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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Schumann, Paul: Ausstellung für Kunstunterricht, Zeichnen und angewandte Kunst Dresden 1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0325

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Ausstellung für Kunstunterricht, Zeichnen usw. Dresden igi2

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gewandelt, wie der Zeichen- und Kunst- (mindestens
der kunstgewerbliche) Unterricht. Zwei sehr inter-
essante geschichtliche Sonder-Ausstellungen gaben ein
Bild der Entwicklung dieses Unterrichts im 19. Jahr-
hundert. Im Anfang des Jahrhunderts war der Zeichen-
unterricht Privatsache; akademisch gebildete Maler
und Zeichner unterrichteten, indem sie nach Stichen
und Zeichnungen von Künstlerhand — Landschaften,
Figuren, Blumen und Fruchtstücken —• kopieren ließen.
Ooethe gründete bekanntlich damals eine noch heute
bestehende freie Zeichenschule zu Weimar mit dem
Zweck, das freie Zeichnen zu pflegen zur Ergänzung
der sonstigen allgemeinen Bildung. Im sächsischen
Volksschulgesetz von 1835 tritt das Zeichnen zum
erstenmal als Unterrichtsfach auf und zwar als wahl-
freies. Aber auch dieser Unterricht bestand in der
Hauptsache im Kopieren, im mechanischen Abzeichnen
von Vorlagen. Versuche einzelner weitschauender
Pädagogen im Zeichnen nach der Natur blieben
ohne Folgen; ebenso die Lehrpläne, die neben dem
Nachzeichnen von Vorlagen auch das Darstellen von
Gegenständen nach der Natur forderten. Von Leipzig
aus brachte die geistbildende anregende Methode
Flinzers Besseres, in Dresden aber führte die 1875
gegründete Kgl. Kunstgewerbeschule zur Herrschaft
des Ornamentzeichnens und der Betonung der Technik,
während die Auffassungskraft nicht in gleichem Maße
berücksichtigt wurde. Eine Umwälzung auf diesem
so einseitig erbauten Gebiete bereiteten Georg Hirths
Ideen über Zeichenunterricht vor; andere Theoretiker
schlössen sich an und forderten engeren Anschluß an
die Natur, sowie an Stelle der peinlich säubern Technik
das freie Skizzieren. Die energisch verfochtenen neuen
Bestrebungen der Hamburger Lehrer und der erste
Kunsterziehungstag in Dresden gaben dann den Aus-
schlag zu einer vollständigen Umwälzung im Zeichen-
unterricht. "Seitdem herrscht auf diesem Gebiete eine
fast stürmische Bewegung, ein reger Wetteifer wie
nie zuvor. Ganz neue Gedanken traten auf: Zeichnen
wird nicht mehr als Technik betrachtet, sondern als
Ausdrucksmittel mit gleicher Berechtigung wie Sprache
und Schrift, beiden in mancher Beziehung überlegen.
Man fängt an, die früher als komische Äußerungen
kindlichen Unvermögens angesehenen Kinderzeich-
nungen eingehend zu studieren und die freie Kinder-
zeichnung in der Schule zu pflegen. Man beginnt
einzusehen, daß Zeichnen nicht ein Talent besonders
begabter Kinder ist, sondern eine Fähigkeit, die als
Ausdrucksmittel jedem gegeben, ist, daß man das an-
schauliche Denken gegenüber dem abstrakten Denken
und der logisch-grammatischen Schulung in unver-
antwortlicher Weise vernachlässigt hat, daß die Fähig-
keit klaren zeichnerischen Ausdrucks genau so aus-
gebildet werden kann und muß, wie der klare sprach-
liche Ausdruck, daß also dem Zeichnen im Lehrplan
aller Schulen bis hinauf zur Universität eine ganz
andere Stellung gegeben werden muß wie bisher.

