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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Wiener Brief
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0112

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Unsere Plastiker bauen in Deutschland die großen '
Monumente, während bei uns die Zuckerbäcker die
Denkmäler machen. Unser Kunstgewerbe hat in
Deutschland, in Frankreich, in Amerika seine Absatz-
gebiete, während bei uns der Bürger im vornehmen
und eleganten Attrappenladen seine Einkäufe besorgt.
Unsere Architekten müssen untätig zusehen, während
Jahr für Jahr die größten Aufträge für Monumental-
bauten, wie jetzt für das neue Kriegsministerium oder
das Technische Museum, den Reißbrett- und Stil-
handwerkern in den Schoß fallen. Otto Wagner
hat seit Jahren keinen Bau mehr geführt und muß
jahrelange aufreibende Kämpfe um jedes Projekt
durchfechten, um dann zu sehen, wie sein Ent-
wurf in die Mappe wandert und ein anderer den
Bau bekommt. Der bedeutendste der jüngeren Archi-
tekten, Josef Hoffmann, hat überhaupt noch keinen
größeren Auftrag in Wien bekommen, trotzdem er
Professor an der Kunstgewerbeschule ist. Dafür baut
er in Brüssel ein großes Haus und wird wahrschein-
lich einen großen Auftrag für Paris bekommen. Doch
dem guten Wiener ist das alles zu »modern«, zu wenig
amüsant, die modernen Künstler sind zu ernst und zu
wenig zu Späßen aufgelegt, er zieht es vor, zum
»Gschnasfest« ins »Künstlerhaus« zu gehen, weil man
sich dort so gut unterhält. Der Wiener kann sich
immer noch nicht darein gewöhnen, daß er ein
Großstädter geworden ist und als solcher die Ver-
pflichtung hat, mit dem Leben zu gehen; er ist immer
nur stolz und selbstbewußt auf seine »alte Kultur«
und blickt daher mit Verachtung auf alle jungen- und
modernen Städte, z. B. Norddeutschlands, herab. Sein
Blick ist nach rückwärts gewandt und nie nach vor-
wärts und er ist selbst begeistert von seinem Lieb-
äugeln mit Biedermaier und Vormärz. Das ist nicht
nur auf dem Gebiete der bildenden Kunst der Fall,
sondern auch auf dem der Literatur, des Theaters,
der Musik, des öffentlichen Lebens usw. Der »echte«
Wiener tänzelt im Walzerschritt an allen Problemen
des modernen Lebens vorüber; für ihn ist Wien immer
noch die behagliche Phäakenstadt von Anno dazumal.
_ O. P.

PERSONALIEN
Karl Köpping ist von der Akademie der Schönen
Künste in Paris zum korrespondierenden Mitgliede gewählt
worden. Köpping hat schon viele hohe Auszeichnungen
erfahren, so besitzt er die Oroße goldene Medaille der
Berliner und die Medaille erster Klasse der Münchener
Kunstausstellung, ist Ritter der Ehrenlegion und erhielt den
Orand prix der Pariser Weltausstellung.

DENKMALPFLEGE
Zum Schutze des Mont-Saint-Miche! wird sich eine
»Oesellschaft der Freunde des Mont-Saint-Michel« bilden.
Ihr Ziel ist, über die Unverletzlichkeit der Insel zu wachen,
die Zerstörung der alten Häuser des Dorfes zu verhindern
und die Ausführung der Kammerbeschlüsse zu verfolgen, die
den Fels in seine alte Inselgestalt zurückversetzen wollen
(jetzt bildet er nur eine Art Halbinsel).

