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Alt-rviener-Service ersteht und im ^erbst einen Ab-
stecher nach Florenz gemacht hat, — was wollen
denn die Leute noch mehr? Überdies inalt Tante
Marie selber und Loufine Bertha arbeitet in kjolz-
brenntechnik.

Lbenso wie der s)rivate, die Familie, verhält sich
aber auch das öffentliche Vesen zur Runst und was
dazu gehört. Auch hier ein gewaltiges, geräuschvolles
Gebahren, ein Getreibe und enormes wichtigthun,
ein umfangreicher Apparat von ernsthaftestem Anschein
und eigentlich kein inneres, wahres Verlangen nach
der Sache, kein Bedürfnis, sondern nur eine Abfertigung
anstandshalber, weil nunmehr schon ein gar so großes
Geschrei davon gemacht wird und die vernachlässigung
dieser Dinge Linem zu einem sehr blamablen vor-
wurfe gereichen würde. s)n Anbetracht dessen haben
nun Staat und Rommune ihre Runstdepartements,

Sektionen, Neferenten, Rommissionen, Lnqueten, Sach-
verständige und Lxperten. Ls werden Sitzungen ge-
halten, protokolle verfaßt, schwungvolle Neden von
dem hohen werte der Runst sür die volksbildung,
die Sittenveredlung, das Gemeinwohl gehalten; die
sZournale preisen dann den Gemeinderat A. und den
Sektionsrat B. als feingebildete üenner, letzte ksorte
des Geschmacks gegen die um sich greifende verrohung;
es werden Aonkurrenzen ausgeschrieben, Denkmäler-
Aufträge vergeben, Aünstler-Stipendien verteilt und
der Lserr Gemeinderat sagt Abends zu seiner Frau:
«Gott sei Dank, daß wir nun für das dumms Liessing-
Monument endlich ein j)lätzchen gesunden haben; von
mir aus hätten sie es übrigens auch nach Siemering
stellen können. Den Maler habe ich auch glücklich
angebracht, der mich schon drei Iahre sekkirt, daß
man ins Rathaus doch die berühmten Männer malen

Nbb. so. Ikom.identcpptcb aus Dagbestn». N»s Ikiegts „Nltonentaltsckcn tleppicbcn".

solle. Lndlich habe ich zwölftausend Gulden vom
Viehmarkt-Budget abgezwackt, jetzt wird die arme
Seele doch einmal Nuhe haben! And von morgen
an kann man sich doch endlich wieder etwa ver-
nünftigem zuwenden; ich muß die Rede meines Rollegen
L. durchstudiren, die er vorige woche in der kvähler-
versammlung des Bezirks gehalten hat, und den
Bürgermeister interpelliren wegen der darin vor-
kommenden aggressiven Ausdrücke gegen meine partei.
— lvas hat denn das Mädel heute Abend gemacht,
Llise?» «Wir waren im Museum bei der vorlesung
des professors D.!» «Bei dem Schwefler? lvas
hat er denn zusammengeschwatzt?» «Lr hat gesagt,
daß in den alten Zeiten die Förderung der Rünste
der elenden Rrücke der Staats- und sonstigen öffent-
lichen Hilfe nicht bedurfte, sondern aus dem verständnis
und Bedürfnis des volkes ihre kräftigste Nahrung

^ sog.» «Dummes Zeug! Soll sroh sein, wenn ich
ein paar tausend Gulden sür die patzereien heraus-
schlage, die ihm so am Herzen liegen; und dann soll
er denken, daß einem Manne, der das zuwege bringt,
schon lange ein Orden gebühren würde, der Lsunger-
leider! Gute Nacht, Llise!»

Lin Neubau soll ausgeführt werden. Der Bau-
herr wird mit Fragen bestürmt. «Zn welchem Stile
scll es denn werden?» «Doch gewiß deutsche
Nenaissance? das ist die Runstweise der Nation!»
«Nein gotisch! das ist der poetischeste aller Stile!»
«was Zhnen nicht einfällt! Gotisch ist kirchlich-ultra-
montan; dem Zeitgeist entspricht nur flottes Rokoko!»
«Lmpire wäre vornehmer, es ist der eigentlich aristo-
kratische Stil!» Lndlich entschließt sich der Bedrängte
für irgend etwas. Der Architekt nimmt sich zusammen,
er will etwas recht Gediegenes, Tadelloses zuwege

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