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Dalbmonatltcbe Ikundscbau.

Anter Mttwlrkung des Kegründers Zferdinand Nvennri^s^berausgegeben von

2. Dezember-Dett 1893.

Daul Scbumann. M

vierter Aabrgang.

-


Lrscheint Anfang und
Mitte jeden Monats.

Vestellgeld: 1 M. 60 Dk. vierteljäbrl.

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j)f. f. d. H gesx. jdetitzeile

Nundscbau

Line kuitstgexverbltcbe Meibitacbts-
bettacbtung bringt die „N. Fr. pr." anläßlich
einer auch sonst lesenswerten Besprechung der IViener
lVeihnachtsausstellung:

Zweinndvierzig Iahre nnd einen Monat ist es her,
daß Gottfried Semper die praktisch-ästhetische Schlnß-
rechnnng der ersten Industrie-Ausstellnng aller Völker
aufstellte und damit den Anstoß zu einer Neform-
bewegung gab, die sich bald über das ganze Abend-
land erstreckte. Blicken wir heute auf sene Anfänge
zurnck, so haben wir Grnnd, uns über zahlreiche
Lrüchte unserer Bestrebnngen zu freuen, erkennen aber
auch manche in jugendlicher Begeisterung gehegte
tfoffnung als Zllusion. Der gnte Lville, sich fortan
den Gesehen des Stils zu fügen, hielt ziemlich lange
an, und das lVort „stilvoll" wurde zu überall gang-
barer Nlünze. Aber endlich erwies sich die Mode
doch wieder mächtiger. Nkan braucht nnr den rast-
losen lVechsel in der Tracht zu beobachten, in dem
Lntstellung der Nörperformen so oft der leitende
Grundsatz zu sein scheint, die gegenwärtig beliebten
Damenhüte, die dnrch Gestalt und Farben den Neid
eines Zirkusklowns erregen könnten usw. Daß es
dagegen kein Akittel giebt, lehrt die Rultnrgeschichte.
Lrfolglos blieb es, daß von den Ranzeln herab gegen
übertriebene oder unanständige Toiletten geeifert
wurde, daß Fürsten einem Stutzer den Gurt der
jAuderhosen durchschneiden oder dis mit Nkeie auf-
geblähten Gosen aufschlitzen ließen, daß die Füllung
auf die Gasse rann, oder verfügten, daß gewisss
Aleider das Nennzeichen anrüchiger Frauenzimmer
sein sollten. Zn dem letztsren Punkte ist ein ent-
schiedener Fortschritt zu verzeichnen, da Zedermann
weiß, welche Gattung von Damen bei Nennen und
in Sxielbädern die extravaganten Nkoden in Umlauf
setzt. Nlit diesen wichtigen Angelegenheiten hat
glücklicherweise das Runstgewerbe sonst nichts zu thun,
als daß es die verschiedenen Stoffe liefert, die zu
Rleidungsstücken für elegante Damen verarbeitet
werden — wie? dafür ist es nicht verantwortlich.

Doch übt auch anf nnserem Gebiete die Nlode nur
zu oft eine verheerende lVirkung aus, ganz abgesehen
von der Thätigkeit unternehmender Dilettantinnen,
die z. B. jetzt gewisse, dereinst von fleißigen Rloster-
frauen betriebene Runstfertigkeiten wieder entdecken.
Zn den Rlöstern ist man heutzutage über solche
Sxielereien hinans, arbeitet paramente oft in ganz
vortrefflicher lveise; im Boudoir dagegen wird man
vielleicht noch auf die Bilder ans Glasxerlen nnd
Nkenschenhaaren zurückkommen!

Zndustrie und publikmn pflegen einander die
Schnld zuzuschreiben, wenn neue Nngehenerlichkeiten
auf dem Nkarkte erscheinen, und der Nnxarteiische
wird beiden Recht geben müssen. Ls ist wahr, das
publikum verlangt fortwährend Neues, nnterschätzt
bald das Beste als veraltet und greift vielfach nach
dem, was nur das eine Verdienst hat, nen zn sein.
Allein die Zndustrie leiht diesem verlangen häufig
ein zu willig Ghr, ein Ronkurrent sucht die anderen
durch Nochniedagewesenes auszustechen, nnd darüber
werden alle natürlichen Bedingungen des künstlerischen
wie gewerblichen Schaffens außer Acht gelassen. lvas
jeder Räufer oder wenigstens jede Räuferin vor der
lvahl von Gebrauchsgegenständen prüft, ob das Gefäß
oder Gerät zn handhaben, ob das Gewicht auf die
einzelnen Bestandteile richtig verteilt ist, ob die ver-
zierungen nicht die Reinhaltung erschweren oder ver-
hindern, ob sich im Schrank und in der Rredenz die
Dinge bequem unterbringen lassen oder nicht, und
ähnliche rein xraktische Fragen scheinen sich manche
Verfertiger gar nicht vorzulegen. Allerdings giebt
es eine Zndustrie, die bei ihren Lrzeugnissen über-
hauxt nicht an die xraktische Verwendung denkt.
Aber auch sie sollte, wenn sie sich schon über alle
Gesetze der Ästhetik erhaben fühlt, wenigstens be-
denken, daß es den nur für die Zimmer-Dekoration
gedachten Lachen leicht wie manchen Büchern ergeht,
die, so lange sie neu sind, Zedermann „gelesen haben
muß", die aber Niemand zum zweitenmale liest. Und
solche Nkode-Literatur kann durch hübsche Linbände

— ro
 
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