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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Seemann, E.: Rembrandt, Lautner und Moes
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0273

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Rembrandt, Lautner und Moes.

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ratung Vater gewesen ist. Dass ich diesen Fall hier
anführe, geschieht nicht etwa, um Bol wegen Un-
sittlichkeit anzuklagen — denn die Menschen des
17. Jahrhunderts sind nicht nach heutigem Maßstabe
zu messen, — sondern um zu zeigen, wie wenig
Lautner sein Quellenmaterial, sei es aus Absicht
oder aus Unwissenheit, benutzt hat.

Schlimmer freilich noch als seine Unkenntnis
von dem Leben Bols ist die Thatsache, dass er den
Maler Bol kennen zu lernen nicht für nötig erachtet
hat. „Die Zahl der ihm zugeschriebenen Bilder be-
läuft sich in der Gesamtheit auf etwa 64—70 Stück",
sagt Lautner und fügt hinzu, dass er leider viele dieser
ihm zugeschriebenen Bilder nicht kenne. Mir sind
nun aber, ohne dass ich eine besondere Forschung
danach angestellt hätte, an 150 Gemälde von Bol
bekannt, und darunter 75, deren Echtheit dokumen-
tirt ist, während dabei noch alle in Auktionen und
Inventaren genannten Bilder außer acht gelassen
sind. Sollte Herr Lautner sich nachträglich bewo-
gen fühlen, Bols eigene Gemälde zu studiren, so
möchte ich ihm vor allen Dingen den auf dem
Amsterdamer Bathause befindlichen „Naäman" zur
Beachtung empfehlen, denn dieses Bild ist vom
Jahre 1661, demselben Jahre, in dem auch die
„Staalmeesters" entstanden sind, auf welchem Bilde
er ebenfalls Bols Namen einige Male gelesen zu
haben behauptet.

Eembrandts zahlreiche Selbstbildnisse, die uns
den Meister auf fast allen seinen Lebensstufen, seit
er die Künstlerlaufbahn betrat, vorführen, sei es
als Jüngling in Leiden, als lebensfrohen Ehemann
mit seiner Saskia auf dem Schöße oder als finster
blickenden Greis, bilden natürlich ein schwer zu
überwindendes Hindernis für die Verkehrung der
Thatsachen in ihr Gegenteil. Mit einer Kühnheit,
die in Erstaunen setzen müsste, wenn sie nicht zum
Lachen reizte, teilt nun Lautner diese Selbstbildnisse
mit souveräner Willkür in fünf Gruppen: I. Selbst-
porträts von Bol — als ob wir nicht genau wüssten,
wie Bol ausgesehen hat, z. B. auf dem Regenten-
stück von Anraadt, 1675 gemalt, Nr. 10 im Rijks-
museum —; II. Porträts von Bols Bruder Johannes;
— III. Porträts von Bols Vater; — IV. Bildnisse
seines Schwiegervaters Elbert Dell; — V. Porträts
und Studienköpfe, zu denen ihm Freunde, Bekannte
und Fremde gesessen haben. Den Beweis für die
Richtigkeit dieses Quidproquo bleibt er aber schuldig.

"Wie ernsthaft übrigens unser vielversprechender
Kunsthistoriker seine Sache genommen hat, geht
am besten aus seinem eigenen Bekenntnis hervor,

dass er das Porträt des Bürgermeisters Six nicht
selbst gesehen habe. (Ist er vielleicht gar nicht in
Amsterdam gewesen?) Darum begnügt er sich mit
einer naiven Vermutung. „Eine genaue Untersuchung
des Bildes bei geeigneter (!) Beleuchtung wird wahr-
scheinlich (!) recht »gute" Bol-Bezeichnungen er-
geben".

Um noch einen Fall der offenbarsten Ver-
drehung von Thatsachen anzuführen, sei erwähnt,
dass nach Lautner auch die „Anatomie" im Museum des
Haag von Bol gemalt ist und seine Bezeichnungen
(Mehrzahl) trägt. Nun war aber Bol, als das Bild
entstand, kaum 16 Jahre alt. Das Gemälde stellt,
wie wir erfahren, auch gar nicht die Anatomie des
Professors Tulp vor, „wie aus den festgestellten
Porträts dieses seiner Zeit hochverehrten und ver-
dienstvollen Mannes hervorgeht". Das ist nun frei-
lich ein recht böser Fall für Herrn Lautner, denn
die Originalbilder dieser festgestellten Porträts, die
er so gut zu kennen sclieint, befinden sich im Hause
des Herrn Six xu Amsterdam, wo auch ein Bild von
Tulps Schwiegersohn, des Bürgermeisters Jan Six,
hängt und wo unser Kunsthistoriker nach seinem eige-
nen einige Seiten vorher abgelegten Bekenntnis nicht
gewesen ist.

Ein Abschnitt in seinem Buche ist mit „Sta-
tistisches" überschrieben, und hier erreicht der Ver-
fasser den Gipfel seiner Weisheit. Er rechnet, als
ob es sich um den Kurs von Getreide oder Kolonial-
waren handle, darin aus, wie viel Rembrandt ver-
dient haben müsse, wenn er der Urheber der ihm
zugeschriebenen Werke gewesen wäre. „Außer
Rembrandt ist kein anderer Maler in Hollands bester
Zeit in Amsterdam untergegangen". Ihr armen
Hobbema, van der Neer und Ruisdael, was würdet
ihr zu dieser Entstellung der Wahrheit sagen! (Oder
sind etwa die Landschaften Ruisdaels auch vielleicht
von Bol? Es wäre gut, sie einmal von Herrn Laut-
ner photographisch untersuchen zu lassen.)

Rembrandts Leben baut Lautner nun auf den
Ergebnissen seiner Forschung ganz neu auf und
verfährt dabei „nach bestimmten Principien, psycho-
logischen Calcülen". Ich meine, ein bisschen mehr
Kenntnis der holländischen Sprache, als ihm va
Gebote stand, würde der Sache mehr genützt haben
als diese „Calcüle". Denn dann wären vielleicht
folgende Zeilen ungedruckt geblieben. „Allerdings ist
es eigentümlich, dass er (Philips Angel) ihn defl
weit berüchtigten und nicht den weit bcriilnntr»
Rembrandt nennt". Hier steht im holländischen
Text „wyd berucht". 0 si taeuisses! Aus dergleichen
 
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