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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 12.1901

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Kurzwelly, Albrecht: Die Erwerbungen des Leipziger Kunstgewerbe-Museums auf der Pariser Weltausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4878#0138

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DIE ERWERBUNGEN DES LEIPZIGER KUNSTGEWERBE-MUSEUMS u. s. w.

Da auf der ■ Musterausstellung der Engrosmesse
die keramische Industrie eine Hauptrolle spielt, ist
es nur freudig zu begrüssen, dass unter den Pariser
Ankäufen des Leipziger Museums die Töpferarbeiten
einen breiten Raum einnehmen. Diese Bevorzugung
der Keramik ist ja auch schon deshalb gerechtfertigt,
weil Leipzig nach allen Seiten von Töpfergegenden
umgeben ist, die dringend künstlerischer Anregung
bedürfen. Zunächst ist da an die weitverzweigte
Porzellanindustrie Thüringens zu denken, die zum
grössten Teil noch weit entfernt ist, sich zu ernsterem
künstlerischen Streben aufzuschwingen; dann kommt
die Bürgeier Hausindustrie in Betracht und weiterhin
der mannigfaltige Gross- und Kleinbetrieb an der Mulde
und Elbe und in der Lausitz. In allen diesen
keramischen Industrien ruhen entwicklungsfähige
Keime, die künstlerische Nahrung brauchen können,
und nach allen Seiten birgt der sächsische Boden
Thonerden, die sich zur künstlerischen Verwertung
eignen, übrigens im 16. und noch im 18. Jahrhundert
mehr, als man gewöhnlich annimmt, zur Herstellung
künstlerischer Waren ausgenutzt worden sind. Die
in Paris erworbene Poteriensammlung des Leipziger
Museums kommt also einem wirklich praktischen Be-
dürfnis entgegen.

In dieser Sammlung sind die beiden wichtigen
Gattungen Steinzeug und Porzellan ungefähr zu
gleichen Teilen vertreten. Die Steinzeuggruppe re-
präsentiert fast ausschliesslich das französische Gres
flamme. So eng begrenzt die Auswahl ist, so giebt
sie doch ein ziemlich abgerundetes Bild von den
interessanten Versuchen der französischen Kunsttöpfer,
das Steinzeug nach dem Vor-
bild der Japaner durch Anwen-
dung von mehrfarbigen Gla-
suren zu veredeln und durch
Beschränkung auf chemische
Prozeduren zu reinen Erzeug-
nissen der Kunst des Feuers zu
verwerten. Bei aller ihrer Be-
liebtheit in
den Kreisen
der Kenner
ist doch diese
Gattung bei

uns noch
recht wenig
in ihrem wah-
ren Wert er-
kannt und ge-
schätzt, noch
recht unpopu-
lär. Die Einfachheit ihrer Formen wird
als rustikale Plumpheit angesehen, die
wohlthuende Strenge ihrer Linien als
gewollter Archaismus empfunden. Kein
Wunder, da bei uns selbst der Gebildete
trotz der Geschmackswandlungen der
letzten Jahre noch immer das Reiche,
das Überdekorierte, möglichste Mannig-
faltigkeit des plastischen und malerischen

ZEICHNUNG ZU EINEM

KAMME

VON RENE LALIQUE.

Dekors verlangt und nicht daran denkt, das Schöne
im Schlichten zu suchen. Dass die Bevorzugung
des Einfachen und Strengen seitens unserer führenden
Kunstgewerbler einen gewaltigen Fortschritt bedeutet
gegenüber dem Taumel in schwülstigem Formen-
reichtum, wie er beinahe das ganze letzte Viertel des
verflossenen Jahrhunderts kennzeichnet, dafür bricht
sich das Verständnis nur langsam Bahn. Und eben-
sowenig wie das gebildete Publikum den bleibenden
Wert einer wohlabgemessenen Einfachheit und Herb-
heit der plastischen Erscheinung zu schätzen weiss,
ebensowenig vermag es mit seinem verbildeten Auge
den köstlichen Reiz geflossener Glasuren zu em-
pfinden, die sich phantastisch verschlingen und das
Farbenspiel des Regenbogens oder der Flamme unserem
Auge vortäuschen.

Das Auge des Geschmacksphilisters vermisst hier
die »Kunst«, die Kunstfertigkeit, die Hand des Malers;
es kann nicht begreifen, dass es sich bei diesen
lediglich auf chemischem Wege erzielten Farben-
effekten um eine mühsame und den Zufall ausnützende
künstlerische Leistung handelt. Es empfindet auch
nicht den Reichtum der Töne und die Mannigfaltig-
keit in der Art der Verbindung und Trennung der
Glasuren, die sich bald flammig oder wolkig mit
einander verschmelzen, bald genarbt erscheinen, bald
in Tropfen an der Gefässwand herabrinnen, und es
fühlt nicht die milde Zartheit oder die kraftvolle
Körnigkeit der Glasurhaut, die den Kenner lockt,
einen mit diesen Effekten ausgestatteten Topf zu be-
tasten oder ihn wie ein Kleinod in edlem Metall
fassen zu lassen. Kurz diese Gattung hat sich
noch nicht den ihr gebührenden
Platz in der Gunst des Publi-
kums zu erobern vermocht. Und
doch hat sie eine grosse Zu-
kunft. Das Prinzip, die farbige
Wirkung beim Gefäss zur Haupt-
sache zu machen, ist keines-
wegs zufällig aufgetreten. Es
passt in un-
sere Zeit, es
entspricht den
Stimmungen,
die der fein-
fühligere Ge-
schmack ge-
genwärtig im

Innenraum
anstrebt, un-
serer Sehn-
sucht nach
nach harmonischen Akkorden,
unserem Widerwillen gegen das Zuviel
der Linien und Formen.

Die deutschen Künstlertöpfer können
in dieser Gattung der Keramik noch
viel von Frankreich lernen. Unsere
Versuche in Steingut oder Steinzeug
mit geflossenen Glasuren zeigen nicht
immer jene innige Verschmelzung des
 
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