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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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389

Korrespondenz.

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die im Verlauf der Debatte von dem eigentlichen
Schöpfer der König-Johannstraße, dem Architekten
Adam wieder aufgenommen wurden, hielt Herr Stadt-
baumeister Rettig entgegen, dass er die Leistungen
der Dresdener Architekten in der genannten Straße
nicht so hoch wie sie selbst schätzen könnte, da er
die dort eingeschlagene Bahn als eine falsche be-
zeichnen müsse. Die Häuser der König-Johannstraße
müsse er als „herausfordernde Protzenbauten" be-
zeichnen, ein Urteil, mit dem er nach unserer An-
sicht den Nagel auf den Kopf traf. „Man habe",
fuhr er fort, (wir citiren nach dem offiziellen Bericht
im Dresdener Anzeiger vom 26. März) „in das Ant-
litz der schönen Stadt Dresden, dessen Architekten
im vorigen Jahrhundert gerade auf dem Gebiete
des Wohnhausbaues eine glänzende Reihe bester Bei-
spiele hervorgebracht und ein wundervolles, ganz
eigenartiges und unübertreffliches System geschaffen
hätten — in das Antlitz dieses vielgestaltigen und
doch so einheitlichen Wesens habe man mit dem
Durchbruche der König-Johannstraße oder vielmehr
mit ihrem Ausbau eine Schmarre hineingehauen,
welche kaum wieder vernarben werde. Er rate
daher, wieder zur Einfachheit zurückzukehren, und
habe sich darum die Fassade des Brühischen Palais
auf der Augustusstraße zum Muster genommen,
welche er zu den vornehmsten Barockbauten zähle.
Übrigens sei das Brühische Palais nur ein Putzbau,
die von ihm projektirte Schule aber solle in Quadern
aufgebaut werden und werde schon' dadurch eine
entsprechende Wirkung erzeugen. Dass man von
einer Ausführung in Haustein eine hohe Wirkung
zu erwarten habe und dass eine solche durch die
Freude an der dauerhaften und festen Herstellung,
welche jedem Menschen innewohne, das doch immer-
hin oberflächliche Vergnügen an äußerlichem Schmuck
und äußerlicher Zierat in ganz außerordentlichem
Maße zu ersetzen befähigt und im stände sei, das
zeige einer der herrlichsten Bauten deutscher Kunst
und altdresdenerischen Geistes: die Frauenkirche,
deren gewaltige, so einfache Formen nicht so
packend wirken würden, wenn der Bau in Putz aus-
geführt worden wäre. Heutzutage hätte man sicher-
lich mehr für das Geld haben wollen und hätte die
Kuppel mit Zinkblech eingedeckt und zweifellos
nicht verfehlt, ihr das nötige Augenfutter in Form
von Kannelirungen, Kreuz- und Quergurten, Spitz-
cmäderchen, Dachfensterchen, spitzen oder breiten
oder länglichen Köpf lein, kurz, den ganzen Zauber
des so beliebten eklektischen Verfahrens aufzustreuen.
Die von Herrn Kammsetzer heraufbeschworene Au-

torität Sempers und Nicolai's komme hier nicht in
Frage. Semper habe ebenso wie Schinkel nach Ein-
fachheit und Vornehmheit im Baue gestrebt, mit
der heutigen Dresdener Bauweise habe die ihrige
nichts gemein. Thatsächlich folge hier niemand
mehr den Vorbildern von Semper und Nicolai; man
klammere sich nur noch an deren Traditionen und
merke gar nicht, dass es nichts mehr als kleine und
zum Teil verdorbene Überbleibsel seien, die man
dem rollenden Wagen neuer Erkenntnis zwischen
die Räder werfe."

Dieser vorzüglichen Kritik der neuesten Dresde-
ner Bauweise pflichtete gegen Schluss der Beratung
Herr Oberbürgermeister Dr. Stübcl vollständig bei,
indem er mit großer Energie und der ihm eigenen
Wärme für die Notwendigkeit der Rückkehr zu
einfacheren Formen hinwies und die Ausführungen
des Stadtbaumeisters über die glänzenden Dresdener
Bauten des vorigen Jahrhunderts ergänzte. Er rief
den Dresdener Architekten zu, „dass sie nicht auf
einer Insel lebten", und stellte ihren Urteilen über
den Rettigschen Plan die Gutachten eines Wallot,
Ende, Kaiser, Großlieim und eines Licht entgegen,
die sich einstimmig nicht nur zu seinen Gunsten
ausgesprochen, sondern auch prinzipiell die Wieder-
einführung des von Rettig gewählten Stiles, der sich
gerade für Dresden besonders eigne, gutgeheißen
hätten. Leider machten jedoch diese Darlegungen
des Herrn Oberbürgermeisters keinen Eindruck auf
die Majorität der Stadtverordneten, welche mit 40
gegen 11 Stimmen die Fassade des Stadtbaumeisters
verwarf. In Konsequenz dieses Beschlusses wurde
bei der am 19. März vorgenommenen Wahl eines
Stadtbaurates die Kandidatur des Herrn Stadtbau-
meisters Rettig auf diesen Posten abgelehnt und
Herr Landbauinspektor Bräter gewählt, und zwar mit
34 von 67 Stimmen, sodass sich wenigsten die an-
sehnliche Minorität von 33 Stimmen auf Rettig ver-
einigte. Infolge dieser Vorgänge erbat Herr Rettig
seine sofortige Entlassung aus den städtischen
Diensten, ein Gesuch, welches vom Rate genehmigt
wurde. Dagegen beschloss der Rat, bei seiner An-
sicht zu Gunsten des Rettigschen Projektes zu be-
harren und behufs der Vereinigung mit den Stadt-
verordneten eine gemeinsame Sitzung von Rat und
Stadtverordneten herbeizuführen.

Mag das Resultat dieser Sitzung ausfallen, wie
es will, so viel steht fest: es war ein Gewinn für
Dresden, dass einmal die gegenwärtig herrschende
Bauweise von sachkundiger Seite eine eingehende,
scharfe, aber nicht ungerechte Kritik erfuhr, und
 
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