Gelten diese Gedanken und Bestrebungen ganz
allgemein der Bildung sämtlicher Menschen, somit
den allgemein bildenden wie den Fachschulen, so
kommt für die Fachschulen, besonders für die kunst-

gewerblichen, als Hauptfrage das Stilisieren hinzu.
Die Entwicklung dieses Zeichnens mit kunstgewerb-
lichen Zielen veranschaulichte eine umfängliche Sonder-
ausstellung des Chemnitzer Kunstgewerbezeichners
Oskar Häbler mit dem Kennwort »Das Naturstudium
im 19. Jahrhundert, Pflanzen und Tiere«. Pariser
Arbeiten aus dem Anfang des Jahrhunderts zeigten
jene peinliche Naturwiedergabe, die in damaliger Zeit
als mustergültig geschätzt wurde. Die einläßliche liebe-
volle Naturbetrachtung blieb auch in den folgenden
Jahrzehnten beliebt, wie die Arbeiten des Nestors der
deutschen Musterzeichner Prof. Krumbholtz sowie
seiner Zeitgenossen und Schüler erkennen ließen.
Bemerkenswert ist, daß sich nach Blättern von
J. G. Häbler von 1839 die Vermenschlichung von
Pflanzen und Pflanzenteilen findet, über die wir
Heutigen uns bei Walter Crane und Ernst Kreidolf
erfreuen. Die Ausstellung zeigte weiter, daß bis 1850
ja bis 1870 sich die Naturauffassung nicht ändert.
Erst dann beobachtet man eine etwas breitere Art der
Darstellung, wobei sich die Künstler zugleich be-
mühen, die farbigen Reize des Modells mehr zur
Geltung zu bringen. Ein entschiedener Umschwung
macht sich um 1900 geltend: man sieht in den Ent-
würfen der Kunstzeichner die Zerlegung der Farben
in Teilfarben, man sieht den Einfluß der japanischen
Vorbilder in der freien Dekoration der Flächen, man
sieht die Stilisierung der Naturformen in allen mög-
lichen Arten, wie sie noch heute üblich ist.

Ganz andere Wege geht naturgemäß das Schrift-
studium, dessen Ergebnisse in der Sonderabteilung
»Erste internationale Schriftausstellung« enthalten waren.
Hier trat das Naturstudium ganz zurück, aber das
Gefühl für Raumverteilung, Verhältnisse, schmückende
Wirkung mit und ohne Ornament fast immer ge-
regelt durch die Forderung der Leserlichkeit führte
zu vortrefflichen Leistungen. Wie die Bestrebung auf
alte Vorbilder (England) oder auf selbständige Ent-
wicklung zu neuen Formen (Österreich, Deutschland)
hinauslaufen, des weiteren auszuführen, würde einen
besonderen Aufsatz erfordern.

Eine einläßliche Betrachtung und Beurteilung aller
einzelnen Schulen an dieser Stelle ist des beschränkten
Raumes wegen unmöglich, wir müssen uns auf ein-
zelne Bemerkungen beschränken. Der Jugendkunst
war eine überaus anregende, geradezu verblüffende
umfangreiche Sonderausstellung des Wiener Professors
Czisek gewidmet. Er ist Lehrer an der Kunstgewerbe-
schule des k. k. österreichischen Museums für Kunst
und Industrie in Wien. 1903 wurde dort eine Lehr-
amtskandidatenschule errichtet, eine Übungsschule, aus
der sich eine Experimentalklasse entwickelte. Es werden
neue Methoden erprobt und die Grundlagen des
Zeichnens erforscht. Endlich wurde eine Klasse für
Jugendkunst eröffnet. In diese Klasse werden Schüler
und Schülerinnen .von 6 bis 14 Jahren aufgenommen
ohne Rücksicht auf Begabung einfach in der Reihe
der Anmeldung bis zu 40. Die Aufgenommenen
werden Sonnabends von 2—4 Uhr und Sonntags
10—12 Uhr unentgeltlich unterrichtet, alles Arbeits-
material liefert die Schule kostenlos, alle Ergebnisse
 
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