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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Bayersdorfer, W.: Tschudi
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Berliner Ausstellungen: Sezession und Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0061

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99

Berliner Ausstellungen

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1906 in den Räumen der Nationalgalerie. Gleichwohl
soll damit der Vorwurf einer gewissen Einseitigkeit,
der Tschudi gemacht wurde, nicht widerlegt sein.
Denn Tschudi war etwas einseitig, das darf ruhig
gesagt werden und nimmt ihm nichts von seiner
Bedeutung. Für einen großen Zweig der idealisti-
schen Richtung der deutschen Kunst hatte er wenig
übrig und einige ihrer markantesten und kraftvoll-
sten Vertreter scheinen in seinem Innern nicht die
nötigen Voraussetzungen zur Nachempfindung ihrer
Werke gefunden zu haben. Auch konnte man in
manchem, was die neuesten Strömungen der modernen
Kunst betraf, über manche seiner organisatorischen
Maßnahmen anderer Meinung sein; das alles wird
dem, was er geschaffen, nicht den mindesten Abbruch
tun. Tschudi hatte ein Recht auf Einseitigkeit. Wer
so wie er die Werke seiner Wahl zu empfinden
versteht, wer in der Kunst mit solcher Inbrunst und
Leidenschaftlichkeit zu lieben weiß, und so in seiner
Tätigkeit für sie aufgeht, der ist eben selbst ein
Künstler, wenn auch in anderem Sinn; und einem
Künstler hat noch kein vernünftiger Mensch Einseitig-
keit übelgenommen oder ihm als großen Fehler an-
gerechnet. Man möchte sagen: Herr, gib uns wieder
einen, der wie er in Kunstdingen zu lieben und
zu hassen weiß, aber bewahre uns vor den Lau-
warmen.

Tschudis Leitung der Nationalgalerie stieß, wie
dies bei einer so temperamentvollen, in ihrer Arbeit
so vom Herkommen abweichenden und auch nicht
immer ganz diplomatisch verfahrenden Persönlichkeit
nicht anders zu erwarten war, auf heftigen Wider-
spruch. Namentlich seine Vorliebe für die französi-
schen Impressionisten und die Führer des deutschen
Impressionismus wurde ihm, teils von Künstlern, teils
von niedern, hohen und höchsten Herren sehr ver-
übelt und im Jahre 1908 hatten sich die Verhältnisse
derart zugespitzt, daß er auf ein Jahr in Urlaub ging,
sich während dieser Zeit Japan ansah und nach seiner
Rückkehr Berlin für immer mit München vertauschte,
wo er, fast einstimmig mit größtem Jubel empfangen,
die Direktion der bayrischen Gemäldegalerien über-
nahm. Sofort begann er hier, mit beispielloser Energie
durchgeführt, ein Reorganisationswerk, über das an
dieser Stelle seinerzeit ausführlich berichtet wurde,
das, mit großem Beifall aufgenommen, ihm das blei-
bende Andenken und den ewigen Dank Münchens
sicherte, das ihm aber auch, vielfach aus ähn-
lichen Gründen wie in Berlin, einzelne Angriffe und
einen Stimmungsumschwung in gewissen Kreisen des
Publikums und der Künstlerschaft eingebracht hat.
Was seine Neuordnung der Pinakothek, die Ausfüllung
von Lücken durch Tausch und Ankäufe, die erst jüngst
erfolgte Neuaufstellung der gotischen Abteilung, ferner
die Aufnahme solcher Leihgaben wie die Sammlungen
Carstanjen und Nemes oder des Hermannstädter van
Eyck für München und die gesamte Kunstwelt be-
deutet, braucht hier nicht noch einmal besprochen zu
werden. Was aber hätte dieser Mann noch geleistet,
wäre ihm vergönnt gewesen, nach Ausführung der
geplanten Anbauten an die alte Pinakothek, die Re-

organisation der modernen Galerie in die Hand zu
nehmen, die er mit den Werken alter Kunst vereinigt
wissen wollte und deren Inangriffnahme ihm vielleicht
noch mehr am Herzen gelegen hatte wie alles bisher
Geschaffene. Nun ist sein geisterbleiches Antlitz mit
den faszinierenden dunklen Augen für immer aus der
alten Pinakothek verschwunden, halbfertig ist die
Arbeit und mit großer Sorge sehen wir der Zukunft
entgegen.

Die literarische Tätigkeit Tschudis beschränkte sich
mit Ausnahme von Katalogarbeiten, dann des kleinen
Büchleins über Manet (1902, 2. Aufl. 1909) und des
1906 unter Mitwirkung von E. Schwedeler-Meyer und
J. Kern herausgegebenen Menzelwerks größtenteils auf
kürzere Abhandlungen, die in wissenschaftlichen und
Kunstzeitschriften zum Abdruck kamen. 1879 schrieb
er im Rep. f. K, dessen Redaktion er dann von i8g4
ab in Gemeinschaft mit Thode selbst geleitet hat,
über »Lorenzo Lotto in den Marken«. In dem gleichen
Organ folgten noch »Ausstellung niederländischer Ge-
mälde im Burlington Fine Art Club« und »Sept etudes
de A. J. Wauters«. Den Hauptteil seiner gelegent-
lichen Studien aber legte er in den preußischen Jahr-
büchern für Kunstwissenschaft nieder, die nachfolgende
Aufsätze enthalten: »Giovanni Dalmata«; »Madonna
mit Heiligen von Vittore Pisano aus dem Besitz des
Cav. dal Pozzo«; »Ein Madonnenrelief von Mino
da Fiesole«; »Das Konfessionstabernakel Sixtus IV. in
St. Peter zu Rom«; »Ein männliches Bildnis des Jan van
Eyck«; »EineMadonnenstatue von Benedetto daMajano«;
»Die Madonna mit dem Karthäuser von Jan van Eyck«;
»Der Meister von Flemalle«; »Die Pieta des Giovanni
Bellini im Berliner Museum«; »Aus Menzels jungen
Jahren«.

Hierzu kommt noch ein Aufsatz über die Samm-
lung Arnhold in »Kunst und Künstler« (1909) und
als letzte der Öffentlichkeit übergebene Arbeiten die
Vorworte zum Katalog der Sammlung Nemes und
zum neuen Katalog der Alten Pinakothek.
München, den 26. November 1911.

W. BAYERSDORFER.

BERLINER AUSSTELLUNGEN
SEZESSION UND AKADEMIE

Seit ihrer ersten Schwarz-Weiß-Schau im Herbst
1902 ist der Berliner Sezession keine ihrer winter-
lichen Veranstaltungen so gelungen wie diese. Es
ist eine der frischesten, reichsten und anregendsten
Ausstellungen, die wir in den letzten Jahren aufzu-
weisen hatten, und zugleich ein eindringlicher Beweis
für die immer noch sehr stattliche Gesundheit und
Lebenskraft der Vereinigung, an der man schon so
oft hippokratische Züge bemerken wollte. Es sprüht
und funkelt alles vor Laune, Keckheit, Bewegung,
Experimentierlust, Temperament, und man steht unter
dem Zauber der unmittelbaren Beziehungen, die durch
die Skizze, die schnell festgehaltene Notiz, die Studie,
den frühen Entwurf zwischen den Persönlichkeiten
der Künstler und dem Publikum hergestellt werden.

Überdies bringt die Ausstellung diesmal in den
gewohnten Rahmen einige neue Motive. Zunächst
 
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