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ernste öinweisung auf ein neues Leben, für das der
Tod nur den Übergang bildet. Der griechische Be-
gräbnisplatz ist umdrängt vom heiteren Leben, das
sich hier in aller Unbefangenheit entwickelt, der christ-
liche abgeschlossen und von der Welt abgekehrt. Danu
ging der Redner zur Betrachtung der Friedhöfe in
den modernen Großstädten über, ui:d faßte uament-
lich den Zentralfriedhof in Wien mit seinen alle Zeiten
und ^tilbauten umfassendeu Lormen ins Zluge. Lehr-
reicher als anderswo zeigt sich hier an den Grab-
stätten ein Sxiegelbild des modernen Lebens und
sein verhältnis zur Ruust. Zn der bunten Menge
herrscht der Gbelisk vor, die Verleugnung jedes künst-
lerischen Gedankens. Tr wird nicht allein wegen
der Billigkeit gewählt, nein, auch weil diese Lorm
uach 2lußeu am weuigsten von der Stellung des
Menschen zum Tode verrät und namentlich dem re-
ligiösen Bekenntnis stunnn ausweicht. Die Überhand-
nahme des ausdruckslosen Gbelisken zeigt aber auch,
daß uusere Zeit trotz aller Beschäftigung mit der
Runst kein Lserz sür sie hat und kein vertrauen iu
ihre trösteude üraft. Zm Gegensatz zu diesem Zdeal
der glaubenslosen Denkmäler steht der Tchxms der
srommgläubigen, die sich in gotischeu Steiumetzarbeiten
vom einfachen pfeiler bis zum kuustvolleu thurm-
artigen Zlufbau und der gotischen Rapelle bewegen.
Bei diesen treten Skulptur und Malerei ganz hinter
die Zlrchitektur zurück. Auch diese Nichtuug steht der
zeitgeuössischeu üuust fremd gegenüber, sieht sie nur
als Dieneriu ihrer religiösen Anschauung an und hat
kein vertrauen in ihren Trnst. Ls wird zwar viel
versucht, die religiöss Anschauung mit der modernen
Tnrpfindung in Tinklang zu bringen; aber da tritt
in den meisten Lällen eine ksalbheit zutage, welche
sich in Allgemeinheiten und unbestimmten Gestalten
gesällt. Für diese ülasse sind die vielbeliebten Tngel
besonders bezeichnend, die meist schlechteste Arbeit sind.
Selten giebt ein Aunstwerk die religiöse Zdee ergreifend
wieder. Zahlreicher, als die Grabmäler, die dem
überirdischen Gefühl entsprechen, sinden sich solche,
die den Tharakter des Grabmals als Werk dcr
Pietät aufsassen und deir Verstorbenen in Verbiudung
mit den bsinterbliebenen setzen; bei diesen sind gleich-
sam die Gefühle der Überlebendcn Gegenstand der
Darstellung. Diese zerfallen iu zwei Abteiluugeu: in
Allegorien und iu die Darstelluug der bsiuterbliebeueu
selbst. Die Allegorien zeigen entweder die Bedeutung
des Verstorbenen an, wie bei berühmten ükännern,
oder sie tragen eineu familiären Lharakter. Die
Darstellung der bsinterbliebenen in ihrem Schmerze
über den Verlust, zuerst bei den Ztalienern vorkommend,
fiudet sich iu zahlreichen Beispielen vor, und zwar
wird nie der ükaun, sondern nur die Frau vorge-
führt, bald in wildem Schmerz über den Sarkophag
geworsen, bald die Urne umsassend, oder gebrochen
zu Füßen des Rreuzes liegeud oder vor der Grabes-
thür gekauert. Gern gesellt sich dazu eine Zlllegorie
des Trostes oder ein Tngel, der mild und ernst
zum Lsimmel zeigt, oder das weib mit starkem Arm
aufrichtet usw. 2luf diesem Gebiete hat die moderne
Grabskulptur manch Schönes und Lrgreifendes ge-
schaffen, da sie Maß und bsaltung bewahrt. illber
diese Richtung hat mancherlei Gefahren. Die
Steigerung des Schnierzausdruckes, zu der die ver-

führung hier uahe liegt, geht leicht in salsches pathos
über, das unsere kühlere Zeit am weuigsten verträgt
uud leicht lächerlich findet. Andererseits wird dadurch
die Grabskulptur immer mehr von der eigentlichen
Aufgabe entfernt: ein Denkmal des Verstorbenen zu
sein; fie soll aber die Trinnerung an das Dasein des
Geschiedenen vor Allem festhaltsn. Die Fortdauer
seines wirkens soll sie wenigstens bildlich geben. Die
Aufgabe der moderneu Fckulptur läßt sich am besten
aus eiuer kurzeu Geschichtsskizze ableiten. Der Grieche
hat beim Grabdenkmal vornehmlich den Zweck, das
Dasein des Toten über den Tod hinaus zu verlängeru
und ihn im vollgenusse dss Lebens darzustellen.
