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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0218

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wurden, bedenkt man kaum. Besonders für Rom ist die
Regierung Sixtus' V. von der größten Wichtigkeit. Da noch
so vieles am Bau der eigentlichen Kunstgeschichte in dieser
Zeit fehlt, ist es interessant, daß Dr. Orbaan sich ganz ein-
gehend damit beschäftigt hat, die kulturellen und überhaupt
alle die mannigfachen Triebfedern auf Grund von zeit-
genössischen Dokumenten zu prüfen. Aus dieser ein-
gehenden Prüfung ergibt sich, wie tiefgehend in allen
Tätigkeitsformen der Einfluß des neuen Papstes war. Seit
den großen Päpsten der Renaissance, seit Nikolaus V.,
Sixtus IV. und Julius IL hatte es keinen gegeben, der nach
einem so organischen Plan daran gedacht hätte, das römi-
sche Stadtbild zu ändern. Sixtus V. zog die ersten großen
Linien einer Großstadt im modernen Sinne; und nicht nur
neue weite Straßen sollte die große Stadt bekommen,
sondern auch Wasser durch die wieder gebauten Aquädukte.
Dem Papst gelingt es, das Leben Roms aus der Gegend
am Ponte Sant'Angelo, aus den winkligen Quartieren der
Banchi, wo seit den Renaissancejahrhunderten das eigent-
liche Zentrum gewesen war, mehr nach dem hügeligen
Teil zu verschieben, und er hatte einen tüchtigen Mitarbeiter
im großen Architekten Domenico Fontana, über dessen
Projekte und Werke uns Orbaan viel Interessantes zu
berichten weiß. Orbaans Quellen sind außer den Schrift-
stellern der Zeit, die Avvisi Urbinaü der Vatikanischen
Bibliothek und aus dem Vatikanischen Archiv die Bücher
der Tesoreria segreta, die bis jetzt sozusagen unbenutzt
waren, die Tagebücher der Zeremonienmeister Sixtus' V.,
die zeitgenössischen Konsistorialbücher und die Bandi der
Biblioteca Casanatense. Man kann dem schönen Buche
gewiß keinen Vorwurf daraus machen, daß es dem Autor
gelungen ist, das ganze Material organisch zu einem har-
monischen, angenehm lesbaren Bilde zusammenzuformen.
Sicher wird jeder Forscher, der sich mit Sixtus' V. Zeit
beschäftigen will, gut tun, das Buch vorzunehmen. Dr.
Orbaan arbeitet jetzt an einem gleichartigen Buche über
das Pontifikat Clemens'VIII. Fed.H.

Louis Dimier, Les Primitifs francais. Paris, Henri
Laurens, o. J. 2.50 Francs.
Als im Jahre 1904 in Paris die Exposition des Primitifs
frangais eröffnet wurde, sind zahlreiche Zeitschriftenartikel,
wie auch einige Bücher veröffentlicht worden, in denen
man den Versuch gemacht hat, nachzuweisen, daß während
des 15. Jahrhunderts in Frankreich eine bodenständige,
blühende Malerei existiert habe, mit verschiedenen Schulen
und zahlreichen großen Meistern, von denen Werke, wenn
auch wenig zahlreich, auf uns gekommen sind. Am
weitesten ging der verstorbene Organisator der »Primitifs«-
Aussteliung, Bouchot, dessen Buch »Les Primitifs frangais,
1292—1500« das eklatante Beispiel dafür bietet, wie ein
sonst verdienstvoller Gelehrter, durch chauvinistische Be-
geisterung für ein falsches Ideal, verblendet, die größten
Absurditäten als ernsthaft gemeinte wissenschaftliche
»Forschungen« hervorbringen kann. Vielleicht der einzige
Franzose, der schon damals laut seine Stimme gegen das
Fantom einer einheitlichen national-französischen Malschule
des Quattrocento erhob, war Dimier. Nunmehr hat dieser
um die Erforschung der französischen Malerei des 15. und
16. Jahrhunderts hochverdiente Gelehrte die seinerzeit (1905)
in der Zeitschrift »Les Arts« veröffentlichten Aufsätze ver-
einigt und sie erweitert, stellenweise auch modifiziert, —
die die Miniaturmalerei betreffenden Abschnitte sind aus-
geschaltet worden, — neu herausgegeben. Mit der ihm
eigenen kritischen Schärfe wird hier die These begründet,
daß, im Gegensatz zu Italien oder den Niederlanden, Frank-
reich »bis zum 17. Jahrhundert (in der Malerei) nur eine
unregelmäßige und unterbrochene Produktion gekannt hat,

im Laufe deren sich keine sichere Tradition bilden konnte«.
Das zweite wichtige Hauptmoment, das die Bildung einer
nationalen Malerei in Frankreich während des 15. und des
16. Jahrhunderts verhindern mußte, besteht in der Tatsache,
daß hier die Produktion nicht wie sonstwo in den Händen
von einheimischen Künstlern lag, sondern zum größten
Teil von zugewanderten Fremdlingen ausgeübt wurde.

