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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Opperlin, Manfred: Aus dem Leipziger Kunstleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0197

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Aus dem Leipziger Kunstleben

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in solchen primären Studienblättern, Eindrucks- und Ein-
fallsnotizen, ersten Entwürfen oderOestaltungsversuchen
einer bildnerischen Idee, wie in den, gleichfalls hier-
her gehörigen zum Selbstzweck entstandenen leichten
Impromptus und Capriccios, nicht selten in der un-
mittelbarsten, intimsten, leidenschaftlichsten Form aus-
zusprechen. Der Eindruck der Ausstellung, die mit
kenntnisreicher Umsicht und einer vornehmlich den
fortschrittlichen Kunstbestrebungen zugute kommenden
Weitherzigkeit angelegt ist, gestaltet sich denn auch
ganz ungewöhnlich interessant, anregend und be-
reichernd, weshalb eine eingehendere Besprechung
auch an dieser Stelle sich rechtfertigen dürfte.

Aus der Gesamterscheinung des in unbeschränkter
Fülle und Reichhaltigkeit zusammengebrachten Materials
ergibt sich eine in der letzten Zeit auf diesen Ge-
bieten vollzogene enorme Steigerung den Möglich-
keiten, Erweiterung der Ausdrucksgrenzen, Verviel-
fachung der Nuancen und Sonderarten; im Technischen
sowohl, in der Auswahl, Verbindung, Ausnützung der
Mittel, wie in der künstlerischen Auffassungs- und
Ausdrucksweise, die anstatt der behaglichen Prosa
gleichmäßig ausführlicher Abschiiderung des Bild-
objekts immer mehr nur den bestimmten Empfindungs-
oder Stimmungsgehalt mit prägnantester Knappheit
und Intensität herauszuarbeiten und in einem sozusagen
dramatischen oder lyrisch epigrammatischen Stil vor-
zutragen sich bemüht. Man könnte sich wohl ver-
sucht fühlen, an Hand dieser Ausstellung eine Art
Grammatik und Systematik der modernen graphisch-
malerischen Kunstsprache aufzustellen; hier soll in-
dessen nur eine kurze Übersicht über die hauptsäch-
lichsten vertretenen Namen und Künstlergruppen ge-
geben werden, von denen die meisten allerdings wie
Schlagworte eine ganze individuelle Sonderwelt be-
zeichnen und in der Vorstellung des Kundigen wach-
rufen.

Zuerst die Hauptmeister, die tonangebenden, die
auf der reifen ruhmvollen Höhe des Schaffens An-
gelangten: Klinger, der durch Einsatz seines Namens
und persönliche Bemühungen so viel für die Aus-
stellung getan, hat für sich selbst nur einen verhältnis-
mäßig kleinen Raum reserviert, wo er eine Anzahl
sachlich und doch warm empfundener Landschafts-
aquarelle, lauter Ansichten eines kleinen Landsitzes
im Saaletal, und namentlich ein paar große Akte aus
neuester Zeit vorführt, Blätter, die ein überraschendes Be-
streben nach geschlossener Geschmeidigkeit des Linien-
schwungs mit großen prallgerundeten, lichtspiegelnden
Flächen zu erkennen geben, und in ihrer ruhigen
Meisterschaft etwas unmittelbar Imponierendes haben.
Von dem zweiten großen Zeichner Leipzigs, von Otto
üreiner fehlt noch die erwartete Einsendung, dagegen
ist Artur Volkmann mit ein paar Federzeichnungen
von schlichter ruhiger Tüchtigkeit vertreten. Von
Max Liebermann finden wir gleich im ersten Kabinett
eine umfängliche Serie kleiner Studienblätter in
schwarzweißer wie in farbiger Ausführung von der
bekannten vibrierenden Lebendigkeit malerisch im-
pressionistischer Beobachtung, leider nur kein größeres
und großfiguriges Blatt; dann die zwei anderen