DENKMÄLER
Das Lessing-Denkmal in Wien. Der Ausschuß des
Denkmalkomitees hat mit der Ausführung dieses Denkmals,

das im Rathauspark errichtet werden soll, Prof. Franz Metzner
betraut. Es ist dies der erste Auftrag, den der Künstler
für Wien bekommt. Für Deutschböhmen (der Künstler
ist ein gebürtiger Deutschböhme) hat Metzner eine Reihe
von Monumentalaufgaben übernommen, so das auf ge-
waltigen Terrassen errichtete Kaiser-Josef-Denkmal in
Teplitz, ein Liebig-Denkmal für Reichenberg, ein Mozart-
Denkmal für Prag. Für Prag hat er übrigens die dekora-
tive Plastik am Palaste des Wiener Kunstvereins geschaffen.
In Berlin, wo der Künstler seit ein paar Jahren tätig ist,
stammt die plastische Ausschmückung des Hauses »Rhein-
gold« von ihm. Seit ein paar Jahren ist er mit der Aus-
führung des plastischen Schmuckes am Leipziger Völker-
schlachtdenkmale betraut. Er hat sich fast an allen größeren
Denkmalkonkurrenzen der letzten Jahre beteiligt. So hat er
auch für Wien Entwürfe für das Elisabeth-Denkmal, Brahms-
Denkmal, für einen Rüdiger-Brunnen vor der Votivkirche
geschaffen, die alle leider nicht zur Ausführung gekommen
sind. O. P.

Der größte französische Karikaturist, Honore" Daumier,
wird in Marseille, seiner Heimatstadt, demnächst ein Denk-
mal erhalten, das der Bildhauer A. Oeoffroy, ein Sohn von
Daumiers treuem Freund Geoffroy-Dechaume, geschaffen hat.

WETTBEWERBE
Die Berliner Hochschule für die bildenden Künste
hat aus der Dr. Hermann Günther-Stiftung das Stipen-
dium für das Jahr 1912 im Betrage von 1398 Mark dem
Maler Willy Schomann verliehen. Gleichzeitig verlieh sie
das diesjährige Stipendium der Adolf Ginsberg-Stiftung
im Betrage von 2100 Mark dem Maler Friedrich Maron aus
Berlin. Das für dieses Jahr aus der Adolph Menzel-
Stiftung zur Verfügung stehende Stipendium wurde dem
Studierenden Maler Wilhelm Burggraf zuerkannt.

Die Berliner Akademie der Künste schreibt zum
Zwecke einer Studienreise für einen deutschen Landschafts-
maler den Preis der Julius Helfftschen Stiftung im Betrage
von 3000 Mark für dieses Jahr aus. Die Bewerbungen
sind bis zum 20. April an die Akademie zu richten, ein-
zureichende Bilder dagegen der Großen Berliner Kunst-
ausstellung einzusenden, deren Aufnahmebedingungen sich
der Bewerber unterwirft.

FUNDE

X Interessante Funde künstlerischer Schießschei-
ben aus alter Zeit hat die Berliner Schützengilde

gemacht. Im Waffensaal ihrer »Residenz«, des Schlößchens
Schönholz bei Pankow - Niederschönhausen im Norden
Berlins, hingen, seit Jahrzehnten verstaubt und vernach-
lässigt, eine große Anzahl von Scheiben, die einst von den
jeweiligen Schützenkönigen gestiftet worden waren. Sie
datieren aus der Zeit seit 1747, dem Jahre, in dem Fried-
rich der Große das neue Reglement der Gilde bestätigte.
Schon 1883 hatte ein Mitglied der Schützenschaft, der
Maler Gerhard Noack, den Versuch gemacht, die alten
Scheiben, unter denen er, wie sich jetzt zeigt, mit vollem
Recht Arbeiten von künstlerischem Wert vermutete, zu
reinigen. Aber die harte schwarze Schwefelbleioxydschicht,
die sich angesetzt hatte, widerstand. Erst jetzt hat Herr
Noack nach jahrelangen Experimenten ein Verfahren ge-
funden, das zum Ziele führte. Nur in einigen Stücken hat
das vom Kiefernholz ausgeschwitzte Harz sich mit den
Farben so unglücklich verbunden, daß diese fast ganz der
chemischen Zersetzung zum Opfer fielen. Die übrigen
erstrahlen nun in neuer Frische und geben einen imponie-
renden Beweis für den Geschmack und die Solidität, mit
der im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert solche Dinge
 
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