Dimiers Darstellung beginnt um etwa 1300 und endet
mit dem Tod Jean Bourdichons, 1520. Zunächst weist er
nach, daß im Kreise der Großen während des 14. und der
ersten zwei Drittel des 15. Jahrhunderts kaum Bedürfnis
nach einer Großmalerei bestand. Die Aufträge, von denen
die Urkunden betreffs der »berühmten« Maler, wie Girard
und Jean d'Orleans, sprechen, beziehen sich lediglich auf
Anstreicherarbeiten, Fahnenmalereien und ähnliches. Auf-
träge für wirkliche Bilder sind höchst selten. Während der
Regierung Karls V. und am Hofe Jean de Berrys kann man
dann von wirklichem Mäzenentum reden, das jedoch
hauptsächlich die Miniaturmalerei begünstigte. Wo dann
dennoch Aufträge für Tafelmalereien erteilt wurden, wie
am Hof der Burgunder in Dijon, sind es vor allem
Ausländer, meistens Niederländer, denen wir begegnen.
Auf diese Weise ist bis etwa 1450 von einer französischen
Schule in der Tafelmalerei, trotz vereinzelter, zum Teil
qualitativ bedeutender Denkmäler, wie des Porträts des
Königs Johann, des Wilton House-Diptychons usw., von
denen es nicht einmal feststeht, ob sie Arbeiten französi-
scher Künstler sind, kaum zu reden. Nicht viel besser
steht es mit dem hohen Quattrocento, wenn auch damals
in Enguerrand Charton (richtiger Quarton) und in Jean
Fouquet zwei Meister von großer Bedeutung, deren fran-
zösische Abstammung feststeht, wirkten. Bei Charton ist
die niederländische Schulung (oder doch wenigstens die
Abhängigkeit von dieser Schule) augenfällig, und Fouquet
war vor allem Miniaturmaler. Auch sein Stil wurde übrigens
durch fremde, italienische wie niederländische, Einflüsse
gebildet. Die Tafelbilder Fouquets schätzt Dimier zu niedrig
ein, nicht einmal als tüchtigen Porträtisten will er ihn —
und dies zu Unrecht — gelten lassen. Er bemängelt seine
Zeichnung und verurteilt sein wenig gefälliges Kolorit.
Fouquet und Charton blieben ohne nennenswerte Nach-
folge; was nach ihnen bis zum Eindringen der italienischen
Renaissance unter Karl VIII. und Franz I. in Frankreich an
Bildern produziert wurde, ist höchst unbedeutend. Der
Meister von Moulins ist für Dimier kein französischer
Künstler; das ihm zugeschriebene Oeuvre zu wenig ein-
heitlich, als daß es wirklich von einem und demselben
Künstler herrühren könnte.

Dimiers Darstellung ist höchst geschmackvoll und an-
regend, zum größten Teil auch überzeugend. Leider ver-
bot ihm das populäre Gewand des Büchleins, seine kritische
Arbeit ins Einzelne zu führen. Es ist sehr zu hoffen, daß
er dies noch einmal tun wird. m. H. Bemath.

Der burgundische Paramentenschatz des Ordens vom
Goldenen Vließe. Im Auftrag des k. k. Oberstkämmerer-
amtes herausgegeben von Julius v. Schlosser. 2 Tafeln
in Farbendruck, 3 Doppeltafeln und 26 einfache Tafeln
in Lichtdruck. Imper.-Folio in eleg. Mappe. Preis 60 K
(50 M.). Verlag Anton Schroll & Co., Wien, 1912.
Diese sehr verdienstvolle Publikation dürfte für die
Forschung von bahnbrechendem Werte werden. Die Para-
mente, welche die stoffliche Ausrüstung für die missa
solemnis, die Altarbehänge und Priestergewänder umfassen,
stammen im wesentlichen aus der Zeit Philipps des Guten
von Burgund. Seit 1477 sind sie in den Inventaren des
Vließordens aufgeführt; einmal wird auch darin Philipp
der Gute als der Stifter genannt. Es bleibt nur offen, ob
 
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