Häupter der Berliner Sezession Corinth und Sievogt,
der erste mit einem großen Porträtentwurf und einigen
Bleistiftakten von erstaunlich suggestiver Stofflichkeit
bei einfachsten Mitteln, der andere gleichfalls mit Akt-
studien in knapper energischer sehr bewegungsstarker
Fassung, sowie einigen seiner malerisch temperament-
vollen »Lederstrumpf«-Illustrationen. Das süddeutsche
Kunstgebiet vertritt zunächst der Altmeister Hans
Thoma, der eine Reihe meist älterer Blätter, italienische
Landschaften und dergl., eingesandt hat; zur Seite
tritt ihm als gesinnungsverwandte Erscheinung mit
zierlich und bedachtsam aufgebauten Landschaftsstudien
in altmodischer Bleistiftmanier der bekannte Radierer
Peter Halm. Fritz von Uhde und Franz Stack sind
mit vereinzelten Beispielen ihrer Kunst vertreten,
H. Zügel durch eine größere Reihe von Tierstudien
von prächtig malerisch lockerem Vortrag. Von L. v.
Hofmann sieht man neben Arbeiten in seiner be-
kannten etwas oberflächlichen idealistischen Art auch
einige frischere, feiner beobachtete Landschafts- und
Figurenstudien, Reiter am Meer, Polospieler u. a.
Leider fehlt der kühnste Idealist und Stilistiker der
neuen deutschen Kunst, Ferdinand Hodler; aber von
einem seiner eigenartigsten Antipoden der entsprechen-
den Sphäre, von G. Klint, sind zwei feine Bleistift-
studien, figurale Gruppen, ausgestellt.

Neben diesen führenden älteren Meistern erscheinen
sodann in großer Zahl die hervortretenden Persönlich-
keiten aus der jungen und jüngsten Generation, denen
die nächste Zukunft des deutschen Kunstlebens vor
allem gehört.

Berlin drängt sich hier schon durch numerische
Überzahl in den Vordergrund. Da sind die beiden
Hübner mit landschaftlichen Aquarellen, Interieurs und
Stilleben von kultiviertestem Feingefühl, da sind ein paar
saftig und kraftvoll behandelte Porträtköpfe von Dora
Hitz und eine eindrucksvolle Folge Käthe Kpllwitzschtr
Kohlestudien. Von H. Zille sehen wir einige seiner
derb karikierten Vorstadtszenen, von E. Orlik u. a. die
höchst sorgfältige Vorzeichnung zu einem Hodlerporträt.

Bei den Jüngeren ist fast stets der Einfluß Lieber-
manns, Corinths oder Slevogts irgendwie zu spüren,
mit dem sich die persönliche individuelle Eigenart des
Einzelnen mehr oder weniger frei auseinandersetzt.
So bei Theo von Brockhusen, M. Beckmann, Wald.
Rösler, und weiter bei Erich Büttner, Fei. Meseck
(Zeichnungen zum Sommernachtstraum u. a.), bei
Otto und Rud. Möller, B. Hasler, Rud. Großmann
u. a. Willi Geiger zeigt Federzeichnungen auf grell-
buntem Papier, deren lockere, höchst eigenartige Aus-
drucksweise, wenn überhaupt, am ehesten mit Van
Gogh sich vergleichen ließe, während Max Pechstein
und E. Matthes in ihren mit größter Breite und kühnster
Stimmungskoloristik angelegten Aquarellen u. a. sich
unverhohlen an Gauguin anschließen. Ganz abseits
steht sowohl /. Pascin mit einer langen Reihe zart
umrissener Figurengruppen (»Schnabelewopski«, »He-
loise« u. a.) in scheinbar altmodisch biedermeierhafter,
tatsächlich raffiniert moderner Zeichenweise, und Karl
Walser mit seinen wundervoll fein abgestimmten Szenen-
bildern zu Reinhardtschen Theateraufführungen.
 
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