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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0200

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387

Korrespondenz.

388

Thatsachen lehren auch hier wieder, dass die Ent-
wickelungsphasen, in denen sich das künstlerische
Schaffen fortbewegt, auch von dem Publikum mit
durchgemacht werden müssen, das sich nur allmäh-
lich in seinen Anschauungen ändert, weil das Ver-
mögen der Augen, sich neuen Eindrücken anzupassen,
offenbar ziemlich begrenzt ist.

Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, scheinen
uns die oben erwähnten Ausstellungen als Erziehungs-
mittel großen Wert zu besitzen. Wir verdanken sie
hauptsächlich unseren drei größten Kunsthandlungen,
unter denen die von Theodor Lichtenberg, die über
die am besten beleuchteten Räume verfügt, den beiden
anderen thatkräftig und geschickt vorangeht. Es ist
jedenfalls für unsere Verhältnisse nicht ungünstig, dass
in den Lichtenberg'schen Ausstellungen keineswegs
bloß moderne Künstler zum Worte gelangen, sondern,
dass dort auch Arbeiten älterer Richtungen, nament-
lich auch einzelne Proben der in Dresden noch so
beliebten Historienmalerei, Aufnahme finden. Man-
cher, der sich vor dem Beschauen einer Freilicht-
malerei wie vor einem ansteckenden Gifte hütet,
besucht den Lichtenberg'schen Salon, um derartige
Bilder zu sehen, und da er doch auch den Schöpf-
ungen der vermeintlich gefährlichen Revolutionäre
begegnet, so gewöhnt er sich vielleicht dort an das
Neue, das ihm dann mit der Zeit weniger ab-
scheulich dünkt und schließlich wohl gar noch ge-
fällt. Wir wissen nicht, ob Herr Lichtenberg ab-
sichtlich seine Ausstellungen nach diesem Gesichts-
punkt einrichtet, müssen ihm aber das Zeugnis aus-
stellen, dass er bis jetzt recht geschickt operirt hat.
Nachdem er im Januar eine Sammlung von Still-
leben und Blumenstücken, die meist von Malerinnen
herrührten, veranstaltet hatte, brachte er im Februar
eine Reihe hochbedeutender Bildnisse Ludwig
Bokelmann 's, die gleichzeitig mit dem bekannten
Bilde von Hermann Neuhaus: „Der verlorene Sohn"
zu sehen waren. Im März folgte dann schon kräf-
tigere Kost, eine Anzahl stark realistischer Farben-
skizzen von den Brüdern David und Pierre Offens in
Brüssel. Das Kühnste aber war es, am Ende dieses
Monats eine Stuck-Ausstellung vorzuführen, in der
sich auch das von der vorjährigen Münchener Aus-
stellung bekannte Kreuzigungsbild des Künstlers be-
findet, das den Anhängern der herkömmlichen Histo-
rienmalerei selbstverständlich noch viel entsetzlicher
erscheinen muss, als alles, was Uhde bisher ge-
schaffen hat.

Auf diese Weise hat es Lichtenberg den ganzen
Winter über verstanden, seinen Ausstellungen An-

ziehungskraft zu verleihen und seinen Kollegen, die
durch ihre kleineren Ausstellungsräume schon an
und für sich im Nachteil sind, den Rang abzulaufen.
Zur Erhöhung des Interesses an seinen Unterneh-
mungen lässt er obendrein einen eigenen Kunst-Bericht
erscheinen, der über die bei ihm ausgestellten Bilder,
allerdings mehr panegyrisch als kritisch, referirt.
Wir wünschen diesen Bemühungen den besten Er-
folg und können unsererseits die eröffnete Kon-
kurrenz nur mit Freuden begrüßen, da durch sie
offenbar mehr Bewegung in das Dresdener Kunstleben
kommt, als es seit Jahren besessen hat.

Hoffentlich teilt sich diese auch dem Kunstverein
mit, der diesen Winter noch nicht viel davon ver-
spüren ließ. Denn wenn wir von drei Bildnissen Franz
Siebert's, von denen wenigstens zwei bedeutende,
durch vortreffliche Charakteristik ausgezeichnete
Leistungen waren, während das dritte den Eindruck
des Gequälten machte, absehen, so wüssten wir
nicht, was wir seit unserem letzten Berichte von dort
ausgestellten Kunstwerken hier anzuführen hätten.
Die Hoffnung auf eine Verbesserung liegt aber um
so näher, als sich der Kunstverein seit kurzem mit
neuen Satzungen versehen hat, die den Anforde-
rungen der Gegenwart in weit höherem Maße ent-
sprechen, als dies bei den alten Statuten vom Jahre
1861 der Fall war. Unter anderem wird in den neuen
Satzungen als einer der Vereinszwecke ausdrücklich
angeführt, dass den Mitgliedern durch „Vorträge über
die bildenden Künste" Anregungen geboten werden
sollen, wie dies z. B. im Leipziger Kunstverein der
Fall ist, während in den früheren Statuten nur von
„Mitteilungen und Besprechungen über Gegenstände
der bildenden Künste" die Rede war, ohne dass we-
nigstens in der letzten Zeit an eine Ausführung
dieser Bestimmung gedacht wurde.

Ferner ist in den neuen Satzungen von der Er-
richtung oder Erwerbung eines Vereinshauses die
Rede, das über kurz oder lang zu einem unabweis-
baren Bedürfnis werden dürfte. Besonders wichtig
erscheint der Paragraph, der die ausdrückliche
Forderung enthält, dass zur Ausstellung nur Werke
zugelassen werden sollen, die künstlerischen Wert
haben. Danach sind alle dilettantischen Arbeiten,
die bisher nicht streng genug ausgeschlossen
blieben, von nun an von den Ausstellungen abzu-
weisen. Die Bedingungen und das Verfahren bei
der Aufnahme von Kunstwerken zur Ausstellung
und zum Verkauf sollen vom Direktorium durch ein
eigenes Regulativ festgestellt werden, das im Druck
erscheinen und hoffentlich strenge, wenn auch nicht
 
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