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Ausstellungen
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mehr noch eine große Zahl von Zeichnungen, die als
Vorarbeiten für neue Kompositionen anzusehen sind, und
von denen ebenfalls das Berliner Kupferstichkabinett einige
besitzt. In Bordeaux endlich entstand die lithographische
Tauromaquia die >Toros de Burdeos«. Die Serie selbst
ist im Jahre 1825 in einer Auflage von 300 Exemplaren
gedruckt worden. Probedrucke, wie sie die Berliner Samm-
lung besitzt, gehören jedoch ebenso wie alle übrigen Stein-
drucke Ooyas zu den größten Seltenheiten. Von den zwei
nicht in die Folge gehörigen Stierkampfbläüern existiert
das eine in nur zwei Drucken in Madrid und Berlin, das
andere ist ein Unikum der Berliner Sammlung.
Leider werden die Ausstellungen des Kupferstichkabi-
netts vom Publikum noch immer nicht genügend beachtet.
Stände diese Goya-Ausstellung an anderer Stelle, so könnte
sie eine zweite Entdeckung des großen Meisters bedeuten.
Ist es doch der Brauch unserer Zeit, aus eben erst ge-
mauerten Thronen die Steine zu brechen, um aus ihnen
die Sockel zu bauen, die man neu emporkommenden
Orößen errichtet. Und Goya gehört zu der Zahl derer,
denen ein dauernder Platz im Ruhmestempel der Kunst
gebührt. Das zeigt diese Ausstellung von neuem.
X Berliner Ausstellungen. Die >Jungmodernen«,
wie man vielleicht nach Analogie der »Jungliberalen« sagen
könnte, regen sich seit einiger Zeit mit wachsender Kraft.
Rings um die Sezession spülen die Wellen der neuen
Strömungen, und wenn die Sezession selbst, mit einer ge-
wissen Zaghaftigkeit, einige Repräsentanten der anrücken-
den Generation aufgenommen hat (wie in Nr. 25 der
»Kunstchronik« dargelegt wurde), so schließen sich die
radikalen Herren von der äußersten Linken zu gleicher
Zeit in eigenen Ausstellungsunternehmungen zusammen.
Die "Neue Sezession* veranstaltete eine Ausstellung von
Zeichnungen und graphischen Arbeiten. Die "Brücket, die
sich mit ihr berührt, stieg — bezeichnenderweise — nicht bei
Cassirer, sondern bei Gurlitt ab. Die Wochenschrift "Der
Sturm«, das wilde Organ der Allermodernsten aus allen
Kunstlagern, mietete sich eine leerstehende Villa in der
Tiergartenstraße und baute darin eine Sammlung ver-
wegenster Dinge auf. Es ist natürlich, daß mit den un-
fertigen Ergebnissen, die hier überall ausgebreitet werden,
noch nicht viel anzufangen ist. Die jungen Herren finden
eine wahre Wollust darin, Indianertänze aufzuführen und
den ruhigen Bürger damit zu erschrecken. Mit dem, was
die Besten von ihnen erstreben, hat dies tolle Gebaren
im Grunde gar nichts zu tun. Sie sehnen sich nach neuen
Farbenstellungen, nach kraftvollen Wirkungen gemalter
Flächen, nach blutvollem koloristischen Ausdruck, nach
Entdeckungen bislang unerprobter Tonabstufungen, Ton-
kontraste, gegenseitiger Tonbeeinflussungen, nach starkem
Zusammenfassen und Aufbau. Diese Sehnsüchte kommen
für mein Gefühl durch alle Unzulänglichkeiten ihrer Ex-
perimente, über die sie gewiß heute nur erst in Ausnahme-
fällen fortgelangen, so impetuos heraus, daß man sich den
Anregungen, die darin stecken, nicht mehr entziehen kann.
Hier werden Zukunftsakkorde angeschlagen, die wohl noch
keine Melodien sind, die aber aus der Weiterentwicklung
der Orchestrierungskunst nicht mehr zu eliminieren sind.
