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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Wiener Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0206

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3«9

Wiener Brief

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stehend, farblich aber sehr selbständig und stark; man
möchte mehr von dem Künstler sehen.

Weitaus die anziehendste und wertvollste Aus-
stellung ist die des »Hagenbundes«. In den letzten
Jahren war es immer der Hagenbund, der uns die
interessantesten Bekanntschaften mit ausländischen
Künstlern vermittelt und die »Jüngsten < unter den
österreichischen jungen Künstlern auszustellen gewagt
hatte. In diesem Jahre dachte der Bund seinen zehn-
jährigen Bestand zu feiern, als ein bitterer Tropfen
alle Festesfreude vergällte. Die Gemeinde Wien hat
dem Bunde das Lokal, ein Ende einer städtischen
Markthalle, das zu einem kleinen und intimen Aus-
stellungsgebäude adaptiert worden war, und das die
Gemeinde dem Bunde kostenlos überlassen hatte, ge-
kündigt, da die Markthalle demoliert werden soll.
Damit ist das Bestehen der Vereinigung, die sich um
das Wiener Kunstleben sehr verdient gemacht hat,
ernstlich in Frage gestellt. Hoffentlich wird sich
ein Modus finden lassen, der die weitere Tätigkeit
der Vereinigung ermöglicht. In der jetzigen Aus-
stellung kommen eine ganze Reihe von Künstlern zu
Worte, die uns wirklich etwas zu sagen haben. Als
eine interessante und eigenartige Persönlichkeit ent-
wickelt sich der Architekt Oskar Laske. Auf früheren
Bundesausstellungen war er zuletzt mit architekto-
nischen Phantasien, die von kleinen Figürchen wim-
melten, vertreten. Alles war aber noch etwas un-
gelöst. Seine heurigen Beiträge aber müssen jeden
überraschen, so stark ist die Kraft, die daraus spricht.
Sind es die Reisen nach dem Orient, nach Griechen-
land, nach Krakau, von denen ausgestellte Studien
zeugen, die sein malerisches Talent so außerordent-
lich befruchtet haben? So köstlich diese koloristisch
reizvollen Studienblätter auch sind (auch als Radierer
zeigt er eine Reihe ausgezeichneter Proben), so werden
sie doch durch zwei große Bilder, die »Vertreibung
der Händler aus dem Tempel« und eine »Kreuzigung«
in den Schatten gestellt. In diesen weiträumigen
Bildern (in der großartigen räumlichen Gliederung
zeigt sich der Architekt!) steckt eine geradezu an den
Bauernbreughel gemahnende Fülle und Reichtum an
Phantasie und Formbeherrschung. Man wird nicht
müde, die Unzahl der köstlichen Figürchen zu be-
trachten, ohne daß doch einen Moment die große
Gesamtwirkung der Bilder ins Kleinliche zersplittert.
Hier steckt entschieden eine durchaus originelle und
kraftvolle Begabung. Prof. Franz Barwig ist mit
einigen seiner bekannten famosen Tierkleinbronzen
vertreten. Außerdem mit einer Faunsgruppe in Holz
und zwei weiblichen Statuetten. Dr. Rudolf Junk, der
vortreffliche Schreibkünstler, von dem zuletzt die Titel-
tind Einbandzeichnungen zum Katalog der öster-
reichischen Abteilung in Rom und zum Rudolf von
Alt-Werk hergestellt wurden, stellt eine in prächtiger
Fraktur geschriebene Adresse an Prof. von Schröder
aus, umrahmt von einem breiten Rande von Gold-
ranken mit aufgelegten Goldblattglocken, eine Arbeit,
die den edelsten Werken mittelalterlicher Schreib- und
Miniaturkunst an die Seite gesetzt werden darf. Fritz
Hegenbarth ist mit einer interessanten Kompositions-

studie (Stierbändiger) vertreten. Daran schließt sich
eine ganze Reihe von Gästen. Prof. Hans Unger-
Dresden hat Gemälde und Zeichnungen geschickt;
eine merkwürdige, nicht leicht verdauliche Mischung
von Klinger, Feuerbach und Makart. Prof. A. von
Benkhard-Budapest ist mit zwei Landschaften ver-
treten, die in manchem an Gauguin erinnern. Von
Ernestine Lowag ist ein Damenporträt erwähnens-
wert, von J. Honsa kleine, leuchtend kräftige Land-
schaften. Obrovsky-Prag hat diesmal ein älteres
Bild beigesteuert, ein prächtig gemaltes Damen-
porträt mit feierlich herabwallendem Gewände, sehr
ruhig und vornehm. Hans Böhler-Wien stellt eine
Reihe von Studien aus Ostasien aus, Zeichnungen,
sehr ausdrucksvoll im Duktus. Ein Ölbild versagt.
Endlich haben auch eine Reihe von den Wiener
»Jüngsten« ein paar Bilder ausgestellt, die im Vor-
jahre mit andern zusammen eine Sonderausstellung
im Hagenbunde veranstaltet hatten. Faistauer bringt
Porträts und Stilleben. Ich kann keinen großen
Fortschritt gegen seine früheren Bilder bemerken.
Er möchte über den Impressionismus hinaus, es will
ihm aber nicht gelingen. Auch die Farbe ist manch-
mal recht schmutzig. Kolig hingegen, von dem zwei
Stilleben hier sind, ist ähnlich wie Paris von Güters-
loh farblich wieder ein Stück vorwärts gekommen.
Zu den Bildern Egon Schieies kann ich kein Ver-
hältnis finden. Man merkt ihnen allen zu sehr den
Schweiß an, sie haben etwas Angestrengtes, Gewolltes,
man darf sogar sagen Outriertes. Koloristisch sind
sie auch mehr kunstgewerblich-ornamental interessant
als malerisch. Bloß die beiden Landschaften »Herbst-
bäume« und »Winterbäume«, preziöse Linien- und
Flächenspiele, die ein bedeutendes zeichnerisches
Talent beweisen, können das Interesse wach erhalten.
Von Robin Andersen ist außer ein paar amüsanten
Skizzen eine Landschaft in warmem Violett zu erwähnen.
Der interessanteste von den Gästen, der auf seine
weitere Entwicklung neugierig macht, ist ein junger,
in Paris lebender Österreicher, Georg Merkel, dem
fast ein ganzes Zimmer eingeräumt wurde. Er kommt
vom Impressionismus her, ein Bild in Uhdescher Art
zeigt seine Anfänge. Dann schloß er sich an Cezanne
und den frühen Picasso an, wovon ein paar Porträts
Zeugnis ablegen. In den letzten Jahren sucht er
nach einem eigenen Weg, um zu einer neuen ob-
jektiven Formauffassung zu gelangen. Er versucht
noch die verschiedensten Mittel, lehnt sich bald an
die Frühflorentiner, bald an die Deutschen an. In
seinen letzten Kompositionen, »Ein Idyll«, »Mutter,
Kind und Schmetterling«, und besonders »Am Vor-
abend« scheint mir aber doch viel Selbständiges zu
stecken. Mit der primitiven Vereinfachung der Formen
(tritt doch sogar wieder ein fester Baumschlag auf!)
geht eine Intensifizierung der Farbe Hand in Hand.
Ganz reine und leuchtende Farben geben den Bildern
einen tiefen und klingenden Glanz. Die heroische
Landschaft ist wieder die Sehnsucht der jungen
Künstler. Merkwürdig, daß sie sich Italien noch
nicht wieder entdeckt haben!

Von den Kunstsalons hat Miethke eine für Wien
 
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