Lrst zeigen die Denkmäler Tinzelfiguren, dann Gruppen
in allen freundlichen Beziehungen des Lebens, viel-
fach Familienbilder, deren Tinzelgestalten durch den
lhandschlag verbunden sind: die Verstorbenen immer
in voller Gestalt. Selten sind dis Darstellungeu
wehmütig, meist sreudig und lebensvoll. Die römische
Grabskulptur wurde etwas äußerlicher und war nicht,
wie die griechische, heiter in sich geschlossen, sondern
mehr für den Beschauer berechuet. Doch brachte sie
eiu neues Tlement, das seither festgehalten wurde:
die fDorträtähulichkeit der verstorbeneu; ferner stellte
sie zuerst den Verblicheneu liegeud auf dem Deckel
des Sarkophages dar. Die llnterlage bedeutete zu-
nächst das Speisebett, das dein Toten die Tafelfreu-
den gewähren sollte, später wird ein Ruhebett daraus,
uud der Tote liegt iu tiefeu Schlummer versunken,
der durch maucherlei Bymbole als Todesschlaf gekenu-
zeichuet wird. Dieses letztere Riotiv geht in die
Grabskulptur des ülittelalters über uud setzt sich mit
dem Warten auf die Wiedererweckung am besten in
Tinklang. Zmnier bleibt die s)ersou des Toten
ülittelpunkt des Grabmals. Diese üichtung erreicht
ihren bsöhepunkt im florentinischen Grabtypus der
Frührenaissance, während die religiöse Gleichgiltigkeit
der Lsochrenaissance iu Religionssachen sie wieder
herabdrückt. Die Zlllegorie fängt an zu überwucheru,
uud die Figur des Derstorbeueu wird Nebensache,
bis sie ganz verschwindet. Da fand der Tmpire-Btil
dann Platz für seine Allegorien, welche für empfiud-
same Gemüter uoch jetzt das Zdeal des Grabdenk-
mals bilden. Linen ganz selbststäudigen Weg schlägt
die Grabskulptur in Ztalien ein. Ts wird viel
über sie gespottst, aber im Wesen mit Unrecht. ülan
findet viel sklavische Ropien, übertriebene 2lllegorien
des maßlossn Schmerzes; aber es überwiegen die
Bilder der Toteu, die geuau so dargestellt werdeu,
wie sie im Leben gewesen. Ztalienische Grabstätten
inachen einen eigentümlichen Lindruck. ljier eiu
Rnabe, in einem Buche lesend, einc Dame in 5alon-
toilette, cin Gffizier mit Degen und Feldstecher, 2llles
in überaus virtuoser Behaudlung des Äußerlichen.
ülan fühlt sich über die Realistik der Darstellung
fast entrüstet; aber nian muß das dariu gelegene
Streben würdigen. Das moderne Ztalien will, selbst-
bewußt geworden, nicht fortwährend von der Tr-
innerung an die großen vorfahren zehren, sondern
selbständig einpfinden und bilden. Daher ist auch
die Ruust in Ztalien national, wie nirgendwo. Ünd
diese Grabdenkmäler sind eine frei geschaffene Wieder-
kohr des griechischen Gedankens, allerdings ohne die
Zdealität. Tine Übertragung der italienischen Grab-

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