Freilich: es fehlt den Gruppen an einem führenden Genie,
das hinreißend wirkte. Dafür haben die Berliner unter
ihnen wenigstens ein kräftiges Talent zur Verfügung: Max
Pechstein, der eben jetzt zeigt, daß er sich durch den Brei
des Radikalismus durchzubeißen beginnt. Aus seinen gelb-
grünen Frauenakten mache ich mir nichts. Aber dies Porträt
eines jungen Mannes gegen grüne und gelbe Vorhänge, dies
Interieur mit den drei nackten Weibern — das sogar schon
aus der Fläche in den Raum geht — diese Dorfhäuser mit
der ansteigenden Wiese im Vordergrund, diese Frauen am
Meer, der Kopf in Aquarell und andere Arbeiten, die er
jetzt anbringt, beweisen sein Weiterkommen und bieten
eine Fülle neuartiger und interessierender malerischer Vor-
schläge. Im übrigen ist bei den Brückenmännern, unter
denen Pechstein regiert, noch nicht viel Persönliches zur
Stelle. Diese Embryonen, Urwaldmenschen, Orang-Utangs
und Pitekanthropoi, die da herumsitzen und menschliche
Gestalten darstellen wollen, sind zumeist gräulich, und
man muß sich mit den Farbenkompositionen begnügen, die
z. B. Kirchner und Meckel, oft mit feinem Gefühl, öfter roh
und unkultiviert, dabei ersinnen. Der Roheste ist Schmidt-
Rottluff, der noch tief im zähesten Öl sitzt. Der Sanfteste
Otto Mueller, der sich nur oft mit Gewalt unsanft gebärdet.
Das alles enthält nur in seltenen Fällen etwas Positives.
Und dennoch wird sich das, was diese Maler wollen oder
möchten, nicht mehr ausradieren lassen. Ob es nun von
ihnen selbst oder erst von anderen in Taten umgesetzt wird.
Von den Darbietungen der »Neuen Sezession« kommen
dann vor allem die interessanten farbigen Holzschnitte von
Moriz Melzer, die fein empfundenen Zeichnungen und
Radierungen von H.). Bengen und die Lithographien von
Georg Tappert in Betracht. Auch Neulinge sind vorhanden,
wie der hochbegabte August Macke aus Bonn, der zum
Teil noch Anschluß an den älteren Impressionismus sucht,
zum Teil neue Farben- und Stilgedanken erprobt (wie in
einer ungemein feinen »Flucht nach Ägypten«). Unter den
Männern, die der »Sturm« unter seine Flügel genommen,
ragt der ehrlich verdrehte, aber wahrhaft talentvolle Oskar
Kokoschka aus Wien hervor. Er hat in seinen verzückten
und verrückten Zeichnungen etwas vom echten Taumel des
künstlerischen Wahnwitzes, von einer ungemachten Ekstase
der Linien und Formen. Oft kann man sich vor seinen
Blättern schief lachen, wie etwa vor dem mit dem komischen
Titel: »Der Erstebeste darf der süßen Lilith das Haar
kämmen«, auf dem ich kaum etwas zu erkennen vermag.
Aber dann wieder treibt er ein so souveränes Spiel mit
den spukhaften Erzeugnissen seiner rumorenden Phantasie,
daß man sich gefesselt fühlt. Seine Ölporträts rücken sämt-
lich an die Grenze der Karikatur; und doch lebt darin eine
Witterung für das innerste Wesen menschlicher Persönlich-
keiten, daß man fast erschrickt. Im Gegensatz zu Kokoschka,
der sich seinen ungebändigten Instinkten überläßt, stehen
andere, die sich in Theorien und doktrinäre Systeme ein-
spinnen. Ihr Prototyp ist W. Kandinsky in München, der
sich eine »geistige* Malerei ausgeheckt hat, in der sein
ursprünglicher Farbensinn fast rettungslos versinkt. Dies
Dogmatische, Theoretische, das ja auch im französischen
»Kubismus« steckt, ist der schlimmste Feind der herauf-
steigenden Jugend. Sie beschwert sich mit Grübeleien,
die sie experimentell erprobt, statt daß sie lediglich
ihren Farbenvorstellungen folgt und ihrer besonderen Art,
sich von den Erscheinungen der Natur anregen zu lassen.
Aber trotzdem und dennoch: hier ruhen massenhaft ertrag-
fähige Keime, die nur in Ruhe und harter Selbstzucht ent-
wickelt werden müßten, um Früchte zu tragen. Nur: man
lasse die jungen Herren sich austollen, man begegne ihnen
nicht mit denselben Argumenten, mit denen man immer
und überall Neuerer verhöhnen zu können glaubte, man
gönne ihnen Zeit und werfe ihnen keine Steine in den
Weg! m. O.
Zu Ehren von Eugen Bracht wird am 3. Juni in
sämtlichen Räumen der Galerie Ernst Arnold, Dresden
eine größere Ausstellung von Gemälden usw. veranstaltet,
welche die ehemaligen Schüler des Meisters aus Anlaß des
70. Geburtstages seit langem vorbereitet haben. Eine be-
sondere Jury hat in Berlin, Dresden usw. vorgearbeitet, um
das Gelingen dieser Ausstellung zu gewährleisten.
