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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Springer, Anton: Die Aufgaben der graphischen Künste, [2]
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325

Die Aufgaben der graphischen Künste.

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Künstlerwelt bahnten sie sich anfangs den Weg.
Dann kam der Zeitpunkt, in welchem die Maler den
Wert der Holzschnitte für die freie Wiedergabe und
die weite Verbreitung ihrer Zeichnungen erkannten.
Sie studirten die Natur des Holzschnittes, nahmen
auf sie bei dem Entwurf der Zeichnungen Rück-
sicht, erzogen die Holzschneider und gewannen auf
diese Art ein wahrhaft künstlerisches Mittel der Re-
produktion.

Man darf von dem photomechanischen Druck-
verfahren eine ähnliche Entwickelung erwarten, dass
es sich künstlerischen Wirkungen nicht entziehen
wird, wenn einmal Künstler es in unmittelbare Mit-
leidenschaft zu ziehen versuchen. Es soll nicht allein
als wohlfeiler Ersatz für den Holzschnitt und Kupfer-
stich gelten, die Natur der letzteren mit mehr oder
weniger Glück nachahmen, sondern auch ein selb-
ständiges Feld der Thätigkeit aufsuchen. Den Tech-
nikern und Künstlern legen wir die Frage vor, ob
durch das photomechanische Druckverfahren sich
nicht Wirkungen erzielen lassen, welche nur ihm
eigentümlich sind oder doch mit der größten Leichtig-
keit und Vollendung durch dasselbe verkörpert wer-
den können. Wird diese Frage, wie wir glauben und
hoffen, bejaht, so verwandelt sich auch das bisher
spröde Verhältnis zwischen beiden Mächten in ein
eng befreundetes. Von beiden Seiten muss ein Ent-
gegenkommen versucht werden. Der Künstler muss
das Wesen des photomechanischen Verfahrens kennen
lernen und diesem bereits bei seinen Entwürfen Auf-
mei-ksamkeit zuwenden, seine Stärke benutzen, seinen
Schwächen aus dem Wege gehen; der Techniker
aber muss sich bemühen, das tote, starre Element
im mechanischen Verfahren auf den kleinsten Teil
einzuschränken.

Einen Gewinn dürften vielleicht die Künstler
schon in naher Zeit einheimsen. Bei der Gefügig-
keit des neuen technischen Verfahrens und dem
leiten Gebiete seiner Wirksamkeit empfängt ihre
erfinderische Kraft eine mächtige Anregung. Wir
berühren hier einen wunden Punkt in unserem Kunst-
leben. Zahlreiche Künstlerkreise werden von der
bittern Empfindung erregt, dass sie auf unsicherem
■Boden, auf einem schwankenden Grunde sich be-
wegen. Die überlieferten Gegenstände der Dar-
stellung befriedigen nicht, die bisher übliche Auf-
fassung der Natur genügt nicht mehr. Man will
den Bann der Tradition gewaltsam sprengen, sucht
^it fieberhafter Unruhe nach einem neuen Inhalt
°der nach neuen malerischen Formen. Dem Kon-
Ventionellen wird der Krieg erklärt. Darüber ver-

gisst man nur zu oft eine ewige Wahrheit: Jedes
echte Kunstwerk birgt etwas von der Natur des
Märchens in sich. Es setzt sich über die gewöhn-
lichen Bedingungen des Daseins hinaus. Man nennt
oft konventionell, was in Wahrheit einen tiefen
poetischen Kern bildet. Doch hier ist nicht der Ort,
heute auch nicht die passende Zeit, zu erörtern,
wie viel des Berechtigten, wie viel des Krankhaften
in dem Suchen nach Neuem in den monumentalen
Künsten liege. Dass aber namentlich im Kreise der
ornamentalen Kunst eine Auffrischung wünschens-
wert sei, wer wollte das bestreiten? Man hat bei
der Betrachtung des modernen Ornamentes nur zu
häufig den Eindruck, als ob die ornamentale Phan-
tasie schon völlig erschöpft zu Boden liege. Es
kehren immer dieselben Motive, besonders aus der
Naturwelt wieder, es wird die gleiche Linienführung,
die gleiche Formbildung wiederholt. Die Tradition
herrscht hier fast unbeschränkt. Und doch würde
gerade auf diesem Gebiete eine schöpferische Phan-
tasie nicht bloß kühne, sondern auch gute Thaten
vollführen. Man muss nur mit dem Vorurteil brechen,
als ob durch die Wahl eines bestimmten Stiles auch
schon der Verwendung von Naturvorbildern eine
feste und überdies enge Schranke gesetzt würde.
Man sündigt allerdings gegen die Stilreinheit nicht,
wenn man stets nur die hergebrachten Ornamente
wiederholt. Man wird aber langweilig. Der gotische
Stil gönnt scheinbar der Pflanzenornamentik die ge-
ringste Freiheit. Die alten Steinmetzen kümmerten
sich aber wenig um abstrakte Regeln und ließen die
reiche Flora, welche sie zu Füßen der Dome er-
blickten, fröhlichen Herzens in Stein wieder aufer-
stehen. Ob wir das von den modernen Ornamen-
tisten behaupten können? Seit einem Jahrhundert
hat die europäische Pflanzenwelt eine ungeahnte Be-
reicherung gewonnen. In der Ornamentenwelt sucht
man vergeblich den Einfluss dieser neuen Flora.

Die größte Zaghaftigkeit, die stärkste Scheu
vor jeder Neuerung offenbart die Buchausstattung.
In den Initialen, in den Vignetten begrüßen wir
regelmäßig alte Bekannte. Sind wir wirklich an
der Grenze unseres Könnens angekommen? Nach
zwei Richtungen hin ahnen wir eine entwickelungs-
fähige Änderung. Dem Charakter unserer Kunst
würde es besser entsprechen, wenn auch die Buch-
illustration farbiger aufträte und sich dem Texte
enger anschlösse. Bisher waltete der schroffe Gegen-
satz von Schwarz und Weiß vor und erschienen die
Illustrationen, die Vignetten und Vollbilder von dem
Texte scharf geschieden. Selbstverständlich soll bei
 
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