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person künstlerisch zu schinücken, was eben ohne Larbe
nicht angeht. Dannt Lrnst zu machen, scheut man
sich sedoch, man hat zu dem Zweck die historischen
Aufzüge, Aostümfeste und Ähnliches ersuuden — welche
nur als Ausflüsse des historischen Sinnes, das heißt
einer platonischen Liebe zur vergangenheit, zu be-
trachten, wohl sehr knrzsichtig wäre. Wer hier refor-
matorisch eingreifen wollte, müßte eine vollständige
Umwälzung des Geschmacks anbahnen. Dazu müßte
erst das zweite bsindernis einer ernsthasten, allseitigen
Aufnahme der Farbigkeit beseitigt werden, als welches

wir die Natur uuseres Farbenmaterials bezeichneten.

Die chemisch reinen Larben sind schon einzeln für
sich einem künstlerisch gebildeten Auge unerträglich.
Zhr stechender Glanz erzeugt eiue widrige, gelegent-
lich bis zum physischen Nnbehagen sich steigernde
Lmxfindung, und dis gerühmte Reinheit ist nicht durch-
weg eine absolute: das Not hat häufig einen fatalen
»Stich« ins Blaue, das Blaue einen solchen ins Rote,
sodaß kalte und warme Töne in einer und derselbeu
Larbe auf häßliche lVeise durcheinandergemischt er-
scheinen. Auch die »echteu« Larben sind nicht absolut

Nbb. 102. Snmmcntrilc LüNung (Tiscbplnttc) vcm Fiicditcb Löttcber.

rein; aber die ihnen von Natur innewohnende Tönung
wirkt mit der kvärme des Lebens, wogegen jene trotz
ihres Glanzes starr und kalt bleiben.

Die chchwierigkeit der Derwendung wächst aber beim
versuch ihrer Zusammenstellung. Zhr kaltes Leuer
macht sie uuverträglich; sie müssen zu eiuauder ge-
stimmt, das heißt iu ihrer Araft uud Vualilät ge-
brochen werden. Ls läuft infolge dessen bei unserer
Nachahmung alter farbiger Stoffe, Stickereien oder
dergleichen eine gewisse Lulensxiegelei mit unter, in-
dem man die Larben in ihrem derzeitigen, nicht dem
ursprünglichen Zustand nachahmt, indem man sie also
künstlich alt macht, bevor sie jung gewesen. R'lan
gefällt sich in diesem Modeirrtum, weil er die einzige



Möglichkeit zu bieten scheint, eine gewisse Larbigkeit
zu wagen, die uicht im schreienden widerspruch zu
unserer gesamten Umgebung steht. Macht man nun
auch aus der Not eine Tugend, so schafft man die
Not damit nicht aus der welt. Alle versuche, in
der Textilkunst die chemischen Larben ungebrochen
uebeneinander zu verwenden, haben nur die Rumög-
lichkeit inbezug anf künstlerische wirkung dargethan.
Gebrochen aber und abgetönt werden sie stumps und
charakterlos und thun erst recht keine wirkung. Dazu
kommt ihre geringe Lichtbeständigkeit und sonstige
Lmpfindlichkeit.

wenn Semper vor dreißig Zahren iubezug auf
die Larbenindustrie schreiben durfte, daß bis jetzt die

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