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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Münchener Brief
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Münchener Brief

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eine seiner vornehmsten Schöpfungen, die in Linie
und Bewegung so außerordentlich rhythmische und
ausdrucksvolle »Abendruhe< von 1906 aus dem Kunst-
verein in Winterthur. Auf die große Anzahl der
übrigen Studien, Porträts und Landschaften kann nicht
weiter eingegangen werden. Leider muß man aber
feststellen, daß sich unter den Arbeiten der letzten
Zeit sehr mäßige befanden, und daß die ewige Wieder-
holung, selbst an und für sich so ausgezeichneter
Würfe wie der »Holzfäller« und der »Mäher«, nur
ein Verflachen des Künstlers und ein Herabsinken
zum schablonenmäßig arbeitenden Handwerker zur
Folge haben kann. Es läßt sich in der Kunst ein
inneres Erlebnis wohl öfter wie einmal zum sichtbaren
Kunstwerk gestalten und eine hohe Begabung wird
bei der ihr innewohnenden Kraft der Empfindung
eine noch größere Zahl leicht variierter Wiederholungen
wagen können, wie der mittelmäßige Alltagsmaler.
Es ist aber unmöglich, sich die gleiche seelische Kraft
im Kunstwerk zu erhalten, wenn man ein Motiv,
nach einmal schon erreichtem Höhepunkt, in fünfzehn
und zwanzig und vielleicht noch mehr Wiederholungen
zu Tode hetzt. Die Begehrlichkeit der Käufer darf
nicht der bestimmende Faktor für die Tätigkeit eines
großen Künstlers werden.

Seit kurzer Zeit ist nun auch einer der angesehensten
Franzosen in der Modernen Galerie Thannhauser zu
Gast, Auguste Renoir, der Zeitgenosse jener großen
Generation seltener Talente, die in den sechziger und
siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der modernen
französischen Malerei in Paris neue Wege geöffnet
hat. Unter den 41 Werken seiner Hand vermissen
wir leider solche der sechziger Jahre, die ihn noch
etwas unter Courbets Einfluß zeigen, für seine Ent-
wicklung aber von größtem Interesse sind, wie »Die
Schenke der Mutter Anthony« von 1866, »Le Lise«
von 1867 und das Bildnis des Ehepaares Sisley von 1868.
Auch für die Folgezeit müssen wir auf Hauptwerke
wie die als Türkinnen verkleideten Pariserinnen von 1872,
»Die Loge« von 1874, »Das Frühstück der Ruderer«
1881, »Die Kinder Berard« 1884 oder das Liebespaar
im Garten bei Durand Ruel verzichten. Doch genügt
das Vorhandene zur Not, um wenigstens ab Ende der
siebziger Jahre einen Begriff von seinem künstlerischen
Schaffen und seiner schließlich sehr negativ verlaufenen
Entwicklung zu bekommen. Werke von bedeutender
künstlerischer Höhe sind nur aus dem Zeiträume
von 1878—1883 zu sehen, eine vorausgehende kleine
Landschaft von 1873 's* nicht weiter von Belang. Alle
diese Arbeiten, im ganzen 14, zeigen die gleichen
Vorzüge, die sie zu wertvollen Äußerungen einer
selbständigen Künstlerseele erheben, tragen aber zum
Teil auch schon die Keime des späteren Niederganges
in sich, der um so schmerzlicher und bedauerlicher,
als hier tatsächlich eine außergewöhnliche Begabung
in immer schwächer werdenden Produkten die größere
Dauerhaftigkeit des Körperlichen im Gegensatz zum
Geistigen manifestierte. In erster Linie fällt bei Renoir
die außerordentliche Sensibilität für Farbe auf, deren
Verwendung trotz großer Leuchtkraft und Reinheit
immer etwas sehr Zartes hat. Er gebraucht sie nicht

so realistisch wie Courbet oder gar Manet, sondern
bringt in ihr — und dabei spricht auch die Art des
Auftrages sehr mit — etwas Dichterisches zum Ausdruck,
was ihn stark von seinen mitstrebenden Zeitgenossen
unterscheidet. Man vergleiche nur einmal zwei im
Sujet ähnliche Bilder von Renoir und Manet mitein-
ander, wie den hier ausgestellten M. Tournaise von 1878
und den Bocktrinker bei Arnhold in Berlin, hier alles
zart, empfindsam, subjektiv, dort alles fest, kräftig ob-
jektiv. Aber in dieser außerordentlich zarten Farben-
empfindung ist manchmal etwas zu spüren, was das
baldige Nachlassen der künstlerischen Kraft ahnen läßt.
Schon bei dem »Garten in der Rue Cartot auf dem
Montmartre« von 1878 kann man eine gewisse Schwäche,
eine leise Flauheit herausfühlen, die allmählich immer
stärker wird, um vom Ende der achtziger Jahre ab
die Bilder in einer Weise zu beherrschen, daß deren
künstlerische Bedeutung damit aufhört. Länger hält
sich ein anderes Moment der Renoirschen Kunst, die
absolute Natürlichkeit, die jede Pose verschmäht und
den Dargestellten mit einem Hauch von Leben um-
gibt, wie er dem reinen Naturalisten in gleicher Weise
nie gelingen wird. Diese Natürlichkeit spricht sich
in dem schlafenden Mädchen mit der Katze von 1880,
dem Hauptwerk der Ausstellung, das zugleich ein
treffliches Beispiel für die koloristischen Qualitäten des
Künstlers bildet, so gut aus, wie in dem Familienbild
von 1896, das im übrigen schon ganz in jener flauen,
süßlich rosa Manier mit der alles abrundenden Form-
gebung gemalt ist, die das Charakteristikum seines späten
Stils. Gleiches Erfassen des geistigen Wesens eines
Darzustellenden, der für Renoir nie nur farbige Er-
scheinung allein war, findet man in drei Bildnissen
des Jahres 1882, zwei Mädchen im Garten, zwei
Jünglingen auf einer Bank und einem offenbar der-
selben Familie angehörenden jungen Mann, dessen
En-face-Porträt etwas sehr Ansprechendes hat. Eines
der reizvollsten Werke der Kollektion gibt ein Stück
Flußlandschaft mit Ruderbooten und Zuschauern in
leuchtenden warmen Tönen, denen man die Freude
des Malers an ihrem Zusammenklang nachfühlt. Aus
dem gleichen Jahr 1879 stammt die Dame beim
Tee, deren Farben etwas gemäßigter und flauer,
während sie bei den Mädchen auf der Terrasse von
1881 wieder in heller Pracht jubilieren. Dem be-
sprochenen Zeitraum gehören auch zwei schöne Still-
leben, zwei farbensprühende Marinen und eine 1880
entstandene Variation der »Loge« von 1874 an, die
sich mit ihrer berühmten Vorgängerin nicht ver-
gleichen kann. Das nächste Datum, das wir hier an-
treffen, lautet 1887, und damit sehen wir den vorher-
erwähnten Niedergang von Renoirs Kunst eingetreten.
Das Bild ist betitelt »La coiffure« und zeigt eine
sitzende Dame, der eine andere die Frisur richtet.
Die frühere Farbenfreudigkeit ist einer unbegreiflichen
Vorliebe für ein fades, süßliches Rosa gewichen, die
Formen werden vergröbert und rund, die Köpfe be-
kommen einen bestimmten, immer wiederkehrenden
Typus, der ganze flaue Farbenauftrag, die Modellie-
rung haben etwas durchaus Schematisches, man möchte
sagen Kindisches. Aus dem Jahre 1890 sind eine
 
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