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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Berliner Ausstellungen: Sezession und Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0062

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Berliner Ausstellungen

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rückt sie die Plastik, die im Sommer nach alter Sitte
von der Malerei zurückgedrängt wird, einmal ener-
gisch in den Vordergrund, ja in den Mittelpunkt des
Ganzen. Der große Hauptsaal ist zu einer regel-
rechten Skulpturenhalle umgewandelt worden und
zeigt, daß sich der Plan einer künftigen »reinen«
Bildhauerausstellung, den der Katalog zur Debatte
stellt, in diesem Hause vorzüglich durchführen ließe.
Die jetzige Auswahl und Anordnung würde man
dafür nicht gerade als Vorbild gelten lassen, aber sie
bietet dennoch viel Anziehendes: von Berlinern schöne
Porträtbüsten von Nikolaus Friedrich, Alexander Oppler,
einigen Jüngeren (wie Kurt Edzard) und Fritz Klinisch,
der zugleich zwei größere Arbeiten von verschiedenem
Wert und eine Reihe interessanter gezeichneter Studien
ausstellt; ferner glänzende Novitäten von Georg Kolbe,
darunter die besonders schöne Gestalt einer Erwachen-
den, reizende kleine Tierfiguren von Gaul, eine sehr
graziöse Brunnenkomposition von August Kraus (ein
Staatsauftrag für Schloß Alienstein in Ostpreußen),
das dekorative Hochrelief eines Herkules mit dem
Eber von Tuaillon und wunderhübsche plastische
Skizzen von Richard Engelmann. Unter den Gästen
steht Rodin an der Spitze, mit seiner unvergleichlichen
Büste Gustav Mahlers, mit der fabelhaften Bronzefigur
der »Kauernden Frau« und einem neuen Marmor-
werk aus dem Motivenkreis des Höllentores: »Francesca
und Paolo«. Eine kostbare Büste von Georges Minne,
zwei Porträtköpfe von Max Klinger (Karl Lamprecht
und Direktor Steinbach), zwei charakteristische Arbeiten
von Hermann Haller kommen hinzu. Wenn diese Auf-
zählung ein bißchen nach »Durcheinander« schmeckt,
so spiegelt sie damit nicht schlecht den Eindruck,
den die Kollektion hervorruft. Da die Sezession ein-
mal den Grundsatz aufgestellt hat, daß jede Aus-
stellung ein Kunstwerk an sich zu sein habe, muß
sie sich schon gefallen lassen, daß man diese etwas
naive Art der Zusammenstellung anmerkt. Ohne sie
damit nun gleich eines Staatsverbrechens zeihen zu
wollen.

Die zweite Sonderprovinz ist eine historische. Man
wollte einmal einen Einblick in die ältere Zeichen-
kunst des 19. Jahrhunderts geben, und zwar in die
deutsche — nicht immer wieder in die französische.
Das ist ein kluger und sympathischer Gedanke, den
man prinzipiell festhalten sollte. Man könnte noch er-
heblich weiter zurückgehen, bis in die Renaissance, um
darzutun, daß gerade in der Zeichnung die Entwick-
lung eine viel strengere und geradere Linie aufweist
als etwa in der Malerei, und so die Zusammenhänge
zwischen den Formvorstellungen der Jahrhunderte
wie ihren Wandel beleuchten. Die jetzige Auswahl
entspricht auch hier noch nicht allen Wünschen;
aber der Anfang, der einmal gemacht ist, interessiert
doch außerordentlich, und die Einzelheiten sind fast
durchweg von höchstem Wert. Im Zentrum stehen
zwölf wundervolle Feuerbachs aus Münchener Staats-
besitz, meist Aktstudien, die wirklich über alle Begriffe
schön sind. Wie die bayerische hat die weimarische
Regierung der Sezession verschiedene kostbare Schätze
hergeliehen; außerdem halfen noch einige Privatsammler.

Rings um die Feuerbachs gruppieren sich Klassizisten
und Romantiker, die in ihren Zeichnungen oft so
verblüffend modern anmuten: der alte Schadow mit
einigen reizenden, leicht hingesetzten Porträtskizzen;
dann Carstens, der in seinen Studien und nun gar
in seinen Karikaturen den Stift erstaunlich frei hand-
habte; weiter Cornelius und /. A. Koch, Genelli und
der letzte Kartonmeister Geselschap, Overbeck und
Schnorr, von dem man eine Potipharszene und einen
sich vorneigenden Frauenakt von glänzendem Schwung
der Linie sieht. Aus jüngeren Kreisen kommen die
Landschaftsstudien von Louis Eysen und die hübschen,
oft freilich sehr anspruchslosen Blättchen des Böcklin-
Getreuen Rudolf Schick. Überreichlich ist die Vor-
führung von kleinen Studien und Notizen Spitzwegs,
von denen vieles absolut entbehrlich gewesen wäre.
Aber solche Bedenken können die Anerkennung, die
dieser erste Versuch einer Schwarz-Weiß-Retrospektive
im Rahmen einer modernen Ausstellung verdient, nicht
wesentlich mindern.

Der Besucher sollte zuerst hier einkehren; er ist
dann weit besser darauf vorbereitet, den Augenblicks-
Eingebungen, Arbeits-Vorbereitungen und freien Phan-
tasien der Neuesten zu folgen. Die Gefahr großer
Ansammlungen solcher Blätter bietet immer eine
Schwierigkeit; sie können nur zu leicht verwirren
und ermüden. So heißt es denn, in dem lustigen,
behenden und grotesken Gewirbel durch Kollektionen
Ruhepunkte schaffen. Die umfänglichste gehört
Ludwig von Hof mann, eine feine Reihe von Kohle-
zeichnungen und Pastellen, die von einer schönen
neuen Fruchtbarkeit seines Talents Kunde geben.
Andere stammen, um zunächst die ausländischen Gäste
zu nennen, vom heimgegangenen fozef Israels, von
Anders Zorn, von zwei der besten neueren Engländer:
Muirhead Bone, dem fast altmeisterlich Feinen und
Malerischen, und Joseph Penneil, dem impressionistisch-
geistreichen Schilderer von Wolkenkratzern und mo-
dernen Industriezentren, dann von Gauguin, aus dessen
Nachlaß eine Serie von Lithographien auf gelbem
Papier, Motive aus der Bretagne und von Martinique,
vorgeführt wird. Auch sonst herrscht die Lithogra-
phie sehr stark vor. Man sieht farbig ungemein
interessante Blätter von Renoir und Cezanne, und
nicht minder von den Berlinern. Dabei führt
Corinth mit seinen neuen Steindrucken zum hohen
Liede, die weniger fletschende Brunst präsentieren
als die reichlich brutalen Bilder zum Buche Judith.
Daneben nenne ich Waldemar Rösler, der aus-
gezeichnete Landschaften aus der Nähe Berlins
auf den Stein gezeichnet hat. Max Beckmanns inter-
essante Studien und originelle Lithographien zum
Neuen Testament weisen in Chorinths Nähe. Bemer-
kenswert ist überdies, wie die Lust an zyklischen
Darstellungen wiedererwacht ist, die eine neue Freude
am Stofflichen, Thematischen, ja am Illustrativen verrät.
Dahin gehört auch Hans Baluscheks Gruppe von zwei
Dutzend großen Kohlekartons aus dem Revier der
Eisenbahnen, ein modernes Maschinenepos von starker
Haltung, das fast in jedem Blatt den anspruchsvollen
Stoff sehr glücklich überwunden hat. Von Liebermann
 
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