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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Museen und Volksbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0054

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MUSEEN UND VOLKSBILDUNG

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ERNST RIEGEL, MÜNCHEN,
SILBERBECHER MIT MANTEL AUS TOMBAK

weit und hat bisher nur die oberen Schichten des
Bürgertums noch nicht in wünschenswertem Maße
gepackt.« Wenn also das Interesse für Natur und
Kunst großgezogen werden soll, so handelt es sich
durchaus nicht bloß um Arbeiterkreise. Diese werden
die dargebotene Hand in allererster Linie ergreifen.
Es handelt sich vielmehr auch um die Hebung der
sogenannten höheren Gesellschaftsschichten, diegrößten-
teils in völliger Nichtachtung für alles, was außerhalb
des Rahmens eines rein materiellen Lebensgenusses
liegt, ihr Dasein verbringen, in der Arbeit aber bloß
die Jagd nach Geld kennen, und alles als überflüssig
ansehen, was nicht in diese Melodie mit einstimmt.
Diesen Kreisen speziell und ihrer Lebensanschauung
gelte die Arbeit der Veredelung. Sie haben es am
allernötigsten. Man besehe sich das Durchschnitts-
maß dessen, was für Forderungen hygienischer
und ästhetischer Art der gutsituierte Bürgerstand an

seine Wohnung stellt, man durchgehe die Stadtpaläste
und Landhäuser der oberen Zehntausend, um sich
ein Urteil über das Maß von Kultur zu bilden, mit
dem sie sich durchschnittlich abzufinden wissen.
Existieren für diese Kreise unsere Museen? Kaum!
Man kennt sie dem Namen nach allenfalls, mißhandelt
diesen in erschreckendster Weise und läßt Sammlungen
Sammlungen sein. Dem gegenüber steht die weit
kleinere Schar jener, die höhere Ziele im Auge haben.
»Die großen Dinge in einem Volke geschehen durch
die Minderheit,« sagt Renan zutreffend. So ist es
vorerst auch da.

Was ist nun bisher geschehen, um diesem Drange
nach »neuer Bildung« entgegen zu kommen, vielleicht
nicht einer neuen Bildung, sondern einer neuen Kultur
den Untergrund zu schaffen?

Überall haben Bestrebungen einsichtiger Männer
in tatkräftiger Art eingesetzt unter dem Titel »Volks-
bildungs- oder Volkshochschulvereine« oder mit ähn-
lichen Bezeichnungen. Man eröffnet weiten Kreisen
große Wissensgebiete, man sperrt sich (das heißt
diejenigen, welche die Zeitströmung begreifen) nicht
mehr stolz ab gegen die Teilnahme am Wissen seitens
jener Elemente, die keine verbriefte und besiegelte
Vorbildung genossen haben, vom Leben in zwingende
Bahnen gelenkt, doch nicht in der stetigen Erfüllung
der Alltagspflicht untergegangen sind. Man eröffnet
ihnen Einblicke in wissenschaftliche Gebiete, man
macht den Versuch, mit diesen Unterrichtsgelegen-
heiten sogar Seminare in Verbindung zu bringen,
durch deren Übungen Methode in die Gedanken-
entwickelung geleitet werden soll. Das ist alles vor-
trefflich in Bezug auf die Disziplinen, die eine »nach
Rücksichten des Verstandes geordnete Bildung« zeigen.
Man versucht gleicherweise das Verständnis für die
Sprache der Kunst zu erschließen. Es werden Vorträge,
Führungen in Kunstsammlungen gehalten, wobei notge-
drungenerweise das wissenschaftliche Moment in den
Vordergrund treten muß. Alle Bemühungen jedoch,
Empfindung durch ästhetische Betrachtungen zu wecken,
stoßen auf volles Unverständnis oder ziehen etwas
falsches, ein Scheinempfinden heran, das weit davon
entfernt ist, mit der Psyche im wahren Zusammen-
hange zu stehen. Es wird günstigstenfalls eine ge-
wisse Verstandesbewegung hervorgerufen, die zu
schematischem Beschauen und Beurteilen führt. Das
Auge wird dabei nicht gebildet. Es vermittelt keinen
anderen Eindruck als jenen, den ein photographisches
Objektiv gibt; es wertet die empfangene Anregung, das
Bild, nicht um. Der tatsächliche Nutzen, den gerade
solche Kunstunterweisungen mit sich bringen, ist selbst
optimistisch gesprochen, ein problematischer. Die
Freude am Schönen ist unserer Zeit nicht allgemein
eigen wie sie für die Renaissanceperiode beispiels-
weise charakteristisch ist. Sie läßt sich dem fertigen
Menschen nur in den seltensten Fällen begreiflich
oder gar zum Bedürfnisse machen. Man kommt
also dieser Neigung mit den Mitteln der Sprache
nicht im wahren Sinn zu Hilfe, selbst wenn man die
vorhin berührten Befürchtungen für die Gefährdung
der Museumsobjekte ganz beiseite setzend, Tür und


 
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