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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Rosenberg, Adolf: Die internationale Kunstausstellung in Berlin, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0225

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437

Die internationale Kunstausstellung in Berlin.

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Angesichte des völlig unerwarteten Zuflusses von
Kunstwerken aller Nationen wäre unsere Ausstellungs-
komnüssion, deren rastlose Thätigkeit und zähe
Energie nicht genug gerühmt werden können, so-
gar in die bitterste Verlegenheit geraten, wenn die
Franzosen noch mit ihren großen Maschinen ange-
rückt wären. Jeder verfügbare Raum ist besetzt.
In den beiden großen Skulpturensälen, die rechts
und links von der Kuppelhalle hinter dem Haupt-
portal neu eingerichtet und durch eine von
Hoffacker erdachte, phantasievoll und edel kompo-
nirte Barockarchitektur mit der plastisch-architek-
tonischen Ausstattung der Kuppelhalle in Einklang
gebracht worden sind, ist eine solche Masse von
Bildwerken zusammengepfercht, dass es schier als
ein Wunder erscheint, wie es den Arrangeuren noch
möglich gewesen ist, dazwischen Gruppen von Blatt-
pflanzen, Ziersträuchern und tropischen Bäumen an-
zubringen, die dem Wald von Marmor-, Bronze- und
Gipsstatuen erst die richtige Farbe geben. Dass die
Zurückhaltung der Franzosen mehr in ihrem als in
unserem Interesse zu beklagen ist, lehrt auch ein
unbefangener Blick auf die französische Kunstent-
wicklung des letzten Jahrzehnts und die gleichzeitige
der übrigen romanischen Nationen, der slavischen
Völker, der Ungarn und der Skandinavier. — Böhmen,
Polen, Ungarn, Dänen, Schweden, Norweger, Spanier,
Italiener, Russen und Nordamerikaner sind so lange
nach Paris, der Hochschule aller Künste, gewandert,
bis sie mit der Schlauheit, die allen kräftig veran-
lagten, im Aufwärtsstreben begriffenen Rassen eigen-
tümlich zu sein pflegt, den Franzosen alle ihre tech-
nischen Kunststücke, in der Malerei wie in der
Bildhauerkunst, glücklich abgeguckt haben. Das
ist immerhin ein Triumph für Frankreich oder viel-
mehr für Paris, der ihm nicht bestritten werden soll.
Aber es scheint, dass Paris bereits auf einer abwärts
führenden Linie angelangt, dass seine Stellung als
Lehrerin der kunstübenden Menschheit ins Wanken
geraten ist. Während sich die französische Malerei
in zweifelhaften, kapriziösen Farbenexperimenten
verzettelt, haben die Kunstjünger fremder Nationen,
die in Paris ihre Lehrjahre durchgemacht oder dort
noch leben, ihre den Franzosen abgewonnenen tech-
nischen Fertigkeiten teils nach dem heimischen
Boden, der allein jeder schöpferischen Kraft dauer-
hafte Nahrung zuführt, übertragen, teils diese Fähig-
keiten in den Dienst ihrer von nationalen Impulsen
beherrschten Phantasie gestellt. Die Ungarn und
die in Paris lebenden Nordamerikaner englischer
und deutscher Abkunft sind die besten Zeugen für

die Verarbeitung französischen Einflusses durch
Stämme von starken nationalen Trieben. Die Über-
legenheit der französischen Kunst über die des Aus-
landes ist überdies ein Dogma von noch so jungem
Anfangsdatum, dass zwanzig Jahre politischer Par-
teiwirtschaft ausreichend genug sind, um eine Kunst-
übung, die kaum dreißig Jahre Ruhe zu ihrer Ent-
wicklung gehabt hatte, wieder in Verwirrung und
Ausartung zu bringen. Auch die französische Plastik
der Gegenwart, die man mit Recht immer noch als
die edelste und erfreulichste Blüte der französischen
Kunst schätzt, hat nicht mehr die erzieherische Be-
deutung wie früher. Schneller als in der Malerei
ist das Gefühl für Wirklichkeit und der Sinn für
Lebendigkeit in der Plastik das Gemeingut aller
Nationen geworden, bei denen diese Kunst Würdigung,
Pflege und materielles Gedeihen findet. Was die
Franzosen für die monumentale, die dekorative und
die Porträtbildnerei im großen gethan, das haben
die Italiener, unabhängig von jenen, auf dem Gebiete
der Kleinplastik, im Ausdruck des in kleinen Genre-
bildern festgehaltenen Lebens der Gegenwart voll-
bracht. Wenn der vorhandene Kunstbesitz nicht hie
und da doch Fäden erkennen ließe, die den Wirk-
lichkeitssinn der Gegenwart mit dem der grauen Vor-
zeit verknüpfen, die von dem modernen Rom und
Neapel nach Pompeji und Großgriechenland und
von da nach Tanagra hinüberführen, so würde man
glauben, dass der plastische Sinn der alten Urein-
wohner des Landes nach langem Schlafe in den
Nachkommen wie durch höhere Eingebung plötz-
lich wieder erwacht wäre. Wenn wir nach unserer
Ausstellung urteilen dürfen, scheint es jedoch, als
ob die italienische Kleinplastik in Bronze und
Terrakotta ihre Rolle oder doch wenigstens ihre
Anziehungskraft auf dem Kunstmarkte fast ebenso
schnell ausgespielt hat wie die italienische Marmor-
plastik, die sich kaum von 1870 — 1878 in der Mode
erhielt. In der Kleinplastik sind es gerade deutsche
Künstler gewesen, die den Italienern ihre Keckheiten
schnell abgesehen und sie dann, gestützt auf ihren
größeren Reichtum an Phantasie, überboten haben.
Wir erinnern nur an den in Rom lebenden August
Sommer, der wieder seine humorvolle Bronzefigur
„In der Not frisst der Teufel Fliegen" ausgestellt
hat, und an den Berliner Fritz Zadow. Die Italiener,
deren Malerei sehr vielseitig und glänzend vertreten
ist, haben sich nur mit etwa einem Dutzend von
Bildwerken beteiligt, vielleicht weil die Massenpro-
duktion dieser Bronzen und Terrakotten schließlich
aus den Ausstellungen in die Kunstindustrie-Bazare
 
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