönlichen Schöpfung stempelt. Diese
 
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