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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Wiener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0109

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Wiener Brief

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fach« der Künstlerhausleute, das Porträt, vertreten;
es war auch nicht ein Porträt da, das mehr war
als Dutzendware. Aber gerade das scheint in den
hier in Betracht kommenden Kreisen zu gefallen.
Etwas besser steht es mit der Landschaft. Da
gibt es doch ein paar Maler, die guten Durch-
schnitt geben, so F. Beck (»Herbstwald«, »Kastanien«),
A. Filkuka (»Partie beim Tulbingerkogel«, im Schnee),
R. Bratkowski (»Stille Alm«), J. Epstein (»Bei der
Mühle«), F. Pontini (»Parkwinkel in Franzensbad«)
und endlich Alfred Zoff, von dem eine größere Kol-
lektion beisammen war. Die Landschaften des letzt-
genannten, meist Motive am Wasser, sind solid gemalt,
wenn sie auch, in Öl, meist Aquarellwirkung haben.
Daneben gab es noch eine Kollektion von Otto Herschel,
das beste davon Alt-Wiener Milieubilder, in denen das
Stillebenartige warm und lebendig, das Figurale
hingegen matt und süßlich ist. Unter der Plastik
waren ein paar frischere moderne Werke, so die kleine,
aber groß stilisierte Bronze »Schicksal« von P. Winter-
Heidingsfeld (München), eine Porträtstudie in Terrakotta
von F. Gernik und die unter dem Einflüsse von
Metzner und Hanak stehenden Arbeiten von W. Oösser
(»König Ödipus«) und von Virgil Rainer (»Schmerz-
empfindung«), letztere aus dem Stein schön heraus-
gearbeitet.

Die Sezession, für deren Ausstellung übrigens noch
der vorjährige Vorstand (Präsident Jos. Engelhart) ver-
antwortlich ist, gehörte zum größten Teile den Fremden.
Mittelpunkt war eine Sammelausstellung von zwei
polnischen Künstlern, des Plastikers Waclaw Szyma-
nowski und des Malers Jacek Malczewski, beide aus
Krakau. Szymanowski hat vorwiegend großmonumen-
tale Tendenzen; neben ein paar Porträts sind es vor-
wiegend Grabmäler, Denkmäler (ein Denkmal Chopins
für Warschau mit der Idee: »Chopin lauscht den
Tönen der heimatlichen Natur im Rauschen eines
symbolischen Baumes«) und die Studien, Entwürfe
und Modelle für den »Wawelzug« für Krakau, die
ausgestellt waren. Das meiste Interesse erregt der
Wawelzug. Der Wawel ist die ehrwürdige Königs-
burg in Krakau, ein prächtiger dreiflügliger Bau aus
dem 16. Jahrhundert, der einen wundervollen drei-
stöckigen Arkadenhof umschließt. Geschlossen ist
dieser Hof von einem niedrigen Trakt, der ursprüng-
lich Stallungen und Küchen, später eine Kaserne ent-
hielt. Nach dem Restaurierungsprojekt soll nun dieser
Trakt fallen, an seine Stelle eine offene einstöckige
Arkade treten und über das Dach dieser Arkade soll
nun in mehr als doppelt lebensgroßen Bronzefiguren
ein geisterhafter Zug historischer Persönlichkeiten mit
Gefolge ziehen, von der verschleierten Gestalt des
Fatums angeführt. Wäre dieses Projekt nicht dazu be-
stimmt, eines der schönsten und weihevollsten Monu-
mente Österreichs zu »beglücken«, so möchte man
über diese kindlich-historisierende Geschichtsklitterung
lächeln. So verdient es eine nicht genug scharfe
Zurückweisung, nicht bloß vom Standpunkt einer
konservativen Denkmalpflege aus, die jenes an Er-
innerungen so reiche Denkmal in dem Zustand er-
halten möchte, in dem es uns die Zeiten überliefert

haben, sondern auch von dem Standpunkte aus, der
über diesen Denkmalschutz-Konservatismus hinaus-
geht und gegen Veränderungen alter Monumente nichts
einzuwenden hat, wenn sie von bedeutender Künstler-
hand in hervorragend künstlerischer Weise durchgeführt
werden. Nun ist das hier aber keineswegs der Fall.
Schon die Idee an sich ist nichts weniger als unan-
fechtbar: ein Gestaltenzug, der, frei in der Luft, über
das Dach einer Terrasse sich bewegt. Ein geistvoller
Kritiker sagte darüber, es sehe aus, als sei eine große
Gesellschaft im Freien von einem Platzregen über-
rascht worden und flüchte sich unter das schützende
Dach des Laubenganges. Die lang hinschleifenden
Schleppen, die die einzelnen Gestalten zu Gruppen
zusammenschließen sollen, geben in der Tat dem
ganzen Zuge einen hastigen, laufenden Charakter. Die
Lösung des plastischen Problems ist vollkommen miß-
glückt. Man denke: ein Zug von Personen, oft in
Viererreihen nebeneinander, viele Meter hoch über
dem Fußboden, von beiden Flanken aus von unten
sichtbar! Die Komposition ist demgemäß natürlich
von keiner Seite aus klar, es muß als ein Gewirre
von Kleidern, Armen und Köpfen erscheinen. Die
Gestaltung ist absolut unplastisch, völlig malerisch.
Schon das Programm des Künstlers selbst gibt Auf-
schluß über die romantisch-historisierende Provenienz
der Idee: »Wie Geister der Geschichte, die aus den
Gräbern der nahen Kathedrale zum Tageslicht empor-
gestiegen, sollen all die Gestalten aus Polens Ver-
gangenheit im kolossalen Zuge auf der Galerie
erscheinen, ein Zug, der ewig um das Schloß wandelt,
verzaubert in seiner Poesie der Vergangenheit, stumm,
aber überzeugend, Könige und Feldherren, Volk und
Gelehrte, alles was nur das Leben der Vergangenheit
von Polen bedeutet, das alles wandelt vor den Augen
des Zuschauers nicht als reale Welt, nicht als schön
und künstlich ausgeführte Plastik, aber als große
Bronzeschatten der Vergangenheit, als kolossale Vision
eines starken und eigenartigen Volkes, eines mächti-
gen Reiches usw. usw.« Sehr schöne Worte, leider
recht ateliermäßig durchgeführt. Auch die einzelnen
Figuren lassen außer der in Metern meßbaren Größe
nicht viel von monumentaler Größe und Wucht er-
kennen. Es sind ins Kolossale übersetzte Genre- und
Kostümfigürchen, als Nippesfigürchen für einen alt-
modischen Geschmack recht anmutend, für diese Stelle
aber und in dieser Größe ausgeführt wegen ihrer
formalen Glätte und ihrer innerlichen Leere und Be-
deutungslosigkeit völlig ungeeignet. Es wäre auf das
Tiefste zu bedauern, wenn das Wawelschloß, etwa
aus mißverstandenem Nationalismus, für ewige Zeiten
durch dieses Werk künstlerisch geschädigt würde.

Der andere der Krakauer Gäste, der Maler Jacek
Malczewski, hat als Maler eine bedeutende Entwick-
lung zurückgelegt. In den neunziger Jahren malte er,
vielleicht unter dem Einflüsse Böcklins und anderer,
Bilder, in denen sich Leben und Phantasie in merk-
würdiger Weise durchdrang und verband. So eine
»Melancholie« (1894): ein Atelier, rückwärts sitzt der
Maler bei der Staffelei, aus dem Bilde heraus dringt
ein toller und wilder Zug von Gestalten, Soldaten,
 
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