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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Seidlitz, W. von: Die Spitznersche Sammlung Altmeißener Porzellane, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0194

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Die Spitznersche Sammlung Altmeißener Porzellane.

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müssen auch die anderen hier vertretenen Marken,
der Drache, der Merkurstab, das Monogramm AR
fallen; auf die Anfänge der Manufaktur, wie man
früher allgemein annahm, weisen sie keineswegs, da
ja, wie erwähnt, die Blaumalerei unter Glasur über-
haupt erst vom Jahre 1719 an beginnt.

In den dreißiger Jahren ersteht Herold in dem
Modelleur Kandier ein gefährlicher, weil fraglos
überlegener Gegner. Wohl wirkt Herold noch Jahr-
zehnte lang an der Manufaktur als Haupt einer
wohlgeschulten Malerschar: aber der Geschmack
wird nun nicht mehr durch ihn, sondern durch
Kandier bestimmt. Die Farbe verliert ihre über-
wiegende Bedeutung, wird gemildert und muss dem
weißen Grunde einen weiteren Spielraum lassen.
Dafür werden die Formen der Gefäße um so reicher
im einzelnen durchgebildet, malerische und plastische
Verzierungen müssen zur Erzielung des gewünschten
Eindrucks zusammenwirken, bis endlich jenes Wunder-
werk der Kunst, das Brühische Schwanenservice,
von Kandier gefertigt wird, wovon hier wenigstens
einige Proben zu sehen sind.

Die Rokokoperiode (1740—1774) zerfällt in zwei
Teile, die Zeit der Brühischen Verwaltung, bis 1763,
und die nachfolgende Zeit des Übergangs zum Em-
pire-(Marcolini-)Stil. Ihren Höhepunkt erreichte sie
in den fünfziger Jahren, und behauptete ihn bis in
die Mitte der sechziger Jahre. Noch 1765 zählte
die Manufaktur 731 Angestellte, darunter allein
270 Maler. Gerade diese Zeit wird durch die neue
Erwerbung auf das wünschenswerteste ergänzt. Da
sieht man in einer Auswahl des Vorzüglichsten all
die verschiedenen Verzierungsweisen in Malerei, von
den frühesten noch etwas schwer und peinlich durch-
geführten Blumendarstellungen bis zu den leichtesten
und zierlichsten Gebilden dieser Art; ferner die fein
ausgeführten Landschaften, bunt oder in Kupferrot;
die in den prächtigsten Farben leuchtenden Vogel-
gruppen; die Service mit Figurengruppen, nament-
lich in dem seit der Mitte der vierziger Jahre be-
liebten Watteaukostüm (das Hofservice, in Grün,
wahrscheinlich von 1749) wogegen die Chinesen-
darstellungen seit derselben Zeit ganz aus der Mode
kommen; ferner Jagdscenen, Bilder aus dem Soldaten-
leben u. s. w. Die Formen der Gefäße, namentlich
die Henkel und Griffe, werden immer zierlicher und
graziöser; ihre Mannigfaltigkeit zeugt von einer
schier unerschöpflichen Gestaltungskraft der Zeit.
Neue Schmuckarten, wie die Schneeballenblüten,
tauchen auf; durch ihren durchbrochenen Rand er-
halten die Teller den höchsten Grad von Zierlich-

keit. Ein großer Teil dieser Neuerungen wird auf
Kandier zurückzuführen sein, der namentlich die
großen Stücke modellirte (von 1740 bis 1763 bezog
er nicht weniger als insgesamt 46440 Thaler); die
\ kleinen Figürchen aber, auf denen fortan hauptsäch-
lich der Ruhm der Manufaktur beruhte und von
denen die Spitznersche Sammlung eine Reihe charak-
teristischer enthält, dürften zum größten Teil auf
die Modelle des seit etwa 1753 angestellten Parisers
Acier, sowie auf die Zeichnungen seines Landsmannes
Huet zurückgehen, der 1755 die noch auf der Ma-
nufaktur bewahrten Entwürfe zu einer Anzahl Pa-
riser Ausrufertypen und wahrscheinlich auch die
von 1753 datirten zu dem berühmten Affenorchester
lieferte.

Auch für die interessante Frage, wie weit noch
in dieser Zeit — ähnlich wie in den Anfängen der
Manufaktur — Porzellane außerhalb der Fabrik
und zumeist wohl in betrügerischer Absicht bemalt
wurden, bietet die Sammlung reiches Material.
Ebenso für die Frage der Nachahmungen der
Meißener Marke (hier z. B. zwei offenbar in China
gefertigte). Ein für diese Zeit besonders wichtiger
Punkt verdient hervorgehoben zu werden, nämlich
die Entstehungsgeschichte des weltbekannten Zwiebel-
musters, der Dr. Spitzner sein volles Interesse und
zwar mit dem besten Erfolg zugewendet hat.

Das jetzige Zwiebelmuster ist nur eine sehr ver-
rohte und verflachte Form der ursprünglichen Vor-
lage und doch behauptet es sich, und mit vollem
Recht, in der allgemeinen Gunst. Seine Schönheit
ist aber eine so zweckmäßige und wohlgefällige,
dass es schlechtweg unverwüstlich ist. Wie segens-
reich könnte die Manufaktur auf die Hebung des
allgemeinen Geschmackes einwirken, Avenn sie einiges
von dem guten Alten als erwünschtes Neues wieder
einführen wollte. Freilich würde das eine gewisse
Hebung des künstlerischen Niveaus der Arbeit zur
Voraussetzung haben, da es darauf ankäme, die
Färbung zu dämpfen, die Zeichnung aber zu ver-
feinern ; die Herstellungskosten würden somit erhöht
werden: eine Preissteigerung würde aber nicht nötig
werden, wenn es erst gelänge, die vornehme Gesell-
schaft für die Neuerung zu gewinnen; die übrigen
Kreise Avürden schon von selbst nachfolgen: wünscht
doch jetzt jeder das „Neueste" zu besitzen.

Obwohl das Zwiebelmuster dasjenige Erzeugnis
der Rokokozeit ist, das am längsten seine Herrschaft
behauptet hat, so hat es doch keinen eigentlichen
Rokokocharakter. Dass es schon um das Jahr 1760
bestand, wissen wir (denn es wurde in der Götz-
 
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