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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Rosenberg, Adolf: Die internationale Kunstausstellung in Berlin, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0240

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Die internationale Kunstausstellung in Berlin.

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Kenntnis reicht, diejenige Stufe der Entwicklung der
modernen Malerei, auf der sie alle Erinnerungen,
jeden Scliulzusanimenhang abgestreift und einen
völlig internationalen oder neutralen Charakter an-
genommen hat, aber auch in der Gefahr schwebt,
von der Augenblicksphotographie mit Übermalung
verschlungen zu werden.

Deutsche Bildung hat auch Alexis Kiwschmko
genossen, der in den siebziger und achtziger Jahren
in München lebte und dort, wie andere seiner Lands-
leute, den Unterricht von Josef Brandt genossen hat.
Auf letzteren deutet eine „Wolfsjagd", bei der der
Jäger einen von Windhunden gestellten Wolf von
hinten bei den Ohren ergriffen hat und rittlings fest-
hält, bis seine Gefährten herankommen. Ein zweites
Bild mit einer unübersehbaren Fülle von Figuren,
der Sturm auf die armenische Bergfeste Ardagan
am Abend des 17. Mai 1877 (1886 gemalt), eine der
lebendigsten und in ihrer Wahrheit ergreifendsten
Schilderungen kriegerischer Aktionen, die die beiden
letzten goldenen Jahrzehnte der Militärmalerei her-
vorgebracht haben, ist in vielen Einzelnheiten mit
den Gemälden Franz Adams verwandt, desjenigen
modernen Schlachtenmalers, der in der Bewältigung
großer Massen die höchste künstlerische Meister-
schaft mit der höchsten, dem menschlichen Dar-
stellungsvermögen erreichbaren Wahrheit verband.
Sehr Verdienstliches hat nach dieser Richtung auch
der russische Kriegsmaler Paul Kowalewsld geleistet,
von dem wir außer einem älteren, 1872 gemalten
Bilde, einem Reiterkampfe zwischen rotröckigen Ko-
saken und französischen Kürassieren am ersten Tage
der Schlacht bei Leipzig, auch eine Episode aus
einem der letzten russischen Feldzüge zu sehen be-
kommen. Während ersteres deutlich den Einfluss
der älteren Münchener Schule — Albrecht Adam
und A. v. Kotzebue — zeigt, ist das andere ganz
unabhängig vom Atelierton im natürlichen Licht ge-
malt. Der Münchener Schule gehört auch Jaroslav
Pw*n an, dessen lustiges, in der Art von Wierusz-
Kowalski gemaltes Bild »Durchs Kreuzfeuer", ein
Bursche auf einem Schlitten, den Dorfmädchen
von zwei Seiten mit Schneebällen bewerfen, bereits
"'if der vorjährigen Münchener Ausstellung zu
sehen war.

Dass der französische Einfluss zur Zeit auf die
russischen Künstter nicht geringer ist als der deutsche,
kanu nicht bestritten werden. Hat doch selbst ein
Deutschrusse, der Livländer F. von Ltphart, der Sohn
des kürzlich in Florenz verstorbenen Knnstsaininlers,
s,-'iue Ausbildung in Paris gesucht, wofür die beiden

Bilder „Die klugen und die thörichten Jungfrauen",
eine Komposition in frostigem, antikisirendem Stil,
und „Der Olymp" mit Hera, Athena und Aphrodite,
die sich anscheinend zu einem Wettrennen auf ihren
von den bekannten Tieren gezogenen Wagen an-
schicken, mehr Zeugnis ablegen, als das von höch-
ster Lebendigkeit sprühende, an eine Primastudie
von Rubens erinnernde Bildnis des alten Liphart als
achtzigjährigen Greises. In Paris lebt auch der aus
Moskau gebürtige Constantin Egorowitsch Malcowslci
(geb. 1839), der sich vornehmlich der Darstellung
des ägyptischen und russischen Volkslebens, wo letz-
teres mit der bunten Welt des-Orients wetteifert,
gewidmet hat. Seine „Prozession des Teppichs des
Propheten in Kairo" (1876), das ihn auf unserer
Ausstellung vertritt, ist eines seiner Hauptwerke (im
Besitz der Ermitage). Er hat im Orient mehr die
Unruhe der sich unaufhörlich ablösenden Kontraste
von Farbe und Bewegungen als die vornehme Har-
monie im Zusammenwirken von Natur und Menschen
beobachtet und studirt, und darum haben seine Bil-
der einen etwas grellen, bunten Ton, der das Auge zu
keinem ruhigen Genüsse kommen lässt. Ein Zög-
ling der neuesten Pariser Schule, in der Richtung
von Bastien-Lepage und seiner naturalistischen Nach-
folger, ist die vor wenigen Jahren verstorbene
Marie Baschlärtzcff', ein frühreifes Talent, das sich
auch als Schriftstellerin in einem nach ihrem Tode
herausgegebenen Tagebuche bewährt hat, das eine
vor der Zeit von Weltschmerz und krankhafter
Lebensanschauung zerrüttete Seele enthüllt. Von
zehn Bildern, die auf der Pariser Weltausstellung
von ihrem Ringen Kunde gaben, sind in Berlin zwei
zu sehen: Pierre et Jean, zwei bleiche Knaben aus
einer Arbeiterfamilie, die auf dem Bürgersteig neben
einander trotten, um einen Einkauf zu besorgen, und
»Le rire", ein lachendes, fettes Mädchen von slavi-
schem Typus. Es sind trockene Abschriften einer
niedrigen Natur, äußerst enthaltsam in der Anwen-
dung leuchtender, ungebrochener Lokalfarben, durch-
weg auf schwarz, grau, braun und lehmgelb ge-
stimmt — also ganz im Sinne der Naturalisten und
misten. — Auf französische Einwirkung scheint
auch das koloristische Hauptwerk der russischen Aus-
stellung hinzuweisen, das Tablinum eines römischen
oder pompejanischen Hauses mit Klienten, die auf
den Morgenempfang ihres Patrons warten , von
Strphan BaMowitsch. Was Geröme, R. Boulanger
und Alma-Tadema in der Wiederbelebung der An-
tike, in der malerischen Nachbildung von allen
Werken antiker Kunst und Technik geleistet, ist in
 
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