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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Bayersdorfer, W.: Die Tschudispende
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0253

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Die Tschudispende

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italienischen Landschaftsveduten und einer märchen-
artigen Szene in ziemlich matten, gedämpften Tönen.
Mit vier kleinen Landschaften ist der Pointiiismus Signacs
vertreten und in seinem Oefolge finden wir Theo Ryssel-
berghe und Edm. Cross mit verwandten Arbeiten
gleicher Gattung. Das Hauptaugenmerk aber wendet
sich nun den drei Anregern der jüngsten Malerei zu,
Cezanne mit einem Selbstporträt, einem großen Apfel-
stilleben und einer Landschaft (Bahndurchstich bei
Aix), van Gogh mit den (aus dem persönlichen Nach-
laß Tschudis erworbenen) »Pappeln bei Arles« und
einem Stilleben gewaltiger »Sonnenblumen« und Gau-
guin, dessen Blick in eine Tahitische Hütte mit einem
dunkelblaugekleideten Indianermädchen auf gelbem
Lager vielleicht ein ähnlicher Wert und Einfluß auf
die Entwicklung der modernen Malerei zuzuerkennen
ist, wie Manets 27 Jahre früher entstandenem »Frühstück
im Atelier«. Von Gauguin enthält die Kollektion
auch eine in gemäßigteren Tönen gehaltene Landschaft,
die nicht ganz die Höhe des vorerwähnten Meisterwerks
zu halten vermag. Als ein »vorläufiger« Schlußstein
der ganzen Entwicklung malerischen Sehens, wie sie
in der »Tschudispende« — so lautet jetzt der offi-
zielle Titel — veranschaulicht ist, fällt dann ein
sehr stark farbiges Stilleben von H. Matisse auf, der
auch als Bildhauer mit einem männlichen Akt ver-
treten ist, worüber ich mich der Kritik an dieser
Stelle enthalten möchte. Aus früheren Perioden der
eben genannten Entwicklung enthält die Stiftung drei
prachtvolle Landschaften von Constable, darunter eine,
die den Meister selbst im Vordergrund mit seinem
Malwagen zeigt, einen mittelmäßigen Georges Michel
und Daumiers berühmtes, das Mienenspiel im Antlitz
derZuschauer fast bis zur Karikatur steigerndes »Drama«.
Eine große Studie Hodlers zu seinem Jenenser Universi-
tätsbild ist schließlich der einzige Repräsentant deut-
scher Kunst, denn auch in den plastischen Werken —
Rodin, »Kauernde Negerin«, »Porträt Gustav Mahlers«,
Maillol, »Stehender Jüngling«, »Bildnis Renoirs«,
»Weiblicher Kopf« und George Minne mit drei Ar-
beiten, die von gesundem Empfinden schon recht er-
heblich abweichen — haben die Franzosen und Aus-
länder allein das Wort.

Man würde der Wahrheit nicht die Ehre geben,
wollte man wiederholen, was schon in Aufsätzen über
die Tschudispende zu lesen war, daß sie nur Werke
ersten Ranges enthalte. Ich möchte verschiedenen
der Bilder und Plastiken ein solches Prädikat nicht
zugestehen und glaube trotzdem den Wert der Samm-
lung nicht herabzusetzen. Allein die Constable, Dau-
mier, Courbet, Manet, Monet, Gauguin und Rodin
bedeuten eine derartige Bereicherung der bayrischen
Sammlungen und sind von solcher Qualität, daß einige
Bilder zweiten oder dritten Ranges für die Einschätzung
des Ganzen kaum mehr in Betracht kommen können.
Wie bekannt war die Mehrzahl dieser Kunstwerke
Tschudi von verschiedenen Händlern reserviert worden,
bis die Flüssigmachung der nötigen Mittel eine end-
gültige Aufnahme in die Neue Pinakothek ermöglicht
hätte. Sein früher Tod stellte die Verwirklichung
der gesamten großen Pläne, mit denen er sich ge-

tragen, in Frage und auch diese Auslese französischer
Malerei schien München verloren gehen zu sollen,
als Tschudis Assistent, Konservator Dr. Braune,
mit größtem Eifer werben ging und tatsächlich in
kürzester Zeit bei Freunden und Verehrern des Ver-
storbenen die Summen aufbrachte, die es ermöglichten,
die ganze Sammlung und noch etwas mehr dem
bayrischen Staate zum Andenken an Tschudi zu er-
halten. Er hat sich damit ein großes, unbestreitbares
Verdienst erworben und darf des Dankes der Mün-
chener Kunstfreunde in gleicher Weise versichert sein
wie die hochherzigen Stifter, die durch ihre Freigebigkeit
Tschudi ein schönes Denkmal gesetzt haben.

Die Tschudispende gibt über ein großes Gebiet
französischer Malerei einen trefflichen Uberblick, sie
kann aber nicht lückenlos genannt werden und so
erhebt sich die Frage, ob der nun vorhandene Grund-
stock weiter ausgebaut werden soll oder ob man sich
mit dem bisher Erreichten — außer den schon er-
wähnten dürften übrigens noch einige andere Werke
nachträglich in die Stiftung aufgenommen werden —
zufrieden geben will. Es gibt in Deutschland zahl-
reiche Stimmen, die gegen die starke Bevorzugung
französischer Kunst sind und man muß ihnen insofern
bis zu einem gewissen Grade Recht geben, als viel-
fach die besten und eigenartigsten einheimischen Meister
in unseren Galerien entweder noch gar nicht oder
doch in vollkommen ungenügender Weise vertreten
sind. Tschudi hat auch da in Berlin Wandlung ge-
schaffen und einer großen Anzahl bisher nicht allzu
geachteter Künstler die Tore der Nationalgalerie ge-
öffnet. In München, wo die Neue Pinakothek in
erster Linie eine Sammelstätte bedeutender Werke süd-
deutscher Provenienz sein sollte, hatte er gleichfalls
mit einer ähnlichen Reorganisation begonnen wie
seine Ankäufe deutscher Maler, namentlich solcher,
die ihre Entwicklung in München durchgemacht haben,
beweisen. Seinem Nachfolger wird in dieser Hinsicht
jedoch noch viel zu tun übrig bleiben und man
darf wohl erwarten, daß er sein Hauptaugenmerk zu-
nächst der Ausfüllung der zahlreich bestehenden Lücken
zuwenden wird. Muß doch zum Beispiel der Besitz
der Neuen Pinakothek an Werken der großen deut-
schen Idealisten des 19. Jahrhunderts, Böcklin, Feuer-
bach, Thoma und ihrer Geistesverwandten, ein geradezu
schmählich geringer genannt werden. Karl Haider
vollends ist zurzeit überhaupt mit keinem einzigen
Werk vertreten und hätte doch ein größeres Recht,
ein Dutzend seiner tiefempfundenen Arbeiten hier
hängen zu haben, wie unsere berühmten Malgötter
Lenbach und Genossen. Liegen in der Beseitigung
dieser Mißstände Hauptaufgaben für den kommenden
Mann, heiße er nun Dörnhöffer oder wie sonst, so
müßte man es doch andrerseits als sehr bedauerlich
bezeichnen, wenn nicht gleichzeitig, eben mit Hilfe
von Stiftern, der durch die Tschudispende geschaffene
Grundstock französischer Malerei weiter ausgebaut
würde. Denn gerade München hat ein Anrecht auf
einen reichhaltigeren Besitz an Schöpfungen der sub-
tilen Farbenkunst unserer westlichen Nachbarn, denn
hier ansässige Maler waren die ersten Vermittler der-
 
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