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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Pariser Ausstellungen
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4--MAI.1912

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

»•««SS«"*

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Hospitalstraße IIa
Neue Folge. XXIII. Jahrgang 1911/1912 Nr. 26. 3. Mai 1912.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Hospitalstraße 11 a. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

PARISER AUSSTELLUNGEN
Ich vermute stark, daß die interessantesten Arbeiten
der diesjährigen Ausstellung der Sociitg nationale jene drei
Skulpturen sind, die man dem Publikum vorenthalten hat.
Denn der Polizeipräfekt Lepine hat, als er vor Eröffnung
des Salons die von der Jury zugelassenen Kunstwerke be-
sichtigte, drei davon als unsittlich ausgemerzt. Das hat
den drei betroffenen Künstlern eine gewaltige Reklame
gemacht, und wenn man ihre Arbeiten in der Ausstellung
belassen hätte, wären ihre Namen sicherlich ganz un-
beachtet geblieben, während sie jetzt von allen Blättern
genannt und ihre Arbeiten von einigen Zeitungen repro-
duziert worden sind. Wenn ich jemals ein Bild in den
Salon schicke, werde ich nicht ermangeln, meine Arbeit
durch einen anonymen Brief an den Polizeipräfekten selbst
als unsittlich zu denunzieren und so die Aufmerksamkeit
des Publikums zu gewinnen, die mir sonst vermutlich ver-
sagt bliebe. Aber da erfinde ich nichts Neues, sondern
wenigstens einem der betroffenen Bildhauer wird wirklich
nachgeflüstert, er habe seine Ausschließung selbst angestrebt
und veranlaßt.

Nach der Vertreibung dieser ungeratenen Söhne aus
dem Tempel ist leider nicht sehr viel übriggeblieben, was
uns lange beschäftigen könnte. Zwar geht die SocieUe
nationale, dieses dereinstige Vorbild aller Sezessionen, das
unter dem Namen des Champ de Mars eine ruhmreiche
Stellung in der modernen Kunstgeschichte behauptet, von
Jahr zu Jahr zurück, aber noch niemals ist dieser Rückgang
oder vielmehr dieser Stillstand deutlicher geworden als im
gegenwärtigen Jahre. Die Leiter dieser Vereinigung haben
sehr Unrecht, daß sie mehr und mehr danach streben, zur
geschlossenen Oesellschaft zu werden. Das mag für die
eigenen materiellen Interessen von einem sehr engen und
beschränkten Standpunkt aus vorteilhaft sein, aber auf die
Dauer muß es der Gesellschaft schaden. Jedes vollberech-
tigte Mitglied hängt seine sechs Bilder an die Wand, jedes
halbberechtigte erscheint mit mindestens einer Arbeit, und
was dann noch an Platz übrig bleibt, ist für die Gäste.
Viel ist das nicht, kaum der zwanzigste Teil des Raumes
wird ihnen überlassen. Nun machen aber diese Gäste, bei
allen schuldigem Respekt, den man den Leitern und Mata-
doren der Societe nationale nicht versagen kann und will,
schließlich beinahe den interessantesten Teil der Veran-
staltung aus, weil man nur von ihnen etwas Neues erwarten
darf, und sie ausschließen, heißt dem Salon einen sehr be-
deutenden Teil seiner Anziehungskraft rauben. Schließlich
wird sich das fühlbar machen. Wenn der Salon sonst
nichts mehr ist als die Markthalle, worin die vereinigten
Fabrikanten von Bildern und sonstigen Kunstwerken ihre
Ware zeigen und den Käufern anbieten, dann wird das
Publikum daheimbleiben und denken, daß die hundert
Paiser Bilderhändler diesem Bedürfnis schon genügend

entsprechen, also daß es der großen Jahresmesse nicht
weiter bedarf.

In anderen Jahren stellte sich wenigstens der eine oder
andere mit einer besonders schönen oder großen Arbeit
ein, die zwar nicht gerade immer ein Markstein in der
modernen Kunst, aber doch wenigstens eine Etappe in
der Entwicklung eines interessanten Künstlers war. Im
gegenwärtigen Jahre gibt es nichts dergleichen. Weder
Besnard noch Roll, weder Oaston Latouche noch Maurice
Denis zeigt etwas, das aus der ebenen Reihe ihrer Ar-
beiten herausträte, und eine ganze Reihe hervorragender
Mitglieder der Societe nationale, wie Lucien Simon, Charles
Cottet, Rene Menard und andere haben überhaupt nicht
ausgestellt. Dazu kommt dann noch das von Jahr zu Jahr
auffallender werdende Ausbleiben der Ausländer, die der
Societe nationale, als man sie noch Champ de Mars nannte,
einen Hauptreiz und sehr viel von ihrem Interesse ver-
liehen. Früher stellten Liebermann und Klinger, Trübner,
Sargent, Alexander, Gari Melchers, Anglada, Walter Crane
und zwanzig andere, deren Namen einen guten Klang
haben, mehr oder weniger regelmäßig in der Societe na-
tionale aus, heute fehlen sie alle, und was an ihrer Stelle
steht, kann nicht als vollkommener Ersatz angesehen werden.

Es ist unter diesen Umständen wenig lohnend, den
Gang durch die weiten Ausstellungsräume zu machen und
von den 2785 ausgestellten Kunstwerken hundert oder fünf-
zig hervorzuheben. Den Ehrenplatz hat diesmal nicht ein
Franzose, sondern der Spanier Zuloaga, über dessen drei
Bilder aber um so weniger zu sagen ist, weil sie schon
vor einem Jahre in Rom ausgestellt waren. Eines davon
ist sogar schon in den »Meistern der Farbe« roproduziert
worden. Keiner der bekannten Führer und Matadoren der
Societe nationale hat ein epochemachendes Werk gesandt,
und es wird genügen, wenn man einfach die Namen Roll,
Besnard, La Touche, Maurice Denis, La Gandara, Boldini,
Aman-Jean, Willette nennt und hinzufügt, daß sie die Aus-
stellung beschickt haben. Besnard stellt das Porträt des
Pianisten Emil Sauer aus, das um der Persönlichkeit des
Dargestellten wie des Darstellers willen genannt werden
muß, aber in der Reihe der Besnardschen Werke keine
hervorragende Stelle einnimmt. Um Besnard zu schätzen,
muß man jetzt in das Musee des Arts decoratifs im Nord-
westflügel des Louvre gehen, wo seine »Glückliche Insel«
ganz ausgezeichnet als Mittelpunkt eines eigens für dieses
Bild eingerichteten Raumes gezeigt wird. Und ebenda muß
man das beste suchen, was Willette als Maler geschaffen
hat. Im heurigen Salon zeigt er ein Bild von ganz ähnlichem
Gedanken, aber geradezu augenzerreißend in der Farbe.
Wie schön ist dagegen sein Parce Domini, das dereinst
im Chat noir hing und jetzt im Musee des arts decoratifs
aufbewahrt wird. Ich neige ein wenig zu dem Verdacht,
daß diese Schönheit zum Teil wenistens den Tabakspfeifen
 
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