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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Der Kampf um das neue Berliner Opernhaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0166

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Der Kampf um das neue Berliner Opernhaus

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nicht auf >neue Formen« einlassen werde, die ja unsern
Behörden wie sonstigen entscheidenden Instanzen als
Teufelswerk gelten.

Für die zweite Konkurrenz wurden den Teilnehmern
die Hände noch mehr gebunden, da man ihnen einfach
die acht Säulen der Vorhalle in der Programmskizze vor-
schrieb! Littmann und Seeling änderten nicht viel an ihren
ersten Entwürfen. Und Grube folgte diesen absolut. Wie
sie, hat auch er ohne alle eigne Empfindung oder neue
Beseelung aus dem Geist unserer Zeit die historischen
Details aneinandergereiht, konventionelle Säulen, Pilaster,
Giebel, Kapitelle, hundertmal dagewesenen Skulpturen-
schmuck. Keine lebendige, eine tote Kunst. Ein mattes,
akademisches Epigonentum. Und wie seine Vorbilder hat
Grube hinter dem über Vorhalle, Vestibül, Treppenhaus,
Foyer und Zuschauerraum flach sich hinziehenden Dach
nun plötzlich den Bühnenhaus-Übertempel herauswachsen
lassen: einen klassischen Buckel, eine griechische Ge-
schwulst, eine in die Höhe gewundene Nationalgalerie.
Dadurch allein schon gelangt etwas Unruhiges, Zerklüftetes
in die ganze Baumasse, was noch schlimmer wird durch
ein ratloses Auseinanderzerren der übrigen Teile. So
fehlt jeder große Klang, jede einheitliche Wirkung, jeder
starke Rhythmus. Hinzu kommt das im Bauprogramm
vorgeschriebene Motiv, das Opernhaus nicht frei zu
stellen, sondern es zwischen zwei ausgewachsene Berliner
»Fünfstöcker« einzuspannen, die mit ihm nur durch
Kolonnadendurchfahrten verbunden werden sollten. —
Grube, der jüngst die Versetzung von Gontards Königs-
kolonnaden nach dem alten Botanischen Garten geleitet
hat, folgt auch hier ohne persönliche Belebung diesem
altberliner Motiv, von dem er offenbar nicht los kam,
natürlich in der abschwächenden Wirkung, die jede Kopie
mit sich bringt. Die Häuser stehen ganz unorganisch
rechts und links daneben. Im Ganzen bleibt Grubes
Fassadenentwurf in den Verhältnissen, im Einzelnen wie
im Ganzen weit hinter Littmanns und Seelings zweiten
Skizzen zurück, die selbst gleichfalls unannehmbar wären,
aber aliejene Fehlerimmerhin in manchen Punkten gemildert
zeigen. Ihne freilich scheidet aus der Diskussion völlig aus.

Die Disposition des Innern, die Grube vorschlägt,
stammt im Wesentlichen gleichfalls direkt oder indirekt
von früheren Vorschlägen, zum Teil von den recht guten
Grundrissen Seelings im ersten Wettbewerb, die auch jene
Programmskizze sich bereits zunutze machte. So ist denn
die Raumgruppierung vielfach durchaus praktisch und
zweckmäßig; namentlich auch die Anlage der Räume für
den kaiserlichen Hof, für dessen Bedürfnisse ausgiebig
gesorgt werden sollte: er hat eine ganze abgeschlossene
Flucht von Sälen zur Verfügung, Vorsäle, Teesalons, Galerie
und Speisesaal, die zugleich eine zusammenhängende Ver-
bindung zwischen der großen Hofloge und der kleineren
königlichen Proszeniumsloge (an der Südseite) bilden.
Anderes, das auf Grubes eigene Rechnung kommt, ist
unmöglich. So besonders die Anlage einiger Räume des
technischen Betriebes, die auf Wunsch der Generalintendanz
so angeordnet wurden, die aber allen theaterpolizeilichen
Forderungen in bezug auf Licht, Luft und Umbauung der
Höfe widersprechen. Es ist darauf hingewiesen worden,
daß ein privates Theaterunternehmen, das solche Dinge
einreichte, niemals die Zustimmung der Polizei erhalten
würde. Das trifft besonders auch für die Zugänge zu den
vorderen Parkettreihen zu, die unter den in Parketthöhe
liegenden Proszeniumslogen her geführt sind, über Treppen
hinauf (! die eine davon hat gar 15 Stufen!) — eine ebenso
häßliche wie gefährliche Einrichtung im Falle einer Panik;
überdies schneidet sie Löcher in die Füße der Pfeiler der
Proszeniumslogen!