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mehr noch eine große Zahl von Zeichnungen, die als
Vorarbeiten für neue Kompositionen anzusehen sind, und
von denen ebenfalls das Berliner Kupferstichkabinett einige
besitzt. In Bordeaux endlich entstand die lithographische
Tauromaquia die >Toros de Burdeos«. Die Serie selbst
ist im Jahre 1825 in einer Auflage von 300 Exemplaren
gedruckt worden. Probedrucke, wie sie die Berliner Samm-
lung besitzt, gehören jedoch ebenso wie alle übrigen Stein-
drucke Ooyas zu den größten Seltenheiten. Von den zwei
nicht in die Folge gehörigen Stierkampfbläüern existiert
das eine in nur zwei Drucken in Madrid und Berlin, das
andere ist ein Unikum der Berliner Sammlung.
Leider werden die Ausstellungen des Kupferstichkabi-
netts vom Publikum noch immer nicht genügend beachtet.
Stände diese Goya-Ausstellung an anderer Stelle, so könnte
sie eine zweite Entdeckung des großen Meisters bedeuten.
Ist es doch der Brauch unserer Zeit, aus eben erst ge-
mauerten Thronen die Steine zu brechen, um aus ihnen
die Sockel zu bauen, die man neu emporkommenden
Orößen errichtet. Und Goya gehört zu der Zahl derer,
denen ein dauernder Platz im Ruhmestempel der Kunst
gebührt. Das zeigt diese Ausstellung von neuem.
X Berliner Ausstellungen. Die >Jungmodernen«,
wie man vielleicht nach Analogie der »Jungliberalen« sagen
könnte, regen sich seit einiger Zeit mit wachsender Kraft.
Rings um die Sezession spülen die Wellen der neuen
Strömungen, und wenn die Sezession selbst, mit einer ge-
wissen Zaghaftigkeit, einige Repräsentanten der anrücken-
den Generation aufgenommen hat (wie in Nr. 25 der
»Kunstchronik« dargelegt wurde), so schließen sich die
radikalen Herren von der äußersten Linken zu gleicher
Zeit in eigenen Ausstellungsunternehmungen zusammen.
Die "Neue Sezession* veranstaltete eine Ausstellung von
Zeichnungen und graphischen Arbeiten. Die "Brücket, die
sich mit ihr berührt, stieg — bezeichnenderweise — nicht bei
Cassirer, sondern bei Gurlitt ab. Die Wochenschrift "Der
Sturm«, das wilde Organ der Allermodernsten aus allen
Kunstlagern, mietete sich eine leerstehende Villa in der
Tiergartenstraße und baute darin eine Sammlung ver-
wegenster Dinge auf. Es ist natürlich, daß mit den un-
fertigen Ergebnissen, die hier überall ausgebreitet werden,
noch nicht viel anzufangen ist. Die jungen Herren finden
eine wahre Wollust darin, Indianertänze aufzuführen und
den ruhigen Bürger damit zu erschrecken. Mit dem, was
die Besten von ihnen erstreben, hat dies tolle Gebaren
im Grunde gar nichts zu tun. Sie sehnen sich nach neuen
Farbenstellungen, nach kraftvollen Wirkungen gemalter
Flächen, nach blutvollem koloristischen Ausdruck, nach
Entdeckungen bislang unerprobter Tonabstufungen, Ton-
kontraste, gegenseitiger Tonbeeinflussungen, nach starkem
Zusammenfassen und Aufbau. Diese Sehnsüchte kommen
für mein Gefühl durch alle Unzulänglichkeiten ihrer Ex-
perimente, über die sie gewiß heute nur erst in Ausnahme-
fällen fortgelangen, so impetuos heraus, daß man sich den
Anregungen, die darin stecken, nicht mehr entziehen kann.
Hier werden Zukunftsakkorde angeschlagen, die wohl noch
keine Melodien sind, die aber aus der Weiterentwicklung
der Orchestrierungskunst nicht mehr zu eliminieren sind.
