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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Die Stuttgarter internationale Kunstausstellung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0208

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405

Die Stuttgarter internationale Kunstausstellung.

406

„Ach wie bald schwinden Schönheit und Gestalt."
(Arm und Hand wünschten wir anders.) Dann aber
„Die Affen"! Diese sind hinreißend, wie wir that-
sächlich erfuhren. Eine Dame rief sich ganz ver-
gessend in Entzücken davor aus: „Der Häuptling
der seraphischen und affektirten Meister kann solche
Affen malen? 0 Wunder!" In Wahrheit: ein solches
Bild gehört dazu, um den ganzen Max kennen zu
lernen. Er ist ein großer Künstler und Psychologe
und damit zu Idealismus und Spiritismus den Rea-
lismus umfassend — wenn er will! Er sollte öfter
wollen, viel öfter. Ein geehrter Herr Kollege der
Kritik hat die „Affen" die piece de resistance der
Ausstellung genannt und wir pflichten ihm bei, dass
es ein Hauptwerk ist. Max hat bekanntlich den
Urvettern des Menschentums längst das gründlichste
Studium gewidmet. Der Maler-Psychologe steigt
bis in die Abgründe der beschränkten Tierseele und
ihrer Tragik, um dann wieder Schmerz und Tragik
der Menschenseele zu schildern oder sich in die
Regionen der Verzückung zu heben. Jedenfalls
zeigen die Affen den Meister so tief in Natur und
Wahrheit dringend, wie ihrerseits die heutige Natur-
forschung sich rühmt. Das Bild stimmt in solcher
Beziehung. Von seiner satirischen Bedeutung sehen
wir hier ab, es wiegt ohne sie; man braucht nichts
hinein oder heraus zu deuteln. Aber wenn man zurück-
denkt vor vierzig Jahren! 0 jerurn, jerurn, jerum!
0 quae mutatio rerum! singt das Studentenlied,
Wo sind die Zeiten der großen Ideen, des großen
Historienbildes damaliger Auffassung? Jetzt kann man
ein Affenbild das Hauptwerk einer internationalen
Ausstellung nennen. Interessanter Umschwung, um
das Gelindeste zu sagen.

Verwunderlich ist übrigens, dass Nachahmer
nicht längst dem Max — wie dem Defregger das
Mädchenlächeln — abzulauschen gesucht haben, wie
er durch seine Kinderaugen im Antlitz der erwach-
senen Jungfrauen und Frauen wirkt.

Nehmen wir hier gleich Malcarl hinzu. Er, Adam
und Todt, die Dahingeschiedenen sind auch noch ver-
treten, der letzte durch ein tüchtiges Bild der Fein-
malerei, in welcher ein Bildchen Buchbinders excellirt,
Franz Adam, der schmerzlich Betrauerte, mit zwei
trefflichen kleinen Bildern; Makarts „Falknerin"
sieht fremd mit Falken, Kostüm, Farbe, mit allem
in der sie umgebenden Gesellschaft aus; sie braucht
andere, weniger gemischte Umgebung, um besser
mit ihren schönen Zügen zu wirken und richtiger
gewürdigt zu werden.

F. v. Defregger hat uns ein neues Prachtbild ge-

schickt: „Treibersuppe", Treiber alt und jung Suppe
löffelnd, Dachshunde dabei, erlegte Jagdbeute, hinten
ein paar Jäger und die Sennerin der Almhütte. Das
ist Lebenswahrheit und Charakteristik, entgegen der
Malerei, die Modelle in ein Kostüm und eine an-
geflogene Idee hüllt. Der Meister kennt genau jede
dieser einfachen Personen nach Wesen und Lebens-
geschichte, nach ihren Freuden und dem, was sie be-
drückt; der Genius zeigt sie ihm bis in die geheimsten
Herzensfalten. Da wird dann ein solches Bild dar-
aus, unerschöpflich für die Betrachtung. Kennen
und Können!

Claus Meyer, Meyerlieim, Brütt, 0. v. Maff'ei,
v. Bochmann, Harburger, Habermann, Kunz, Oedcr,
Leu, Ad. Kaufmann, Munthe, Tina Blau sind in ge-
wohnter Weise, zum Teil in zwei Bildern vertreten.
Von //. Schaumann und Friedrich Keller später.

Der ungläubige Thomas spielt in der Ausstellung
seine Rolle; in diesem Saal sehen wir ihn von Feld-
mann gemalt. Er lässt doch die originelle Kraft
vermissen. An anderer Stelle skizzirt ihn E. v. Geb-
hardt, der Bahnbrecher der neuen Auffassung. Dazu
bringt Gebhardt ein „Ecce homo", markig, drastisch,
Christus nach Tertullian, „ne adspectu quidem ho-
nestus, si inglorius, si ignobilis meus erit Christus",
ausgearbeitet wie ein Handwerker. Aber in beiden
Darstellungen ist Wucht, tiefe Empfindung. Geb-
hardt ist eben ein Meister, der vorangegangen ist.
Wer anderen nur nachgeht, kommt ihnen nie voran.
Wenn man das Wort Michelangelos doch öfter be-
dächte! — Echtler bringt ein schon anerkanntes größe-
res Bild „Ruin einer Familie". Beschränkung auf
die Hauptsache hätte seinem volksdramatischen In-
halt noch größere Kraft gegeben. Es ist vorn zu-
viel durch Detail zersplittert. Links die Spieler und
die verzweifelnde Frau, in der Mitte die ganze Fa-
milie in ihrer Anzahl, rechts die beiden zuschauen-
den Bauern, das konzentrirt nicht, sondern zieht
auseinander. — Sicmiradzki ist vertreten durch ein
Frieden und Ruhe atmendes Nachtbild: „Ein lieben-
des Paar in Pompeji, Glühwürmchen betrachtend".
Das Glühwürmchen strahlt übrigens Licht.

Von den Franzosen bringt Lefebire seine „Toilette
der Braut", antikisch im schlanken und zarten Tana-
gra-Stil der Gestaltung und Färbung, Bouguereau
eine Madonna mit dem Jesuskind, von Engeln um-
schwebt, ideal, kirchlich, romantisch, etwas süß im
Holdseligen. Die Engel sind wohl etwas zu lang-
leibig; dem Jesuskind wünschten wir dichtere Löck-
chen zum besseren Rahmen für das leuchtend her-
schauende Antlitz.
 
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