Blickt man auf den ersten Wettbewerb zurück, so findet
man, daß dabei manche Details auftraten, die mit viel mehr
Recht hätten übernommen werden können. Vortreffliche
Züge hat das Projekt von Genzmer, der vor allem den
Oberbau über den Zuschauerraum hinüberzog (wo er einen
großen, sehr wohltätigen Luftschacht nebst Magazinen ein-
quartierte), so daß er eine einheitliche große Silhouette
herausbrachte; der ferner von der vorgelagerten Tempel-
halle, die auch bei ihm auftritt, aber feiner, selbständiger
empfunden ist als bei den andern, Kolonnaden bis ans
Ende der Nebengebäude laufen läßt, also auch hier für
eine Einheitswirkung sorgt. In allen Formen ist bei Genzmer
am ehesten ein Ausdruck, der eigenartig, neu berührt, ohne
überall gleich zu befriedigen.

Die Ausstattung des Innern ist bei Grube völlig un-
möglich. Schweres, schematisches Barockgepräge, das
weder zu dem im Ganzen sachlichen Grundriß noch zu
dem antikisierenden Äußern paßt.

Aber Grube hat eine »schätzenswerte Eigenschaft«, die
allen andern fehlt: er ist kein freier Künstler, sondern
Beamter, mit dem sich bequemer arbeiten läßt; der sich
Wünschen von maßgebender Stelle nicht verschließen wird.
Darum scheint sein Entwurf an dieser Stelle auch besonders
liebevoll empfohlen worden zu sein, was man klar daran
erkennt, daß er allein — einige »Randbemerkungen« von
wohlbekannter Handschrift trägt, über deren Herkunft
niemand im Zweifel sein kann, der öfters offizielle Bau-
pläne gesehen hat. Der eine dieser Vermerke findet sich
in der Grubeschen Grundrißskizze an dem Treppenaufgang
zu den höfischen Sälen, der mit einer energisch ge-
schwungenen Pfeillinie in Bleistift durchschnitten ist,
während am Rande ein »/a« steht. Der andere deutet auf
das Dachgesims eines der Nebengebäude, das Grube ein-
fach hielt, Littmann aber mit reichem Skulpturenschmuck
versah, und lautet: »Wie bei Littmannt:. Daraus ist nun
nicht nur die Entscheidung zugunsten Grubes besonders
erklärt wie vor allem auch die bei einem Architekten-
kollegium sonst unverständliche ministerielle Äußerung,
man halte es für wünschenswert, daß in den Grubeschen
Entwurf »einige reizvolle architektonische Details des Litt-
mannschen hineingewebt werden« — eine schier unglaub-
liche Methode des Stoppeins und »Zusammenschmelzens«.

Aus allen diesen Gründen hat sich der Berliner wie
der weiteren deutschen Kunstfreunde über den bisherigen
Ausgang dieses Handels eine tiefe Verstimmung bemächtigt.
Handelt es sich doch um einen Bau, der das künftige
Stadtbild Berlins an einem entscheidenden Punkte mit-
bestimmen soll. Die einzige Hoffnung, die wir haben,
gründet sich nun auf den Landtag und auf die Zeit.
Denn erst im nächsten Jahre soll der fertiggestellte Bau-
plan dem Abgeordnetenhause vorgelegt werden, das dann
die erste Rate der Baukosten bewilligen müßte. Am
1. April 1913 hofft man mit dem Bau beginnen zu können.
Vielleicht, daß doch bis dahin noch eine bessere Erkenntnis
siegt. Bliebe es tatsächlich bei den heutigen Wünschen der
Regierung, so würde das für die norddeutsche Architektur
einen Schlag bedeuten, den sie sobald nicht wieder ver-
winden kann, einen neuen Akt in der »Tragödie der Stadt-
baukunst«, wie man nach einem hübschen Wort, das
kürzlich geprägt wurde, das Schicksal Berlins nur zu treffend
bezeichnet hat. Aber auch der Landtag hat bisher nicht
gezeigt, daß er die Vorschläge des Ministeriums ohne
Weiteres akzeptieren wolle; vielmehr hat das Abgeordneten-
haus entgegen dem Wunsche des Ministers, unter Zustim-
mung aller Parteien beschlossen, die Aussprache über die
ganze Angelegenheit nicht schon jetzt, bei der ersten Lesung
des Etats vorzunehmen, sondern sie bis zur zweiten Lesung,
also etwa bis Ende April, zu vertagen, um der Künstler-
 
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