Freilich: es fehlt den Gruppen an einem führenden Genie,
das hinreißend wirkte. Dafür haben die Berliner unter
ihnen wenigstens ein kräftiges Talent zur Verfügung: Max
Pechstein, der eben jetzt zeigt, daß er sich durch den Brei
des Radikalismus durchzubeißen beginnt. Aus seinen gelb-
grünen Frauenakten mache ich mir nichts. Aber dies Porträt
eines jungen Mannes gegen grüne und gelbe Vorhänge, dies
Interieur mit den drei nackten Weibern — das sogar schon
aus der Fläche in den Raum geht — diese Dorfhäuser mit
der ansteigenden Wiese im Vordergrund, diese Frauen am
Meer, der Kopf in Aquarell und andere Arbeiten, die er
jetzt anbringt, beweisen sein Weiterkommen und bieten
eine Fülle neuartiger und interessierender malerischer Vor-
schläge. Im übrigen ist bei den Brückenmännern, unter
denen Pechstein regiert, noch nicht viel Persönliches zur
Stelle. Diese Embryonen, Urwaldmenschen, Orang-Utangs
und Pitekanthropoi, die da herumsitzen und menschliche
Gestalten darstellen wollen, sind zumeist gräulich, und
man muß sich mit den Farbenkompositionen begnügen, die
z. B. Kirchner und Meckel, oft mit feinem Gefühl, öfter roh
und unkultiviert, dabei ersinnen. Der Roheste ist Schmidt-
Rottluff, der noch tief im zähesten Öl sitzt. Der Sanfteste
Otto Mueller, der sich nur oft mit Gewalt unsanft gebärdet.
Das alles enthält nur in seltenen Fällen etwas Positives.
Und dennoch wird sich das, was diese Maler wollen oder
möchten, nicht mehr ausradieren lassen. Ob es nun von
ihnen selbst oder erst von anderen in Taten umgesetzt wird.
Von den Darbietungen der »Neuen Sezession« kommen
dann vor allem die interessanten farbigen Holzschnitte von
Moriz Melzer, die fein empfundenen Zeichnungen und
Radierungen von H.). Bengen und die Lithographien von
Georg Tappert in Betracht. Auch Neulinge sind vorhanden,
wie der hochbegabte August Macke aus Bonn, der zum
Teil noch Anschluß an den älteren Impressionismus sucht,
zum Teil neue Farben- und Stilgedanken erprobt (wie in
einer ungemein feinen »Flucht nach Ägypten«). Unter den
Männern, die der »Sturm« unter seine Flügel genommen,
ragt der ehrlich verdrehte, aber wahrhaft talentvolle Oskar
Kokoschka aus Wien hervor. Er hat in seinen verzückten
und verrückten Zeichnungen etwas vom echten Taumel des
künstlerischen Wahnwitzes, von einer ungemachten Ekstase
der Linien und Formen. Oft kann man sich vor seinen
Blättern schief lachen, wie etwa vor dem mit dem komischen
Titel: »Der Erstebeste darf der süßen Lilith das Haar
kämmen«, auf dem ich kaum etwas zu erkennen vermag.
Aber dann wieder treibt er ein so souveränes Spiel mit
den spukhaften Erzeugnissen seiner rumorenden Phantasie,
daß man sich gefesselt fühlt. Seine Ölporträts rücken sämt-
lich an die Grenze der Karikatur; und doch lebt darin eine
Witterung für das innerste Wesen menschlicher Persönlich-
keiten, daß man fast erschrickt. Im Gegensatz zu Kokoschka,
der sich seinen ungebändigten Instinkten überläßt, stehen
andere, die sich in Theorien und doktrinäre Systeme ein-
spinnen. Ihr Prototyp ist W. Kandinsky in München, der
sich eine »geistige* Malerei ausgeheckt hat, in der sein
ursprünglicher Farbensinn fast rettungslos versinkt. Dies
Dogmatische, Theoretische, das ja auch im französischen
»Kubismus« steckt, ist der schlimmste Feind der herauf-
steigenden Jugend. Sie beschwert sich mit Grübeleien,
die sie experimentell erprobt, statt daß sie lediglich
ihren Farbenvorstellungen folgt und ihrer besonderen Art,
sich von den Erscheinungen der Natur anregen zu lassen.
Aber trotzdem und dennoch: hier ruhen massenhaft ertrag-
fähige Keime, die nur in Ruhe und harter Selbstzucht ent-
wickelt werden müßten, um Früchte zu tragen. Nur: man
lasse die jungen Herren sich austollen, man begegne ihnen
nicht mit denselben Argumenten, mit denen man immer
und überall Neuerer verhöhnen zu können glaubte, man
gönne ihnen Zeit und werfe ihnen keine Steine in den
Weg! m. O.
Zu Ehren von Eugen Bracht wird am 3. Juni in
sämtlichen Räumen der Galerie Ernst Arnold, Dresden
eine größere Ausstellung von Gemälden usw. veranstaltet,
welche die ehemaligen Schüler des Meisters aus Anlaß des
70. Geburtstages seit langem vorbereitet haben. Eine be-
sondere Jury hat in Berlin, Dresden usw. vorgearbeitet, um
das Gelingen dieser Ausstellung zu gewährleisten.